Entwicklungshilfe liegt im ureigensten Interesse Deutschlands – WELT

Was in der aktuellen Debatte leider viel zu kurz kommt: Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe sind im deutschen Interesse und wirken. Im Vergleich zu 1990 hungern heute 200 Millionen Menschen weniger, obwohl in der gleichen Zeit zwei Milliarden Menschen neu auf die Welt gekommen sind. In den vergangenen 20 Jahren ist die weltweite Sterblichkeitsrate bei Kindern unter fünf Jahren um 50 Prozent und der Anteil Armer an der Weltbevölkerung von 30 auf zehn Prozent gesunken.

Deutschland kann mit Recht stolz auf diese Errungenschaften sein. Als einer der führenden Entwicklungsgeber hat es in den vergangenen Jahren viel dazu beigetragen und so einen wichtigen Beitrag zu einer sichereren, gerechteren und nachhaltigeren Welt geleistet.

Dieses Engagement liegt im ureigensten Interesse Deutschlands für langfristige Sicherheit und Wohlstand im eigenen Land. Denn Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe stärken den Schutz der Menschenrechte, beugen Krisen vor, fördern stabile Partnerschaften, geben wichtige Anschub-Investitionen, um Märkte zu entwickeln und werben so für Freiheit und ein offenes Weltbild. Für Deutschland als große Handelsnation sind solche verlässlichen Rahmenbedingungen in einer multipolaren Welt wichtiger denn je.

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Gerade jetzt, in Zeiten geopolitischer Verschiebungen, sollte Deutschland als drittgrößte Wirtschaftsnation beim internationalen Engagement nicht nachlassen und weiter in Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe investieren.

Denn zum ersten Mal in diesem Jahrhundert wird die Schere zwischen den ärmsten und reichen Ländern wieder größer – durch die Auswirkungen der Pandemie, des Klimawandels und geopolitischer Konflikte. Während reiche Länder nach dem aktuellen „Human Development Report“ ein Rekordniveau an menschlicher Entwicklung erzielen, stagniert die Hälfte der ärmsten Länder auf dem Krisenniveau.

Kürzungen bei Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe würden diese Schere vergrößern. Das trägt zu Instabilität in diesen Gesellschaften bei und verstärkt Spannungen. Das kann uns nicht egal sein. Denn Armut, Hunger, aber auch durch den Klimawandel ausgelöste Katastrophen führen häufig zu einem Teufelskreis: Wo Menschen hungern und keine Perspektive in ihrer Heimat haben, breiten sich Konflikte und Gewalt aus.

Jeder investierte Dollar zahlt sich aus

Wo es Konflikte gibt, dominiert Armut das Leben. Und wo Eltern die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für ihre Kinder verlieren, entscheiden sich viele zu gehen, trotz Risiken. Wegschauen ist daher keine Option, vor allem nicht, wenn jeden Tag 15.000 Kinder verhungern und weltweit noch 330 Millionen Kinder in extremer Armut leben.

Handeln wir jetzt nicht vor Ort, wird es später um ein Vielfaches teurer – auch in Deutschland. Jeder Dollar, der heute für Bildung in Afrika oder Asien ausgegeben wird, erbringt eine Rendite von 2,80 Dollar. Jedes weitere Schuljahr für ein Mädchen erhöht ihr zukünftiges Einkommen um bis zu 20 Prozent – das entspricht Milliarden an zusätzlichem BIP und neuen Chancen auf Wirtschaftskooperation und Zusammenarbeit.

Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe sind so aktive und vorausschauende Friedens- und Zukunftspolitik. Sie helfen, Krisen vorzubeugen, die Situation in Krisen- und Fluchtregionen zu stabilisieren und wirtschaftliche Zusammenarbeit zu fördern.

Ausgerechnet jetzt weniger in Entwicklung zu investieren, wäre daher die falsche Antwort auf die globalen Herausforderungen. Es trägt zu unser aller Sicherheit und Wohlstand bei, wenn mehr Menschen die Gewissheit haben, dass sie ein Leben in Würde in ihrer Heimat führen können.

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Das gilt besonders vor dem Hintergrund, dass die Erdbevölkerung jedes Jahr um 80 Millionen Menschen wächst. Sie alle wollen essen, arbeiten. Um alle zu ernähren, muss die Nahrungsmittelproduktion um 50 Prozent bis 2050 erhöht werden. Die Schaffung hunderter von Millionen neuer Jobs erfordert eine Steigerung der Weltenergieproduktion von etwa 70 Prozent bis 2050.

Beim weltweiten Ausbau erneuerbarer Energien entfallen aber nur 1,5 Prozent aller Investitionen auf Subsahara-Afrika, obwohl dort der Bedarf am größten ist. 600 Millionen Menschen haben noch keinen Zugang zu Elektrizität. Wenn diese Menschen auf Strom aus fossilen Rohstoffen angewiesen sind, erreichen wir die Klimaziele nie. Die Antwort muss vielmehr eine Investitionsoffensive in erneuerbare Energien sein. Ein investierter Klima-Euro in Entwicklungsländern hat dabei eine dreimal größere Wirkung als in Europa.

Deutschland und die G-7-Staaten haben hier eine besondere Verantwortung: Nicht die Menschen in Entwicklungsländern haben die Erderwärmung ausgelöst, sondern in Europa, Nordamerika und Teilen Asiens.

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Wir können unser Klima aber nur durch globale Kooperation schützen; genauso wie Pandemieprävention nur erfolgreich ist, wenn ärmere Länder beim Aufbau von Gesundheitssystemen unterstützt werden; neue Jobs nur mit wirtschaftlicher Entwicklung geschaffen werden; digitale Regulierung sowie die Ursachen von irregulärer Migration nur über nationale Grenzen hinaus angegangen werden können und Frieden nur miteinander bewahrt werden kann.

Deswegen braucht es heute mehr internationale Zusammenarbeit, Solidarität und mehr Investitionen in globale Entwicklung und humanitäre Hilfe – in Deutschlands eigenem Interesse.

Quelle: via ONE Deutschland; Murat Gok/AA/picture alliance; via ONE Deutschland

Gerd Müller (l.) leitet die Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO), von 2013 bis 2021 war er Bundesentwicklungsminister. Catherine Russell ist seit 2022 Exekutivdirektorin des UN-Kinderhilfswerkes UNICEF. Achim Steiner leitet seit 2017 das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP).

Source: welt.de

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