Die Flotte aus rund 40 Booten wollte humanitäre Hilfsgüter nach Gaza bringen. Dann stürmten israelische Einsatzkräfte die Schiffe und nahmen die Aktivisten fest. Nur ein Schiff könnte sich dem Zugriff entzogen haben
Israelische Streitkräfte stürmen die Schiffe der Flotilla
Foto: Anadolu Agency/Imago Images
Auf den verschiedenen Booten, Schiffen und Segeljachten der Global Sumud Flotilla, die seit einigen Wochen quer durchs Mittelmeer schippern, sitzen die Besatzungen im Kreis. Sie tragen Rettungswesten. Die Bilder überträgt ein Livestream von Kameras, die auf den Booten verteilt sind. Scheinwerfer nehmen ein Boot ins Visier, die Besatzung hebt die Arme, dann bricht nach und nach die Verbindung ab. Immer wieder sieht man Silhouetten von Kriegsschiffen und einen Wasserstrahl, der die Boote übergießt.
Der Livestream der Global Sumud Flotilla (GSF) zeigte die Nacht, auf die sich die Teams immer wieder vorbereitet haben. Die GSF wollten mit rund 40 Booten die israelische Seeblockade vor Gaza durchbrechen und Lebensmittel sowie Medikamente an Land bringen. Darüber hinaus planten sie, einen humanitären Korridor über See einzurichten.
Die Besatzung der Flotte besteht nach Angaben der GSF aus mehr als 500 Teilnehmern aus über 40 Ländern. Darunter Greta Thunberg, eine französische Europaabgeordnete und auch die deutsche Comedian Enissa Amani. In der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober enterten Soldaten der israelischen Marine die Boote, die zu dem Zeitpunkt in internationalen Gewässern fuhren.
Ruhe und Wut – dann kommen keine Nachrichten mehr
In der Nacht war auch die 18-jährige Medienkritikerin Judith Scheytt auf einem der Boote. Sie schreibt am Abend dem Freitag: „Sie kommen – mehrere Boote mitten in unserer Flotte – teils ohne Licht.“ Bereits um 20 Uhr abends geht sie davon aus, dass die Verbindung nach außen bald abbrechen wird.
Eine halbe Stunde später kommen keine Nachrichten mehr an sie durch. In den Wochen davor erzählte Scheytt, dass die Besatzung bereits auf diese Situation vorbereitet habe. So gebe es Sicherheitsprotokolle und Trainings. Auch seien zur Sicherheit auf jedem Boot Personen mit verschiedenen Pässen, um im Fall der Festnahme „die verschiedenen Privilegien der verschiedenen Pässe nutzen zu können“, sagte sie im Vorhinein.
Am Abend der Festnahme schreibt Scheytt: „Ich bin ruhig und ich bin wütend, dass sich ein Staat traut, eine humanitäre Mission aufzuhalten. Wir haben Babynahrung und Reis an Bord.“ Mittlerweile hat die deutsche Delegation der GSF auf Instagram Videos von insgesamt 14 deutschen Teilnehmern veröffentlicht, die die israelische Marine festgenommen haben soll. Scheytts Instagram-Account wurde von einem Unterstützerkreis übernommen. Ein Post bezeichnet das Vorgehen Israels als Kriegsverbrechen, da es humanitäre Hilfe behindere.
Schon vor der Sperrzone kam es zu Angriffen
Bereits im Vorhinein hatte die israelische Regierung angekündigt, die Schiffe vor Gaza zu stoppen. Sie bot der GSF an, zu einem Hafen außerhalb Gazas zu fahren und die Hilfsgüter dort zu übergeben. Das lehnte die GSF ab und wies darauf hin, dass kaum Hilfsgüter nach Gaza durchgelassen werden. Das israelische Außenministerium bezeichnete zudem die GSF in Beiträgen auf X als „Hamas Flotilla“ und behauptete, sie sei von der Hamas finanziert. Die GSF wies diese Vorwürfe zurück und sprach in Pressemitteilungen von einer „eskalierenden Rhetorik“ und einer Desinformationskampagne.
Noch bevor die Flotte in der Nähe der israelischen Blockade gelangt war, kam es im vergangenen Monat zu drei Angriffen auf die Boote der Flotilla. Als ein Teil der Schiffe in Tunesien ankerten, sollen Drohnen zwei Schiffe in Brand gesteckt haben. Vor einigen Tagen kam es dann nach Angaben der GSF zu mehreren Drohnenangriffen. Dabei habe es 13 Explosionen gegeben, bei denen Gegenstände auf Schiffe gefallen seien und zehn Schiffe beschädigt hätten. Zudem sei der Funk der Boote zwischenzeitlich gestört gewesen.
Teilnehmer auf dem Weg nach Israel zur Abschiebung
Mittlerweile hat das israelische Außenministerium Bilder von Greta Thunberg veröffentlicht und schrieb dazu: „Die Mitglieder der Hamas-Flotilla sind nun auf friedlichem und sicherem Weg nach Israel.“ Von dort sollen sie nach Europa ausgewiesen werden. Währenddessen veröffentlicht die GSF weitere Videos, die zeigen, wie die bewaffneten Soldaten die Besatzungen der Boote festnehmen, und ruft zu Protesten auf.
Bereits in der Nacht kam es in der Türkei, Italien, Griechenland und auch in Berlin und Köln zu spontanen Demonstrationen. Bei der Demonstration in Berlin kam es zudem zu Festnahmen durch die Polizei. Die Nachricht erreichte auch Judith Scheytt, die dem Freitag schreibt: „Ich möchte Deutschland sagen, dass sie raus auf die Straßen müssen und wir schon Berichte erhalten, dass Menschen in Berlin auf den Straßen sind. Das bedeutet uns viel.“ In Deutschland waren für heute bereits in 30 Städten Proteste angemeldet.
Ein Boot könnte vor Gaza liegen
Auch Regierungen kritisieren die Festnahme der Flotilla. Die Türkei veröffentlichte ein Statement und bezeichnete die Festnahme als „Akt des Terrors, der internationales Recht verletzt“. Auch aus Frankreich kam Kritik an dem Vorgehen Israels. In Italien wurden zwischenzeitlich Bahnhöfe blockiert und für Freitag zum Generalstreik aufgerufen.
Der Online-Tracker der GSF zeigt an, dass wahrscheinlich 40 Boote der Flotte geentert wurden. Auf X spricht die GSF von 12 Booten, die weiterhin nach Gaza segeln. Auf dem Online-Tracker sind lediglich drei verbleibende Boote zu erkennen, eins liegt laut Tracker nur rund 20 Kilometer vor der Küste Gazas entfernt.
Es wäre das erste Boot seit 2010, das die palästinensische Küste erreicht. Nach Angaben des israelischen Außenministeriums seien bis auf ein Schiff alle unter israelischer Kontrolle. Das verbliebene Boot sei weit entfernt, und wenn es versuche, in den israelischen Sperrbereich einzudringen, werde auch dieses festgesetzt.