Elon Musk und Alice Weidel: Was die beiden trennt

Am Ende begaben sich die Gesprächspartner auf den Mars. Ob es noch etwas gebe, was sie besprechen wollte, fragte der Tech-Unternehmer und künftige US-Präsidentenberater Elon Musk seine Gesprächspartnerin, die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel. Es klang ein bisschen wie ein Bewerbungsgespräch, und in gewisser Weise war es das auch: Schließlich hatte der Amerikaner die Partei seiner deutschen Gesprächspartnerin zur Wahl empfohlen, und an ein paar wenigen Punkten stellte er ihr so etwas wie Examensfragen, beispielsweise zum Existenzrecht des Staates Israel.

Am Schluss wollte Weidel von Musk aber bloß noch wissen, wie es um dessen Mars-Projekt stehe. Er legte daraufhin eine knappe Viertelstunde lang dar, warum es für das Überleben einer Zivilisation sicherer sei, über ein zweites Standbein auf einem anderen Planeten zu verfügen.

So ging zuletzt ein groß angekündigtes Gespräch auf Musks Plattform X zu Ende, das ansonsten um Energie- und Bildungsfragen, Steuern und Bürokratie, aber auch um die historische Rolle Adolf Hitlers kreiste, die Weidel eklatant verharmloste. Die beiden kicherten viel, auch bei überaus ernsten Themen, versicherten sich ihrer gegenseitigen Übereinstimmung, sparten Meinungsverschiedenheiten aus.

Gemeinsam ist ihnen nur die Negativität

Und davon gibt es in der Tat viele. Es genügt ein Blick in den Entwurf des Wahlprogramms, über das die in Teilen verfassungsfeindliche AfD an diesem Wochenende auf ihrem Parteitag in Riesa berät, um festzustellen: Von den libertären Ideen, die der Multimilliardär vertritt, sind seine neuen deutschen Freunde einigermaßen weit entfernt. Auch in Energiefragen trennt die deutschen Rechtspopulisten einiges vom amerikanischen Elektroauto-Pionier, dessen Fabrik im brandenburgischen Grünheide die Partei einst bekämpfte. Gemeinsam ist ihnen eigentlich nur die Negativität.

Weidel mühte sich in dem Gespräch, solche Differenzen tief zu hängen. Der Amtsantritt Donald Trumps in wenigen Tagen, die österreichischen Koalitionsgespräche über eine FPÖ-geführte Regierung: Die AfD will in diesen Tagen von dem Eindruck profitieren, es gebe eine Internationale der Nationalisten, die nicht bloß weltweit auf dem Vormarsch sei, sondern in wesentlichen Fragen auch einig. Ob es Musk und der künftigen US-Regierung mit ihren Wahlempfehlungen vorrangig um eine Schwächung Europas geht, spielt in diesem Kalkül keine Rolle.

Tatsächlich nehmen im Programmentwurf der AfD anti-etatistische Positionen einen breiten Raum ein. Die Partei will Bürokratie abbauen und Vorschriften abschaffen, das alles radikaler als etwa die FDP oder die Unionsparteien. Und vor allem will sie die Steuern senken: Der Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer soll steigen und die Erbschaftsteuer entfallen, steigende Sozialbeiträge will sie über die Steuer wieder ausgleichen und die Belastung in der Gastronomie senken.

Große Pläne für die Rente

Nach Berechnungen des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) würden sich die staatlichen Einnahme-Ausfälle auf 149 Milliarden Euro im Jahr belaufen, das ist sogar etwas mehr als nach den Plänen der FDP – und viel mehr als jene 89 Milliarden Euro aus dem Unionsprogramm, die nach jüngsten Verlautbarungen zur besseren Verträglichkeit über vier Jahre gestreckt werden sollen. Die Schuldenbremse einhalten will die AfD aber trotzdem, wie das gehen soll, bleibt unklar: Selbst ein Wegfall aller Kosten für das Bürgergeld oder die Integration von Migranten könnte diese Summe nicht kompensieren.

Das ist aber noch nicht alles. Denn in der Sozialpolitik plant die Partei gewaltige zusätzliche Ausgaben. Das Thema war vor ein paar Jahren in der Partei noch heiß umstritten, vor allem zwischen west- und ostdeutschen Parteivertretern. Aufgrund dieser Uneinigkeit drückte sich die Partei lange um ein eigenes Rentenkonzept. Auf einem Bundesparteitag im nordrhein-westfälischen Kalkar wurde die Sache vor gut vier Jahren aber entschieden. Der damalige Parteivorsitzende Jörg Meuthen konnte sich schon im Vorfeld mit seinem Konzept einer Grundrente plus privater Vorsorge nicht durchsetzen. Und Weidel, obwohl von Haus aus keine Sozialstaatsfreundin, rüttelt nicht daran. Ihr Versuch aus dem Musk-Gespräch, ausgerechnet Adolf Hitler aufgrund seines Parteinamens und der dirigistischen Wirtschaftslenkung als „Sozialisten“ zu beschimpfen, dürfte bei vielen in den Ost-Verbänden allerdings nicht auf Gegenliebe stoßen: Dort finden viele, dass zwischen einer „sozialen“ und einer „nationalen“ Politik keineswegs ein Widerspruch besteht, solange die Leistungen vorrangig an Einheimische gehen.

Und das Rentenkonzept, das die Partei in ihrem aktuellen Programmentwurf so detailliert ausbuchstabiert wie noch nie, hat es in sich. Hier hat die AfD tatsächlich ein wenig realistisches Alleinstellungsmerkmal, das so gar nicht den staatsfernen Ideen eines Elon Musk entspricht. Unter den Parteien des liberaldemokratischen Spektrums wagen es nicht einmal die Sozialdemokraten, ein höheres Rentenniveau zu versprechen, sie will das bestehende lediglich halten. Die AfD aber hat große Pläne. „Unser ferneres Ziel ist es, in mehreren Schritten das durchschnittliche Rentenniveau der westeuropäischen Länder zu erreichen, das derzeit bei gut 70 Prozent des letzten Nettoeinkommens und damit deutlich höher liegt als das deutsche“, heißt es im Programmentwurf. „Das deutsche Rentenniveau ist mit nur 53% des letzten Nettogehalts nach Eurostat eines der niedrigsten in Westeuropa.“

„Zusatzausgaben im dreistelligen Milliardenbereich“

Das große Vorbild dabei ist Österreich – ausgerechnet das Land, in dem die Koalitionsgespräche zwischen ÖVP, SPÖ und liberalen Neos am Streit über die prekären Rentenfinanzen scheiterten, die Defizite im Staatshaushalt mit verursachen. Die AfD rechnet vor, dass das höhere Rentenniveau im Nachbarland zu 30 Prozent aus höheren Beiträgen, zu weiteren 30 Prozent durch eine Beitragspflicht für alle Erwerbstätigen und zu 15 Prozent aus höheren Staatszuschüssen finanziert werden. Lediglich 25 Prozent seien auf eine jüngere Altersstruktur der Bevölkerung zurückzuführen, die sich kurzfristig nicht beeinflussen lasse.

Was das konkret bedeutet, kann IW-Forscher Jochen Pimpertz abschätzen. Der Anteil der Rentenausgaben am Bruttoinlandsprodukt liege in Österreich fast drei Prozentpunkte höher als in Deutschland, und die Beiträge liegen sogar um 4,2 Punkte über dem deutschen Niveau: 22,8 Prozent des Bruttoeinkommens sind an die Rentenkasse zu entrichten. Die AfD will das über Steuersenkungen wieder ausgleichen, was aber weitere Verluste für den Staatshaushalt bedeutet. Wie hoch sie genau ausfallen, das lässt sich aufgrund der vagen Angaben im AfD-Konzept nicht auf den Euro genau ausrechnen. So beziehen sich die 70 Prozent auf das letzte Nettoeinkommen und nicht auf die gesamte Erwerbsbiografie, was der Systematik des deutschen Rentenrechts eigentlich widerspricht. Und die 53 Prozent Rentenniveau, von denen derzeit die Rede ist, sind ohnehin nur eine abstrakte Rechengröße, das Verhältnis von Standardrente und Durchschnittseinkommen.

Überschlagen lassen sich die Kosten aber durchaus, und sie sind gewaltig. „Die versprochene Leistungsausweitung würde nach überschlägiger Rechnung zu erheblichen Zusatzausgaben führen, möglicherweise im dreistelligen Milliardenbereich“, sagt Pimpertz. Das käme dann zu den Steuerentlastungen in Höhe von 149 Milliarden Euro noch hinzu. Insgesamt würde also im Bundeshaushalt mehr als die Hälfte des Volumens von zuletzt 477 Milliarden Euro fehlen.

Jede Form von Klimapolitik wird abgelehnt

Aber auch in der Energiepolitik zeigten sich im X-Gespräch Differenzen zwischen Weidel und Musk. Gleich zu Beginn zog die AfD-Spitzenkandidatin über die deutsche Energiepolitik her, für die sie vor allem die frühere Kanzlerin Angela Merkel verantwortlich machte, nach wie vor die Lieblingsgegnerin ihrer Partei. Ihrem Plädoyer für die Kernenergie schloss sich Musk zwar an, allerdings nicht ohne ihren Tiraden gegen die Energiewende einen nüchternen Satz entgegenzusetzen: „Ich bin ein großer Fan der Solarenergie.“ Das konnte man sich durchaus denken bei einem Mann, der die Herstellung von Elektroautos zu seinen wichtigsten Geschäftsfeldern zählt. Weidel ließ den Satz dann auch unkommentiert, betonte aber im weiteren Verlauf des Gesprächs umso vehementer, dass ja auch Kernkraftwerke CO2-neutral seien.

Man fragte sich allerdings, warum das aus Sicht einer AfD-Politikerin überhaupt von Belang sein sollte. Schließlich negiert die Partei alle wissenschaftlichen Erkenntnisse über einen menschengemachten Klimawandel. Das Wort kommt im gesamten Programmentwurf nie ohne den Zusatz „angeblich“ oder „sogenannt“ aus. Die Frage nach dem Anteil des Menschen sei „wissenschaftlich ungeklärt“, behauptet die Partei – und beruft sich dabei auf eine Erklärung vermeintlicher „Experten“, die sich aber mehrheitlich noch nie mit Klimaforschung beschäftigt haben.

Jede Form von Klimapolitik lehnt die Partei dementsprechend ab. Anders als etwa die FDP will sie den CO2-Ausstoß nicht über Preise steuern, anders als die Union will sie das Gebäudeenergiegesetz nicht nur reformieren, sondern jegliche Heizvorschriften gleich ganz abschaffen – einschließlich des Verbots neuer Ölheizungen, das schon lange vor dem Einzug des Grünen Robert Habeck ins Wirtschaftsministerium beschlossen worden war.

Die Frage, wie das Land auf diese Weise den technologischen Anschluss halten soll, bleibt unbeantwortet. Und auch, warum in Deutschland angeblich alles am schlechtesten ist, der nationale Weg aber trotzdem der beste sein soll.

Distanz zu den Vereinigten Staaten gefordert

Überhaupt sieht die AfD die Ursache für Wirtschaftsflaute und schlechte Stimmung im Gegensatz zu anderen Parteien nicht nur in Standortfaktoren wie Bürokratie, Steuern und ausgebliebenen Investitionen. Das Schlimme an der Corona-Pandemie sei bloß eine „bewusste Panikmache“ der Regierung gewesen, und die Schuld am Ukrainekrieg samt folgender Energiekrise und Inflation schiebt die Partei nicht Wladimir Putin, sondern einer aggressiven Politik des Westens zu. Als Lösung empfiehlt die AfD neben dem Verzicht auf jegliche Klimapolitik auch die Wiederaufnahme der Gaslieferungen aus Russland, die freilich gar nicht von der Bundesregierung gestoppt worden waren, sondern von Putin.

Die Nato sieht sie kritisch, auch wenn sie nicht mehr den sofortigen Austritt Deutschlands fordert, und die Distanz zu den Vereinigten Staaten wird an vielen Punkten deutlich, etwa am Nein zur Stationierung amerikanischer Waffensysteme in der Bundesrepublik. Und natürlich reitet sie ihr altes Steckenpferd aus Gründungstagen, den Austritt aus dem Euro: kein Wort über das Desaster, das ein solcher Schritt für die Exportnation bedeuten würde.

Genau daran, an einer Demontage der Europäischen Union, hat der künftige amerikanische Präsident Donald Trump ein Interesse. Allein das Destruktive ist es, das den amerikanischen Tech-Unternehmer und die deutsche Rechtspopulistin über alle Differenzen hinweg vereint.

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