Energiewende | Energiewende wegen des Ukraine-Kriegs? Daraus wird wohl nichts

Der Ukraine-Krieg treibt die Gaspreise in Europa in die Höhe Auch deshalb werden hierzulande Projekte für mehr Erneuerbare Energie beschleunigt. Gut so, könnte man meinen. Aber hat das Klima auch wirklich etwas davon?

Die aktuelle Energiekrise in Europa – ausgelöst durch den Ukraine-Krieg und die in seinem Gefolge von der EU-Kommission verhängten Sanktionen, die unter anderem auch Importe von Kohle und Erdöl aus Russland verbieten– verleiht dem Umbauprozess Richtung klimaneutraler Energieerzeugung hierzulande einen kräftigen Schub. Zwar importiert Deutschland wieder mehr Kohle als im vergangenen Jahr und mengenmäßig so viel wie 2019. Aber die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Projekte rund um erneuerbare Energien und die Aussicht, LNG-Terminals eines Tages für grün erzeugten Wasserstoff nutzen zu können, erweckt den Eindruck, als ob endlich einmal die von aktuellen Entwicklungen mehr oder weniger diktierte Tagespolitik mit langfristig notwendigen Entscheidungen für den Klimaschutz Hand in Hand gehe. Der Druck, den der Krieg erzeugt habe, führe jetzt zu den erforderlichen Anstrengungen, so die Einschätzung vieler.

Doch ist es wirklich so, dass die Bemühungen, die Versorgungssicherheit zu erhöhen und unabhängig von Gas- und Erdöllieferungen aus Russland zu werden, auch dem Klima zugutekommen? Selbst wenn man von dem kurzfristig erhöhten Kohleverbrauch absieht und Gas als Brückentechnologie für den Übergang zu klimaneutraler Produktion als unumgänglich ansieht und insofern neue LNG-Terminals und zukünftige Gaslieferungen etwa aus Afrika begrüßt, muss man sich eingestehen, dass das nationale Interesse bzw. das Interesse eines ganzen energiehungrigen Kontinents an Energieversorgungssicherheit nicht automatisch zu mehr Klimaschutz führt.

Wie in einem Zeitraffer führen die durch den Krieg angestoßenen Veränderungen im Energiebereich vor Augen, warum der Klimaschutz gemessen an den weltweiten CO2-Emissionen seit Jahren nicht vorankommt. Um das zu verstehen, sei zunächst an das Ziel erinnert, das die Sanktionen der EU-Kommission hatten. Es ging in erster Linie darum, Russland die Finanzierung des Kriegs gegen die Ukraine zu erschweren. Dieses Ziel wurde kurzfristig nicht erreicht. Im Gegenteil: Die Einnahmen aus fossilen Exporten, die Russland trotz geringerer Ausfuhrmengen in den letzten Monaten erzielt hat, sind im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Das liegt an der – wesentlich spekulationsgetriebenen – Preisentwicklung an den internationalen Rohstoffmärkten.

Wirken die Sanktionen denn wenigstens?

Auch das gelegentlich zu hörende Argument, wenigstens mittel- bis langfristig werde Russland durch die Sanktionen gegen seine fossilen Brennstoffe wirtschaftlich getroffen, trägt nicht weit. Denn Russland sucht sich zwischenzeitlich neue Abnehmer vor allem im asiatischen Raum, zu denen es bestehende Pipelines aus- oder neue aufbaut. Da die Grenzkosten der Rohstoffförderung gering sind, wenn ein Öl- oder Gasfeld erst einmal erschlossen ist und eine Transportmöglichkeit besteht, können in Zukunft eventuell sinkende Absatzpreise mit erhöhten Umsatzmengen ausgeglichen werden, um die fossilen Exporteinnahmen zu stabilisieren. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit, sich in Anbieterkartellen wie der OPEC+ gegen einen Preisverfall zu stemmen.

Die Mechanismen, die hier am Werk sind, hatte man in Brüssel offenbar nicht hinreichend bedacht, als man die Sanktionen erließ – genau wie man sie in den vielen Klimakonferenzen nicht wirklich zur Kenntnis genommen hat, um bei der Eindämmung der Erderwärmung voranzukommen: Zum einen funktionieren die internationalen Märkte für fossile Rohstoffe wie kommunizierende Röhren – was auf dem einen Markt nicht abgesetzt wird, wandert auf einen anderen. Zum anderen spiegeln Preisentwicklungen an diesen Märkten für gewissen Zeiträume nicht die Veränderung realer Knappheiten wider, weil mit Rohstoffen zu Spekulationszwecken gehandelt wird.

Die Sanktionen und die russische Reaktionen darauf haben in erster Linie bewirkt, dass in Europa mengenmäßig weniger fossile Rohstoffe aus Russland verbraucht werden. Auch insgesamt dürfte der fossile Import Europas zurückgegangen sein, da die ausgefallenen Mengen aus Russland kurzfristig nicht vollständig durch andere Anbieter ausgeglichen werden konnten. Das aber führt zu einem steigenden fossilen Angebot auf Märkten außerhalb Europas, das dort tendenziell preissenkend wirkt und dementsprechend die außereuropäische Nachfrage anregt. Die Preise dürften zudem unter Druck geraten, wenn ein Anbieter wie Russland von mächtigen, weil großen und politisch einflussreichen Abnehmerländern wie China oder Indien abhängig ist. Das erhöht die Bereitschaft des Anbieters, diesen Kunden bei den Preisen entgegenzukommen, was wiederum deren mengenmäßige Nachfrage stärkt.

Man mag einwenden, dass die Preise für fossile Brennstoffe zunächst einmal kräftig gestiegen sind, und zwar nicht nur in Europa, was doch die weltweite Nachfrage zurückgedrängt haben müsste. Das ist richtig und beginnt sich im konjunkturellen Verlauf der Weltwirtschaft niederzuschlagen. Aber auch das ist, so verwirrend es klingen mag, noch keine auf Dauer gute Nachricht für den Klimaschutz. Denn hohe Preise für fossile Rohstoffe locken auf Dauer neue Anbieter in die Märkte, darunter gerade auch solche aus ärmeren, rohstoffreichen Ländern, die dringend Devisen benötigen und daher am Ausbau der Förderung fossiler Rohstoffe zu Exportzwecken interessiert sind.

Europa wird grün, das Gas geht dann aber nach Asien

Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass man einen Markt nicht mit Marktmitteln austrocknen kann. Man bräuchte nämlich gleichzeitig steigende Preise zur Eindämmung der Nachfrage und sinkende Preise zur Eindämmung des Angebots. Will man das durch Besteuerung zum Beispiel mittels CO2-Zertifikaten erreichen, funktioniert es nur, wenn es weltweit gleich geregelt und durchgesetzt wird. Anderenfalls kommt es nur zu Verschiebungen wie den im Fall der Sanktionen beschriebenen.

Im Ergebnis stellt sich das europäische Streben nach Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen daher nicht nur als Schub für grüne Technologien hierzulande heraus, sondern auch als mehr oder weniger unfreiwillige Entwicklungshilfe: entweder bei sinkenden Preisen fossiler Rohstoffe für ärmere, auf Energieimporte angewiesene Staaten oder bei steigenden Preisen für ärmere, an fossilen Exporten interessierte Staaten. Das kann man in Hinblick auf die weltweite Verteilung von Einkommen und Vermögen gut oder in Hinblick auf die Verteilungswirkungen innerhalb Europas bzw. Deutschlands schlecht finden – für den Klimaschutz ist so oder so nichts gewonnen.

Selbst wenn Europa in der Lage wäre, zügig auf eine klimaneutrale Produktions- und Lebensweise umzusteigen, nützte sein Vorbild nach dem Motto „Seht her, es ist möglich, Klimaneutralität mit hohem Wohlstand zu verbinden“ nichts. Der auch von den Grünen propagierte Traum, die Vorreiterrolle für grüne Spitzentechnologien am Weltmarkt einzunehmen und durch den Export klimafreundlicher Lösungen die hiesigen Einkommen abzusichern, wird ein Traum bleiben: Ärmere Staaten können sich unsere Spitzentechnologien nicht leisten, jedenfalls nicht, solange Europa und allen voran Deutschland Exportüberschüsse erzielt und damit anderen Staaten auf Drittmärkten die Nachfrage abgräbt. Selbst bei ausgeglichenem Handel dürfte es viele Jahre dauern, bis ärmere Länder durch eigene Exportanstrengungen in den Besitz grüner Technologien in einem Ausmaß kämen, das sich beim Klimaschutz bemerkbar machte.

Es gibt noch eine andere Möglichkeit, nämlich Subventionen: Europa schenkt den ärmeren Staaten die erforderliche grüne Technologie oder überlässt sie ihnen extrem kostengünstig und verschafft ihnen Zugang zu Patenten und Know-how, um im Gegenzug zu verlangen, dass diese Staaten keine oder laufend weniger fossile Rohstoffe fördern und verbrauchen. Doch dieser Weg ist politisch so gut wie ausgeschlossen, wie sich an den gähnend leeren Fördertöpfen ablesen lässt, die der Öffentlichkeit am Ende der COP27 aufgetischt wurden – daran ändert auch der von Olaf Scholz angeregte Klimaclub nichts. Wer Europas Ringen um Energiesicherheit und -unabhängigkeit als Beitrag zum weltweiten Klimaschutz deklariert, macht sich und anderen etwas vor.

Friederike Spiecker ist Diplom-Volkswirtin. Sie publiziert unter www.fspiecker.de zu aktuellen Wirtschaftsthemen, berät Parteien, Gewerkschaften und Verbände, ist in der Weiterbildung von Lehrkräften tätig und lehrt an der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd das Fach Ökonomie. Kürzlich hat sie in Zusammenarbeit mit Heiner Flassbeck und Constantin Heidegger den Atlas der Weltwirtschaft 2022/23 veröffentlicht.

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