Energiewende: Heraeus-Chef Jan Rinnert kritisiert die Politik

Den Begriff Traditionsunternehmen mag Heraeus-Chef Jan Rinnert nicht sonderlich. Das ist eine überraschende Aussage aus dem Mund eines Vorstandsvorsitzenden, dessen Unternehmen auf 364 Jahre Geschichte zurückblickt. Doch bei allem Traditionsbewusstsein, sagte Rinnert vergangene Woche vor den Mitgliedern der Wirtschaftsinitiative Frankfurt/Rhein-Main, „ist uns klar, dass wir uns immer wieder verändern und weiterentwickeln müssen“. Das von ihm bevorzugte Bild für das Hanauer Unternehmen sei deshalb ein Baum: „Fest verwurzelt, dicker Stamm, junge Triebe.“ Die Triebe stünden für Neuentwicklungen.

Als Beispiel nannte Rinnert eine Recyclinganlage für Seltene-Erden-Magnete, die Heraeus wenige Tage vor seinem Auftritt in Sachsen-Anhalt eröffnet hatte. Magnete aus Seltenen Erden werden dem Unternehmen zufolge unter anderem in Motoren von Elektroautos und Windkraftturbinen verwendet. Mit dem Recycling von Altmagneten könnten Treibhausgasemissionen vermieden und gleichzeitig wichtige Rohstoffe für die europäische Industrie gesichert werden.

Innovationskraft hat die Familie Heraeus, in die der 55 Jahre alte Rinnert eingeheiratet hat, häufig bewiesen. Die Entwicklung eines Verfahrens für das Schmelzen von Platin war der Grund dafür, dass die Apotheker-Dynastie im 19. Jahrhundert ihre erste Fabrik errichtete. Im Jahr 1900 sicherte sich das Unternehmen das Patent für die Herstellung von Quarzglas – ein Material, das heute unter anderem für die Herstellung von Glasfaserkabeln für schnelles Internet eingesetzt wird.

Weltweit mehr als 17.000 Mitarbeiter

Ein Quarzglasprodukt von Heraeus befindet sich sogar auf dem Mond: Bei der ersten Mondlandung 1969 platzierte die Besatzung des Raumschiffs Apollo 11 einen Reflektor aus Quarzglas auf der Oberfläche des Erdtrabanten. Dieser wirft seither Laserstrahlen, die von einer Bodenstation auf der Erde zum Mond geschickt werden, wieder zurück. Anhand der Reisezeit der Lichtstrahlen konnte die Entfernung zwischen Erde und Mond ermittelt werden, die ungefähr 384.000 Kilometer beträgt. „Wir bei Heraeus sind sehr stolz darauf, das einzige Produkt auf dem Mond hinterlassen zu haben, das kein Schrott ist“, sagte Rinnert bei der Veranstaltung am Freitag, die von F.A.,Z.-Herausgeber Carsten Knop moderiert wurde.

Heraeus ist in 40 Ländern aktiv und beschäftigt weltweit mehr als 17.000 Mitarbeiter. Zur Produktpalette gehören auch Silberpasten für Solarzellen, Metalltinten für die Beschichtung von Halbleiterpaketen zum Schutz vor elektromagnetischer Strahlung oder Knochenzement für die Verankerung von Prothesen.

Das Sortiment an Materialien, Bauteilen und Verfahren sei so groß, dass Manager in den Neunzigerjahren das Unternehmen intern als „explodierte Apotheke“ bezeichnet hätten, berichtete Rinnert. Das sei durchaus positiv gemeint gewesen. So habe die einstige Apotheke eine Menge Energie freigesetzt und sei explosionsartig gewachsen. Aber als Geisteswissenschaftler empfinde er Explosion als Chaos, so der studierte Jurist und Betriebswirt, der seit 2004 für Heraeus arbeitet. Deshalb habe er das Unternehmen neu organisiert, und zwar in 20 Einheiten mit jeweils eigener Organisationsstruktur. „Wir gucken jetzt auf jedes Geschäft, als wäre es das einzige Unternehmen, das wir haben.“

Nach Rinnerts Einschätzung war diese 2018 begonnene Neuorganisation erfolgreich: „Die letzten drei Jahre waren die drei besten der Firmengeschichte.“ Konkrete Zahlen hat Heraeus zuletzt für 2022 veröffentlicht, damals erwirtschaftete das Familienunternehmen einen Nettogewinn von rund 500 Millionen Euro.

„Da fehlt mir ein bisschen die planerische Perspektive“

Der Umsatz werde je zu einem Drittel in Amerika, Asien und Europa erzielt, sagte Rinnert. Auf den deutschen Heimatmarkt entfalle nur noch ein Anteil von zehn Prozent. „Wir stehen vor der Herausforderung, unseren Wohlstand auf Dauer zu sichern“, warnte er. Dagegen böten die USA „ein hochgradig attraktives Umfeld für Investitionsentscheidungen“. Sorgen bereitet Rinnert vor allem die Energiepolitik. Dass die geplanten Stromtrassen von den Windparks in der Nordsee Richtung Süden weitgehend unter der Erde verlegt werden sollten, sei „unsinnig“, sagte er. „Die Energiewende ist nie durchgerechnet worden – das ist hochgradig gefährlich.“ Unternehmen werde damit die Planung von Investitionen erschwert. So stehe Heraeus vor der Entscheidung über einen Standort für eine neue Quarzglasfabrik, „da fehlt mir ein bisschen die planerische Perspektive“. Näher äußerte sich Rinnert dazu nicht. Ein Heraeus-Sprecher teilte auf Nachfrage mit, das Unternehmen evaluiere derzeit „einen geeigneten Standort, der auch Einfluss auf den Zeithorizont hat“.

Die „Wirtschaftsgespräche am Main“ sind eine Veranstaltung des Hotels Steigenberger Frankfurter Hof, der Wirtschaftsinitiative Frankfurt/Rhein-Main, der Messe Frankfurt und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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