„Enormes Sicherheitsrisiko, mehr Atommüll“ – SPD schmettert Söders Vorstoß zu Mini-Reaktoren ab

CSU-Chef Söder fordert eine Rückkehr der Atomenergie, um der Wirtschaft günstige Energie liefern zu können – bereitgestellt von „Mini-Meilern“. Während der Unions-Koalitionspartner SPD sowie Grüne und Linke das scharf ablehnen, kommt der stärkste Zuspruch von der AfD.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) macht sich für ein Comeback der Atomkraft in Deutschland stark. „Wir drücken die Energiepreise mit staatlichem Geld, anstatt auf günstige Erzeugung zu setzen“, kritisierte der CSU-Chef in WELT AM SONNTAG und forderte, beim Thema Kernkraft umzusteuern. „Es geht nicht darum, dass wie früher große Meiler hochgezogen werden. Ich spreche von kleineren, smarten Reaktoren, wie es sie in Kanada bereits gibt.“

Nach Angaben der kanadischen Regierung laufen in der Region Ontario Vorbereitungen, bis etwa 2030 den ersten solchen Reaktor an den Start zu bringen. Söder verwies darauf, dass auch in der Schweiz und „anderen Ländern Europas“ an solchen Reaktoren gearbeitet werde. „Diese Mini-Meiler brauchen nicht solche Subventionen, wie das früher nötig war.“ Der Ministerpräsident kritisierte zudem, dass Deutschland in der Energiepolitik Probleme ins Ausland verschiebe, was „einfach unehrlich“ sei: „Wir kaufen Atomstrom aus Frankreich und Tschechien, lehnen aber Kernkraft bei uns ab.“ Ein Umsteuern sei nötig, „damit sich die Wirtschaft erholt“.

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Die letzten drei deutschen Atomkraftwerke wurden unter der Ampel-Regierung Mitte April 2023 abgeschaltet. Die schwarz-gelbe Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte 2011 den deutschen Ausstieg nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima beschlossen.

Söder hatte damals auf ein Ende der Atomenergie hierzulande gedrängt. In den vergangenen Jahren machte er sich wiederholt gegen einen Ausstieg aus der Kernkraftnutzung und für eine Reaktivierung von Atomkraftwerken stark. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag stehen dazu keine Beschlüsse. Darin findet sich der Wunsch, die Technologie der Kernfusion „stärker fördern“ zu wollen: „Unser Ziel ist: Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen.“

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Unions-Fraktionsvizechef Sepp Müller (CDU) sagt WELT zum Vorstoß des CSU-Chefs: „Vorschläge wie die von Markus Söder sollten wir nicht vorschnell abtun. Wir brauchen eine technologieoffene Forschung, deshalb setzen wir auf die intensivierte Forschung an der Kernfusion.“ Müller betont, dass eine „bezahlbare und verlässliche Energieversorgung“ Grundlage für die Zukunft des Industriestandorts Deutschland sei: „Diese Sicherheit muss – unabhängig von aktuellen politischen Prioritäten – langfristig gewährleistet werden.“

Auf Ablehnung stößt Söders Forderung beim Koalitionspartner der Union. Die energiepolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Nina Scheer, sagt: „Atomenergie-Gewinnung ist die teuerste Form der Energiegewinnung. SMR (small modular reactors, d. Red.) sind wie auch herkömmliche Atomkraftwerke ein enormes Sicherheitsrisiko und verursachen sogar noch mehr Atommüll als größere Atomreaktoren.“ Sie verweist als Beleg auf eine 2022 veröffentlichte Studie der University of Pennsylvania. Für Scheer wäre es „verantwortungslos, diese Fakten zu ignorieren und entsprechende Lasten der Allgemeinheit aufzubürden, angefangen bei der Versicherbarkeit. Erneuerbare in der Kombination mit Speichern sind ein Vielfaches günstiger und versorgen uns schneller mit sauberer, sicherer und heimisch verfügbarer Energie.“

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Scheer verweist darauf, dass die schwarz-rote Koalition jüngst im Zuge einer Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes „weitere Hürden für Energy Sharing und die bessere sektorenübergreifende Nutzbarkeit erneuerbarer Energien beseitigt“ habe.„Laufende SMR-Projekte sind für Zeitspannen angelegt, in denen Deutschland mit der aktuellen Entwicklung alle Chancen hat, um ein Vielfaches günstiger und vollständig auf erneuerbaren Strom umgestiegen zu sein.“ Die Sozialdemokratin betont zudem, dass es in Kanada „gerade einmal eine bis 2035 währende Baugenehmigung, aber keine Nutzung von Mini-Atomkraftwerken“ gebe. „Das einstige mit Milliarden geförderte Vorzeigeprojekt von NuScale Power (USA) wurde nach einer Kostensteigerung von 5,3 auf 9,3 Milliarden Dollar gestoppt.“

AfD geht noch weiter als Söder

Scharfer Widerspruch gegen Söder kommt auch von Grünen-Fraktionsvizechefin Julia Verlinden, die ein „klassisches Ablenkungsmanöver“ vermutet, das „der Wettbewerbsfähigkeit und dem Klimaschutz“ schade. „Wenn es Markus Söder wirklich um günstigen Strom ginge, dann würde er endlich den Ausbau von Windkraft auch in Bayern voranbringen.“ Letztere habe „neben der Solarenergie die mit Abstand günstigsten Stromgestehungskosten – und viele Unternehmen bauen inzwischen ihre eigenen Erneuerbaren-Anlagen, um günstig eigenen Strom zu nutzen und unabhängig von teuren fossilen Energien zu werden“. Verlinden sagt: „Im Gegensatz zu Söders fernen und riskanten Zukunftsträumen von teuren, experimentellen Reaktoren sind erneuerbare Energien sofort einsetzbar und schaffen Wertschöpfung vor Ort.“

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Weiter fordert die Grünen-Politikerin: „Um auch Bayern vor extremen Wetterereignissen wie Überschwemmungen oder Dürren als Auswirkungen der Klimakrise zu schützen, sollte die Bundesregierung endlich ihren Feldzug gegen den Ausbau von erfolgreichen Erneuerbaren beenden und dazu die Wärmewende voranbringen: mit dem Fortbestand des Gebäude-Energie-Gesetzes sowie der Förderung für Heizungstausch und Gebäudesanierung würde Unternehmen und Verbraucher*innen Planungssicherheit gegeben.“

Linke-Fraktionsvize Luigi Pantisano schlägt in eine ähnliche Kerbe. „Bayern täte gut daran, den Rückstand bei Windkraftanlagen im eigenen Bundesland zügig aufzuholen. Stattdessen erinnert die Argumentation von Markus Söder an einen Drogensüchtigen auf Entzug: Die Gefahren für Natur und Mensch scheinen ihn nicht zu interessieren, er will noch einen Schuss Verbrenner-Motor, einen letzten Schuss fossiles Gas und noch mal einen Schuss Atomkraft. Dabei ist diese Technik noch nirgendwo im Einsatz, auch nicht in Kanada, auf das sich Söder bezieht.“

Auch Pantisano verweist auf das gestoppte Projekt von NuScale Power. „Zudem bleibt das Entsorgungsproblem – fehlendes sicheres Endlager für den nuklearen Brennstoff – weiter ungelöst. Und es stellt sich die Frage, ob Söder denn auch bereit wäre, solche Atomkraftwerke in der bayerischen Landschaft aufzustellen“, so der Linke-Politiker. Sein Plädoyer: „Die Wirtschaft braucht endlich Klarheit durch politische Rahmenbedingungen und Investitionen in klimagerechte Technologien, statt immer in die Vergangenheit zu blicken.“

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Der stärkste Zuspruch für Söders Forderung kommt von Paul Schmidt, Sprecher der „Arbeitsgemeinschaft Kernkraft“ der AfD im Bundestag, und seinem Stellvertreter Rainer Kraft, die WELT mitteilen: Ihre Fraktion halte „es grundsätzlich für richtig und erstrebenswert, SMR in die Deutschland künftig zur Verfügung stehenden Stromerzeugungsmöglichkeiten einzubeziehen“. Schmidt und Kraft gehen allerdings deutlich weiter als der CSU-Chef: „Darüber hinaus müssen aber im ersten Schritt unsere bereits vorhandenen Kernreaktoren so schnell wie möglich wieder lauffähig gemacht und ans Netz gebracht werden.“

Als konkrete Beispiele nennen die AfD-Politiker die drei 2023 abgeschalteten Kraftwerke Neckarwestheim II, Isar 2 und Emsland. „Zudem dürfte insbesondere das Kernkraftwerk Brokdorf relativ schnell wieder ans Netz zu bringen sein.“ Bei allen anderen Atomkraftwerken sei „eine Prüfung erforderlich, welcher Umfang an Ersatz der nötigen Komponenten erforderlich ist und wie schnell und zu welchen Kosten das jeweilige Kernkraftwerk renoviert werden kann“. Dass solche Renovierungen möglich seien, hätten Zulieferfirmen bereits in den USA unter Beweis gestellt: Dort seien viele Kraftwerksblöcke mit dem Ziel einer Laufzeitverlängerung auf jeweils insgesamt 60 Jahre renoviert worden. Dabei seien „auch sehr große Komponenten wie Dampferzeuger und Hauptkühlmittelpumpen ausgetauscht“ worden.

Johannes Wiedemann ist Leitender Redakteur Politik Deutschland.

Source: welt.de

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