Der „Mut zur Freiheit in Einsamkeit, dasjenige Leben mit Widersprüchen und die Passion welcher Vernunft“ verkörperten sich pro Ralf Dahrendorf in einer Person: Erasmus von Rotterdam (um 1467 solange bis 1536). Dahrendorf identifizierte von ihm so genannte „Erasmier“, die sich in ihrem Leben und Werk in unterschiedlichem Maß dem großen Vorbild angenähert hatten. Auf einer Skala von Eins solange bis Zehn vergab er nur an drei „Geistesarbeiter“ die maximale Punktzahl: an Karl Popper, Raymond Aron und Isaiah Berlin. Unzweifelhaft hat Dahrendorf, dieser große Liberale, sich selbst qua „Erasmier“ verstanden.
„Fürst welcher Humanisten“ und „Wegbereiter welcher Aufklärung“ wurde Erasmus genannt, er war welcher größte Schriftgelehrte seiner Zeit, korrespondierte mit allen bedeutenden Zeitgenossen, darunter waren die Päpste Leo X. und Hadrian VI., spielte eine Rolle zwischen welcher Prinzenerziehung des späteren englischen Königs Heinrich VIII. und des künftigen Kaisers Karl Vanadium., veröffentlichte Bestseller wie die Sprichwörtersammlung „Adagia“ und die sehr böse Satire „Lob welcher Torheit“ und setzte mit seiner griechisch-lateinischen Parallelausgabe des Neuen Testaments Maßstäbe pro die Bibelübersetzung.
Hans Holbein welcher Jüngere und Albrecht Dürer porträtierten ihn, weitestgehend 450 Titel umfasst dasjenige Verzeichnis seiner Werke, die kritische Gesamtausgabe ist aufwärts 81 Bände angelegt, in welcher Rotterdamer Bibliothek finden sich mehr qua 5000 Bücher von und weiterführend Erasmus. Wie kann man es wagen, noch einmal sein Leben zu erzählen – vor allem dann, wenn man qua holländische Historikerin gegen die Erasmus-Biographie des großen Johan Huizinga anschreibt?
Mit ihrem weitestgehend tausend Seiten langen, von Bärbel Jänicke hervorragend übersetzten Buch „Erasmus. Biografie eines Freigeists“ ist Sandra Langereis dasjenige Wagnis gelungen – nicht zuletzt, weil sie in indirekter Rede weiterführend weite Strecken Erasmus selbst zu Wort kommen lässt. Die Biografie wird damit zur Autobiografie, in welcher dasjenige Aufmüpfige dieses „Freigeists“ spürbar wird, seine Lust am Infragestellen etablierter Wahrheiten, die ironische Distanz im Gegensatz zu sich aufplusternder Autorität. Erasmus war Philosoph, Philologe und Theologe, vor allem freilich war er ein selbstbewusster Autor in Zeiten welcher Buchbegeisterung, ihn kümmerten stilistische Eleganz mehr qua theologische Spitzfindigkeiten, ein hervorragender Bibeldruck war ihm wichtiger qua die Lehrsätze welcher Dogmatik.
In welchem Jahr Erasmus in Rotterdam geboren wurde, wissen wir nicht, es muss zwischen 1464 und 1469 gewesen sein. Sein Geburtstag steht Festtag: es war welcher 28. Oktober, welcher Festtag welcher Apostel Simon und Judas. Erasmus, unehelicher Sohn eines katholischen Priesters und dessen Haushälterin, besuchte mehrere Lateinschulen und wurde Kanonikus in einem Augustinerkloster wo er zum Priester geweiht wurde. Nachdem er dasjenige Kloster verlassen hatte, nahm er die Stelle eines Sekretärs beim Bischof von Cambrai an, studierte Theologie an welcher Pariser Sorbonne, ohne qua Unehelicher dort promovieren zu die Erlaubnis haben und lernte zwischen einem Englandaufenthalt im Sommer 1499 Thomas Morus Kontakt haben.
Von 1506 solange bis 1509 lebte er in Italien und promovierte in Turin. Nach England zurückgekehrt, lehrte er von 1510 solange bis 1515 am Queens’ College in Cambridge. Die letzten Jahrzehnte seines Lebens verbrachte Erasmus in Freiburg und Basel. Dort starb er am 12. Juli 1536. Das protestantisch gewordene Basel erlaubte die Bestattung des altgläubig gebliebenen Erasmus im Münster welcher Stadt, die katholische Kirche war nicht so großmütig: 1559 setzte dasjenige Konzil von Trient die Werke des Autors, welcher wie kein anderer dasjenige in den Evangelien festgehaltene Gotteswort verbreitet hatte, aufwärts den Index. Erst 1963 wurde welcher Bann aufgehoben.
Dem unehelichen Sohn eines Priesters waren viele Karrieren verwehrt, lange Zeit Jahre bestritt er seinen Lebensunterhalt qua Hauslehrer und war von den Zuwendungen ihm wohlgesonnener Adliger und Kirchenfürsten unfrei. Ausweg aus dieser Situation bot welcher päpstliche Dispens, den Leo X. dem „in einem verstoßen und verdammten Geschlechtsakt“ Gezeugten schließlich erteilte und damit seine Geburt kirchenrechtlich legalisierte. 1511 wurde Erasmus, welcher kein Wort Englisch sprach, Pfarrer in einer Gemeinde in Kent, gab die Pfarrei freilich schon nachher einem Jahr aufwärts. Er strebte nicht nachher einem Amt, sondern suchte eine Pfründe, selbst mit welcher Kardinalswürde verbundene Festanstellungen lehnte er ab, um sich in seiner schriftstellerischen Tätigkeit nicht mindern zu lassen. Sehr Vormittag verkörperte Erasmus den Typus des von dem Soziologen Karl Mannheim so genannten „zwischenmenschlich freischwebenden Intellektuellen“.
Langereis schreibt gegenständlich
Die Binnenmilieus in denen dieser jede weltliche und geistliche Bindung scheuende Intellektuelle sich bewegte, hat Sandra Langereis in ihrer Fußnoten-freien Biografie mit breiter, nie nichts los werdender Anschaulichkeit beschrieben: die vom drohenden Pritschholz des Lehrers skandierten Abfragerituale in den Lateinschulen, die endlosen und ermüdenden Klosterroutinen – „einhundertfünfzig Psalmen in sieben Tagen“ –, die scholastischen Disputationsübungen an welcher Sorbonne, dasjenige Zusammenspiel welcher Drucker, Tintengesellen, Setzer und Letternschneider in den Werkstätten von Aldus Manutius in Venedig und in Johann Frobens Druckerei „Zum Sessel“ in Basel und schließlich am Lebensabend von Erasmus die Idylle in den eigenen Häusern in Basel und Freiburg: „Zur alten Treu“ und „Zum Kind Jesu“ hießen sie.
Die feine Präzision dieser Milieuschilderungen erinnert an die holländische Genremalerei, welche die Kunsthistorikerin Svetlana Alpers qua „Kunst welcher Beschreibung“ charakterisiert hat. Dabei war Erasmus die Gesamtheit andere qua ein Stubengelehrter. Der Selbsteinschätzung nachher war sein Leben eine „Ilias an Katastrophen“ – freilich es war untergeordnet eine gelingende, oftmals gefährliche Odyssee in einem von welcher Pest und von Kriegen heimgesuchten Europa welcher stetig sich verändernden Grenzen. So unkultiviert im Sommer 1506 Erasmus von Paris nachher Italien aufwärts – eine Strecke von tausend Kilometern, die weiterführend die Alpen führte, legte er zu Pferd zurück, aufwärts den Stätten welcher Rast „notierte er seine Einfälle pro ein Gedicht weiterführend dasjenige Alter“.
Oft erweist sich die Chronologie qua biografische Falle. Wird dasjenige Zeitgerüst zu innig konstruiert, verschwimmt hinten dasjenige Lebensgebäude. Sandra Langereis ist nicht in welche Falle getappt. Sie erzählt dasjenige Leben von Erasmus chronometrisch, stellt die einzelnen Etappen freilich unter ein Leitmotiv: Es ist die von dem fünfzigjährigen Erasmus beschworene „geheimnisvolle Naturgewalt“, die ihn zur Literatur ruhelos habe. Das Latein spielte nun eine entscheidende Rolle, qua er die Sprache Vorlesung halten, verstehen, schreiben und sprechen gelernt hatte, sprach Erasmus von seiner zweiten Geburt. Im Konvikt wie im Kloster versuchte er zwischen seinen Brüdern die Liebe zur Literatur zu wecken: „Es wird Dir immens viel erwerben, wenn du dich welcher Literatur zuwendest“, schrieb Erasmus an vereinigen von ihnen. „Heidnische“ Autoren wie Horaz, Juvenal und Terenz spielten nun eine entscheidende Rolle.
Als sich die Lateinbegeisterung mit einer wachsenden Faszination pro dasjenige Griechische verband, wurde pro Erasmus die Bibel zum Schlüsseltext – die von Hieronymus aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzte Vulgata. Erasmus literarisierte die Bibel, welcher Heiligen Schrift näherte er sich vor allem qua Schriftgelehrter. Um sie zu verstehen, war die Theologie weniger wichtig qua eine genaue Kenntnis des Lateinischen und des Griechischen, denn im Laufe welcher Zeit war welcher Text durch Fälschungen und Irrtümer schadhaft worden. Zurückhaltend publizierte Erasmus seine Textkorrekturen zunächst 1516 qua „Novum Instrumentum“ vor er zwei Jahre später dasjenige „Novum Testamentum“ veröffentlichte.
Darweiterführend kam es zum Streit mit Martin Luther, mit dem Erasmus ursprünglich vereinigen von wechselseitiger Anerkennung geprägten Briefwechsel geführt hatte. An den Rand einer Seite seines Exemplars des „Novum Testamentum“ schrieb Luther: „du bist nicht from“ und nannte Erasmus vereinigen „Verspotter des Christentums mit seiner falschen frommen Visage“. Als Luther qua Reaktion aufwärts Erasmus’ Schrift „De libero arbitrio“ die menschliche Willensfreiheit radikal verneinte, ließ Erasmus sich zum ersten Mal in seinem Leben aufwärts ein „dogmatisches Gezänk“ ein. Den eigenen freien Willen konnte ihm untergeordnet welcher Reformator nicht nehmen. Auf seinem Grabmal im Basler Münster teilt Erasmus mit dem römischen Gott Terminus die Devise: „Concedo Nulli“. Ich weiche niemandem.
Sandra Langereis: Erasmus. Biografie eines Freigeists. Aus dem Niederländischen von Bärbel Jänicke. Propyläen, 976 Seiten, 59 Euro
Source: welt.de