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A
wie Angst
Es soll Menschen geben, die gerne Schlittschuh laufen. Nicht jedem geht es so. Als kleines Kind schickte mich in den 80ern meine Mutter zum Schlittschuhunterricht nach Herne. Noch immer weiß ich nicht, warum. Ich fühle bis heute die feucht-kalte, nach Schweißsorbet stinkende Halle, das hektische Watscheln auf zerfetzten Gummimatten – die steifen, sadistischen Schlittschuhe. Das Eislaufen selbst? Ich erinnere mich, wie ich mich an der Bande festklammerte, immer wieder auf Hintern und Bauch fiel. Nur ans Laufen selbst erinnere ich mich nicht. Es war die Hölle. Als nach dem Training der Eishobel über die Eisfläche fuhr, erschien mir die Maschine wie ein Blechmonster, das mich auffressen wird. Bloß schnell weg. Man sagt zum Fahrradfahren, dass man es nie verlernt, sobald man es einmal drauf hat. Ergänzend, wer es einmal beim Schlittschuh verbockt hat, geht nicht mehr aufs Eis. Vor Kurzem habe ich es wieder einmal probiert. Es war schlimm, ich habe, so schnell es ging, die Eisbahn wieder verlassen. Ji-Hun Kim
E
wie Eishockey
In meiner Heimatstadt Augsburg ist der älteste Eislaufsportverein der Republik zu Hause. Dieser Tradition gemäß verbrachten wir zu Grundschulzeiten etliche winterliche Sportstunden auf dem Eis des Curt-Frenzel-Stadions. Das hatte eines Vormittags zur Folge, dass mich meine Lehrerin zum Arzt begleiten musste, damit dieser mein Kinn nähte. Vielleicht lag es an dieser Erfahrung, dass ich nie über den nachmittäglichen Publikumslauf hinauskam in jenem nach einem großen Förderer des Augsburger Eishockeys benannten Stadion. Auch den Schläger nahm ich selbst höchstens auf Inlineskates stehend in die Hand und beschränkte mich im „CFS“ auf die Stehplatzränge am Abend: Eishockeyspieler standen eben meist schon als Kleinkinder auf Kufen (→ Angst), was diese Sportart zur anspruchsvollsten und grazilsten von allen macht. Sebastian Puschner
F
wie Filmstar
Von Storys auf dem Eis handeln zahlreiche Filme, von Eislauffilmen bis Streifen, die auf rasant-bewegte Actionsequenzen setzen. Im Antikriegsfilm Operation Schwarze Krabbe (2022) rast die Heldin hundert Kilometer auf Kufen über einen zugefrorenen See. Nostalgischer Klassiker ist Die Große Kür (1964). Die deutsch-österreichische Produktion wirkt heute wie ein Museum. Natürlich darf ein Hinweis auf das Bio-Pic I, Tonya nicht fehlen, wo das dunkle Schicksal der Sportlerin Harding nachgezeichnet wird. Bei der Komödie The Cutting Edge (1992) gefällt, wie aus einem ehemaligen knochenharten Eishockeyspieler und einer verwöhnten Eiskunstläuferin ein Eiskunstlaufpaar wird. Den schönsten Anblick in dieser Hinsicht gibt Blades of Glory (2007) ab. Im Comedy-Film werden zwei rivalisierende Eiskunstläufer lebenslang von Wettkämpfen ausgeschlossen. Aufgrund einer Gesetzeslücke können sie als erstes Männerpaar im Paarlauf antreten – ein hochkomisches Spiel mit den Schlittschuhklischees. Tobias Prüwer
J
wie Jackson Haines
Haines wurde 1840 in New York geboren, gilt als Erfinder des modernen Eiskunstlaufs und gewann 1864 die US-Meisterschaft in einem völlig neuen Stil. Wie der Ballettmeister über das Eis tanzte, brachte ihm damals auch abfällige Bemerkungen ein. Doch seine Schauauftritte in Stockholm und später in Wien bescherten ihm rauschende Erfolge (→ Filmstar). Wie kann es da sein, dass er 1876 verarmt in Finnland an Tuberkulose starb? Denn er hat ja zugleich jene Eiskunstlaufschuhe erfunden, die heute noch üblich sind. Hochwertige Stahlkufen sind dabei fest mit Stiefeln verbunden, wobei es die Befestigung mit Schrauben und Schallen auch später noch gab. Die ersten Schlittschuhe schon in Urzeiten waren aus Schienbeinen großer Tiere gefertigt, die man mit Lederriemen befestigte. Daher soll sich auch die Bezeichnung „Eisbein“ herleiten. Irmtraud Gutschke
K
wie Klavierspielerin
Zwei Damen choreografieren grazil ihre Runden auf dem Eis – bis eine Gruppe Männer, bekleidet in Eishockeyausrüstung (→ Eishockey), die Fläche buchstäblich stürmt. Anstatt sich zu echauffieren, treten die beiden Eistänzerinnen ab und geben sich überdies einem Flirt mit dem Sonnyboy der Spieler, Walter Klemmer, hin. Man kann diese Szene in Michael Hanekes zum Klassiker avancierter Literaturverfilmung von Elfriede Jelineks Die Klavierspielerin rasch vorüberziehen lassen, ohne sich zunächst viele Gedanken dazu zu machen. Und doch drückt sie – en miniature – die Gesamtbotschaft des Films aus: Das Patriarchat hat die Macht, allen voran auf dem Feld des Sports. Aber eben nicht nur, denn längst ist auch aus der titelgebenden Hauptfigur ein maskuliner Charakter geworden. Wenn Erika nicht gerade die Schüler:innen ihrer Pianokurse quält, sucht sie die Wiener Pornokinos auf. Sogar im mütterlichen Bett muss sie den verstorbenen Vater ersetzen. Eine tragische, ja durchweg eisige Geschichte! Björn Hayer
P
wie Patti Smith
Die Amerikanerin Patti Smith ist weithin berühmt als weibliche Ikone des Punk und der Rockmusik. Dass sie zuvor eine Lyrikerin war, wissen viele. Ebenso bekannt sind ihre unlängst veröffentlichten Prosabände, zumal die Autobiografie Just Kids. Den bislang einzigen genuin literarischen Text aus ihrer Feder kennt jedoch fast niemand. Er ist im Band Devotion versteckt: die märchenhafte, kaum 50 Seiten lange Liebesgeschichte von Eugenia, einer eislaufenden Waisen aus Estland, und ihrem älteren Förderer, Alexander. Die eleganten Figuren, die Eugenia auf Schlittschuhen läuft, werden darin zu poetischen Parabeln für die zwischen Nähe und Distanz oszillierende Beziehung zu Alexander. Am Ende muss sie sich entscheiden zwischen ihm und ihrer Passion. Patti Smiths Devotion ist eine Hommage an die Kunst des Schlittschuhlaufens.Uwe Schütte
R
wie Rockefeller Center
Eislaufen unterm Weihnachtsbaum des Rockefeller Center ist in der kalten Saison ein Muss für New-York-Touristen (→ Patti Smith). Heutzutage. Noch auf Fotos der 1940er-Jahre sieht man dort fast nur Teenager brav im Kreise gleiten. „See you at the rink!“ Schlittschuhläufer waren lange ikonische Motive der Kunstgeschichte. Auf den Wimmelbildern der Brueghels schnallen sie sich eisengeschiente Holzbrettchen unter die Schuhe, schieben Greise auf Stühlen mit Kufen übers Eis, benutzen Piekschlitten und lassen Eisstöcke flitzen. Ein kolorierter Druck von 1860 zeigt uns bürgerliche Paare gesetzten Alters. So wie sie bei warmem Wetter sonntags im Stadtpark manierlich promenieren, gleiten sie jetzt in würdevoller Haltung auf gusseisernen Kufen übers Eis (→ Jackson Haines). Die Damen tragen Pelzmuff, die Herren Zylinder. Zwischen ihnen eine Händlerin, die Snacks anbietet. Das Satireblatt Puck lässt 1883 einen Demokraten, einen Republikaner und einen „Monopolisten“ gut gelaunt eislaufen. Den „Tax Payer“, der ins Eis eingebrochen ist, ignorieren sie. Michael Suckow
S
wie Superstar
Heute wird ja nur Sportstar, wer als Mann gegen Bälle tritt. Das war mal anders: Die DDR konzentrierte sich zwar auf Individualsport, was aber nicht das Phänomen Katarina Witt erklärt. Wie schwang sich die 1965 geborene Eisläuferin von einer Randsportart aus zu solcher Überlebensgröße auf, obwohl sie sächselt? Wie wurde ihr erfolgloses Comeback 1994 zum letzten Moment ungeteilter Einheitsfreude? Wie überlebte ihr Ruhm die Akten-Schlammschlacht, die Marianne Birthler angezettelt hatte? Was rief die halbe DDR nachts um vier vor den Bildschirm – und veranlasste 1988 die amerikanische Show Holiday on Ice, Witt als Hauptact zu engagieren und nicht eine ihrer US-Konkurrentinnen? Die Antwort ist so klar wie vage: Sie hatte etwas Undeutsches an sich, das man kaum beschreiben kann – und doch sofort erkennt: Grandezza. Velten Schäfer
V
wie Viss
Drohszenarien waren in der Produktwerbung im Fernsehen der Siebzigerjahre weit verbreitet. Für das Reinigungsprodukt Viss ließen sich die Werber damals einen drastischen Vergleich einfallen, um drohende Effekte beim Einsatz von Scheuermilch für die Herdreinigung zu visualisieren: Sie zeigten einen Schlittschuh, der beim Drehen von Pirouetten krasse Spuren auf der Eisfläche hinterließ. Die Kamera war dabei direkt auf die Kufen gerichtet. „Kratzer auf der Herdplatte – das muss nicht sein!“, verkündete eine Stimme aus dem Off und legte gleich nach: „Viss ist flüssig, das kann nicht kratzen!“, ehe eine Frauenhand gezeigt wurde, die den mit Viss gereinigten Herd zärtlich streichelte. Uns Kinder interessierte ein geputzter Herd herzlich wenig, das Drehen der Pirouetten (→ Superstar) übten wir dagegen jeden Winter intensiv auf dem Dorfteich und sagten mit zufriedener Werberstimme: „Viss, das kann nicht kratzen!“, wenn uns eine besonders elegante und schöne Drehung gelungen war und sichtbar tiefe Spuren auf dem Eis hinterlassen hatte.
Beate Tröger
Z
wie Zu
Als Kinder gingen wir ins Wellenbad,
danach eine Runde Eisbecher. Viele feierten Geburtstage im SEZ, dem Sport-und Erholungszentrum im Ostberliner Bezirk Friedrichshain, das mit seinen verglasten Köpfen aussah wie eine Weltraumstation. 1981 wurde es eröffnet, ein Multikomplex für Federball, Tischtennis, Popgymnastik und Fitness. Im Winter war ich mit meiner Freundin Schlittschuh laufen – auf der Eisbahn lernten wir Jungs kennen. „Ins SEZ gehen“ war ein Event. Das Objekt ist längst Bauruine. 2002 geschlossen, wurde es 2003 vom Land Berlin unter Mithilfe des damaligen Finanzsenators Thilo Sarrazin an Rainer Löhnitz verkauft – für einen symbolischen Euro. Berlin möchte das Haus abreißen, um Hunderte Wohnungen und eine Schule zu bauen. Im Oktober ist Zwangsräumung, „identitätsstiftende Merkmale“ sollen erhalten werden. Wer’s glaubt. Maxi Leinkauf