Ende jener Ampel: Das Statement von Olaf Scholz im Wortlaut

„Meine
Damen und Herren! Ich habe den Bundespräsidenten soeben um die
Entlassung des Bundesministers der Finanzen gebeten. Ich sehe mich zu
diesem Schritt gezwungen, um Schaden von unserem Land abzuwenden. Wir
brauchen eine handlungsfähige Regierung, die die Kraft hat, die nötigen
Entscheidungen für unser Land zu treffen.

Darum ging es mir in
den vergangenen drei Jahren. Darum geht es mir jetzt. Ich habe dem
Koalitionspartner von der FDP heute Mittag noch einmal ein umfassendes
Angebot vorgelegt, mit dem wir die Lücke im Bundeshaushalt schließen
können, ohne unser Land ins Chaos zu stürzen. Ein Angebot zur Stärkung
Deutschlands in schwieriger Zeit. Ein Angebot, das auch Vorschläge der
FDP aufgreift, das aber zugleich deutlich macht angesichts der
Herausforderungen, vor denen wir gemeinsam stehen, brauchen wir größeren
finanziellen Spielraum.

Mein Angebot umfasste vier Kernpunkte.
Erstens: Wir sorgen für bezahlbare Energiekosten und deckeln die
Netzentgelte für unsere Unternehmen. Das stärkt den Wirtschaftsstandort
Deutschland.

Zweitens: Wir schnüren ein Paket, das Arbeitsplätze in der Automobilindustrie und bei den vielen Zuliefererbetrieben sichert.

Drittens:
Wir führen eine Investitionsprämie ein und verbessern noch einmal die
steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten, damit Unternehmen jetzt in den
Standort Deutschland investieren.

Und viertens: Wir erhöhen
unsere Unterstützung für die Ukraine, die einem schweren Winter
entgegengeht. Nach der Wahl in den USA sendet das ein ganz wichtiges
Signal: Auf uns ist Verlass. Ich muss jedoch abermals feststellen: Der
Bundesfinanzminister zeigt keinerlei Bereitschaft, dieses Angebot zum
Wohle unseres Landes in der Bundesregierung umzusetzen. Ein solches
Verhalten will ich unserem Land nicht länger zumuten.

„Wir müssen in Europa mehr den je zusammenhalten“

Liebe
Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich hätte Ihnen diese schwierige
Entscheidung gern erspart. Erst recht in Zeiten wie diesen, in denen die
Unsicherheit wächst. In den USA hat Donald Trump die
Präsidentschaftswahl klar gewonnen. Dazu habe ich ihm bereits heute
gratuliert. Als deutscher Bundeskanzler ist es für mich
selbstverständlich, dass ich mit dem künftigen Präsidenten der
Vereinigten Staaten gut zusammenarbeiten werde. Gerade in unsicheren
Zeiten kommt es auf ein enges transatlantisches Verhältnis an.

Klar
ist, Deutschland wird seiner Verantwortung gerecht werden müssen. Und
wir müssen in Europa mehr denn je zusammenhalten und gemeinsam weiterhin
in unsere eigene Sicherheit und Stärke investieren. Denn die Lage ist
ernst. Es herrscht Krieg in Europa. Im Nahen Osten erhöhen sich die
Spannungen. Gleichzeitig tritt unsere Wirtschaft auf der Stelle.

Der
schwache Welthandel macht den Unternehmen zu schaffen. Die
Energiepreise infolge des russischen Angriffskriegs, die Kosten für die
Modernisierung unserer Wirtschaft, all das müssen Sie stemmen. Meine
Gespräche mit der Wirtschaft zeigen: Unsere Unternehmen brauchen
Unterstützung, und zwar jetzt. Wer sich in einer solchen Lage einer
Lösung, einem Kompromissangebot verweigert, der handelt
verantwortungslos. Als Bundeskanzler kann ich das nicht dulden.

„Solcher Egoismus ist völlig unverständlich“

Immer
wieder habe ich in den vergangenen drei Jahren Vorschläge gemacht, wie
eine Koalition aus drei unterschiedlichen Parteien zu guten Kompromissen
kommen kann. Das war oft schwer, das ging mitunter hart an die Grenze
auch meiner politischen Überzeugung. Aber es ist meine Pflicht als
Bundeskanzler, auf pragmatische Lösungen zum Wohle des ganzen Landes zu
drängen. Zu oft wurden die nötigen Kompromisse übertönt durch öffentlich
inszenierten Streit und laute ideologische Forderungen. Zu oft hat
Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert. Zu oft hat er
kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen
gebrochen. Sogar die Einigung auf den Haushalt hat er einseitig wieder
aufgekündigt, nachdem wir uns in langen Verhandlungen bereits darauf
verständigt hatten. Es gibt keine Vertrauensbasis für die weitere
Zusammenarbeit. So ist ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich.

Wer
in eine Regierung eintritt, der muss seriös und verantwortungsvoll
handeln. Der darf sich nicht in die Büsche schlagen, wenn es schwierig
wird. Der muss zu Kompromissen im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger
bereit sein. Darum aber geht es Christian Lindner gerade nicht. Ihm
geht es um die eigene Klientel. Ihm geht es um das kurzfristige
Überleben der eigenen Partei. Gerade heute, einen Tag nach einem so
wichtigen Ereignis wie den Wahlen in Amerika ist solcher Egoismus
vollkommen unverständlich. Streit auf offener Bühne hat viel zu lange
den Blick für das verstellt, was diese Regierung gemeinsam vorangebracht
hat.

Beim Thema irreguläre Migration kommen wir voran.
Gegenüber dem Vorjahr konnten wir sie zuletzt um mehr als 50 Prozent
verringern. Im Einsatz für sichere Energie und Klimaschutz machen wir
große Fortschritte. Erstmals sind wir auf Kurs, unsere Ausbauziele für
Windkraft und Solarenergie wirklich zu erreichen. Die Inflation ist auf 2
Prozent gesunken, die Reallöhne und die Renten steigen wieder. Wir
haben Deutschlands Energieversorgung gesichert und die Energiepreise
stabilisiert. Noch vor einigen Jahren musste fast jeder Vierte im
Niedriglohnsektor arbeiten. Heute ist es nur noch jeder Siebte.

All
das sind gute Nachrichten. All das hat die Regierung aus SPD, Grünen
und auch FDP zusammen erreicht. Als Bundeskanzler habe ich einen Amtseid
geschworen. Dieser Eid hat für mich große Bedeutung. Ich halte stets
das Wohl unseres ganzen Landes im Blick. Meine feste Überzeugung lautet:
Niemals, niemals dürfen wir innere, äußere und soziale Sicherheit
gegeneinander ausspielen. Das gefährdet unseren Zusammenhalt. Das
gefährdet am Ende sogar unsere Demokratie.

„Das ist nicht anständig, das ist nicht gerecht“

Warum sage ich das?
Bundesminister Lindner hat ultimativ und öffentlich eine grundlegend
andere Politik gefordert. Milliardenschwere Steuersenkungen für wenige
Spitzenverdiener und zugleich Rentenkürzung für alle Rentnerinnen und
Rentner. Das ist nicht anständig, das ist nicht gerecht. Steuergeschenke
mit der Gießkanne und zur Gegenfinanzierung ein Griff in die Tasche
unserer Städte und Gemeinden. Ein Ausstieg aus Investitionen in die
klimafreundliche Modernisierung unseres Landes: Auch das will Christian
Lindner. Das schürt Unsicherheit in unserer Wirtschaft. Und es verspielt
unsere Chance, bei den Technologien der Zukunft vorne dabei zu sein.
Die USA, China und andere schlafen nicht.

Verklausuliert
spricht Christian Lindner von der Hebung von Effizienzreserven in
unseren Sozialversicherungssystemen. Dahinter aber verbergen sich harte
Einschnitte bei Gesundheit und Pflege und weniger Sicherheit, wenn
jemand in Not gerät. Das ist respektlos gegenüber allen, die sich diese
Sicherheiten hart erarbeitet haben, gegenüber allen, die Steuern und
Sozialabgaben zahlen.

Politik beginnt mit der Betrachtung der
Wirklichkeit. Und die Wirklichkeit für Deutschland ist: Russlands
Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Sicherheitslage auf Jahre hinaus
tiefgreifend verändert. Wir müssen erheblich mehr in unsere Verteidigung
und in die Bundeswehr investieren. Übrigens gerade jetzt, nach dem
Wahlausgang in den USA. 1,2 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer haben
bei uns vor dem russischen Bombenterror Schutz gefunden. Das bleibt
richtig. Mit bald 30 Milliarden Euro unterstützen wir die Ukraine in
ihrem Abwehrkampf. Auch das tun wir deshalb, weil es unseren eigenen
Sicherheitsinteressen dient.

Ein russischer Sieg käme uns
vielfach teurer zu stehen. Die Unterstützung der Ukraine ist und bleibt
wichtig. Und ich sage auch ganz klar: Ich bin nicht bereit, unsere
Unterstützung für die Ukraine und Investitionen in unsere Verteidigung
zulasten des sozialen Zusammenhalts zu finanzieren, zulasten von Rente,
Gesundheit oder Pflege. Beides muss sein. Sicherheit und Zusammenhalt.

Das Entweder-Oder „ist Gift und unnötig“

Deshalb
werde ich die Bürgerinnen und Bürger auch nicht vor die Wahl stellen:
Entweder wir investieren genug in unsere Sicherheit oder wir investieren
in gute Arbeitsplätze, in eine moderne Wirtschaft und eine
funktionierende Infrastruktur. Dieses Entweder-Oder ist Gift. Entweder
Sicherheit oder Zusammenhalt. Entweder die Ukraine unterstützen oder in
Deutschlands Zukunft investieren: Diesen Gegensatz aufzumachen ist
falsch und gefährlich. Das ist Wasser auf die Mühlen der Feinde unserer
Demokratie. Vor allem aber ist dieses Entweder-Oder auch vollkommen
unnötig. Denn Deutschland ist ein starkes Land. Unter allen großen
wirtschaftsstarken Demokratien haben wir mit weitem Abstand die
geringste Verschuldung.

Es gibt Lösungen, wie wir unser
Gemeinwesen und seine Aufgaben solide finanzieren können. Es gibt
Lösungen für einen Haushalt, der innere, äußere und soziale Sicherheit
gleichzeitig stärkt. Eine solche Lösung habe ich vorgeschlagen. Das
Grundgesetz sieht in Artikel 115 ausdrücklich vor, in einer
außergewöhnlichen Notsituation ein Überschreitensbeschluss zu fassen, so
wie das die Koalition Ende vergangenen Jahres übrigens genau für diesen
Fall vereinbart hatte. Der russische Angriffskrieg, der nun schon im
dritten Jahr tobt, sowie alle seine Folgen sind eine solche
Notsituation.

Wenn eine Notsituation vorliegt, dann aber hat die
Bundesregierung nicht nur das Recht zu handeln. Dann ist Handeln
Pflicht. Wie geht es nun weiter? Bundesminister Lindner wird vom
Bundespräsidenten entlassen. Mit Vizekanzler Robert Habeck bin ich mir
einig. Deutschland braucht schnell Klarheit über den weiteren
politischen Kurs.

Der reguläre Termin für die Bundestagswahl im
Herbst nächsten Jahres liegt noch in weiter Ferne. In den verbleibenden
Sitzungswochen des Bundestages bis Weihnachten werden wir alle
Gesetzentwürfe zur Abstimmung stellen, die keinerlei Aufschub dulden.

Dazu
zählt der Ausgleich der kalten Progression, damit alle
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab dem 1. Januar mehr Netto vom
Brutto haben. Dazu zählt die Stabilisierung der gesetzlichen Rente. Dazu
zählt die schnelle Umsetzung der Regeln des Gemeinsamen Europäischen
Asylsystems. Dazu zählen Sofortmaßnahmen für unsere Industrie, über die
ich derzeit mit Unternehmen, Gewerkschaften und Industrieverbänden
spreche.

Bis zur letzten Sitzung des Bundesrates in diesem
Jahr, am 20. Dezember, sollten diese Beschlüsse gefasst sein. Gleich in
der ersten Sitzungswoche des Bundestages im neuen Jahr werde ich dann
die Vertrauensfrage stellen, damit der Bundestag am 15. Januar darüber
abstimmen kann. So können die Mitglieder des Bundestages entscheiden, ob
sie den Weg für vorgezogene Neuwahlen frei machen.

Bei Stärkung unserer Wirtschaft und Verteidigung „konstruktiv zusammenarbeiten“

Diese Wahlen
könnten dann unter Einhaltung der Fristen, die das Grundgesetz
vorsieht, spätestens bis Ende März stattfinden. Meine Damen und Herren,
ich werde nun sehr schnell auch das Gespräch mit dem Oppositionsführer,
mit Friedrich Merz suchen. Ich möchte ihm anbieten in zwei Fragen, gerne
auch mehr, die entscheidend sind für unser Land, konstruktiv
zusammenzuarbeiten: Bei der schnellen Stärkung unserer Wirtschaft und
unserer Verteidigung.

Denn unsere Wirtschaft kann nicht warten,
bis Neuwahlen stattgefunden haben. Und wir brauchen jetzt Klarheit, wie
wir unsere Sicherheit und Verteidigung in den kommenden Jahren solide
finanzieren, ohne dafür den Zusammenhalt im Land aufs Spiel zu setzen.
Auch mit dem Blick auf die Wahlen in Amerika ist das vielleicht
dringender denn je. Es geht darum, jene Entscheidung zu treffen, die
unser Land jetzt braucht. Darüber werde ich mit der verantwortlichen
Opposition das Gespräch suchen.

Liebe Mitbürgerinnen und
Mitbürger, als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werde ich
weiter meine gesamte Kraft dafür aufwenden, unser Land durch diese
schwierige Zeit zu führen. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit den
richtigen Entscheidungen gestärkt aus dieser Krise herauskommen werden.

Eine
persönliche Bemerkung möchte ich noch hinzufügen. Ich habe zu Anfang
über die Notwendigkeit gesprochen, Kompromisse zu schließen. Diese
Fähigkeit darf uns nicht abhandenkommen. Wer in den vergangenen Wochen
in die USA geblickt hat, der hat ein Land erlebt, das tief zerrissen
ist. Ein Land, wo politische Unterschiede Freundschaften und Familien
zerstört haben, wo Ideologie die Zusammenarbeit über politische Grenzen
hinweg fast unmöglich gemacht hat. Das darf uns in Deutschland nicht
passieren. Gerade weil wir es auch in Zukunft mit Wahlergebnissen zu tun
haben werden, die Kooperation und Kompromisse erfordern. Das ist oft
mühsam, aber genau das hat Deutschland stark gemacht. Das zeichnet uns
aus, und daran arbeite ich als Ihr Bundeskanzler. Schönen Dank.“

„Meine
Damen und Herren! Ich habe den Bundespräsidenten soeben um die
Entlassung des Bundesministers der Finanzen gebeten. Ich sehe mich zu
diesem Schritt gezwungen, um Schaden von unserem Land abzuwenden. Wir
brauchen eine handlungsfähige Regierung, die die Kraft hat, die nötigen
Entscheidungen für unser Land zu treffen.

Darum ging es mir in
den vergangenen drei Jahren. Darum geht es mir jetzt. Ich habe dem
Koalitionspartner von der FDP heute Mittag noch einmal ein umfassendes
Angebot vorgelegt, mit dem wir die Lücke im Bundeshaushalt schließen
können, ohne unser Land ins Chaos zu stürzen. Ein Angebot zur Stärkung
Deutschlands in schwieriger Zeit. Ein Angebot, das auch Vorschläge der
FDP aufgreift, das aber zugleich deutlich macht angesichts der
Herausforderungen, vor denen wir gemeinsam stehen, brauchen wir größeren
finanziellen Spielraum.

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