Bildvergleiche können nicht schaden. In der Kunstgeschichte führen sie bisweilen zu verblüffenden Erkenntnissen. In der Fernsehzeitung sorgen sie zumindest für Kurzweil. „Original und Fälschung“ heißt in der „Hörzu“ seit 1956 ein Ratespiel mit der Gegenüberstellung zweier nahezu identischer Bilder, eines jedoch um zehn Kleinigkeiten verändert. Intensiver als vor dieser Seite wurde in Deutschland Kunst womöglich nie betrachtet.
„Dialogues“ heißt nun eine Ausstellung in der Helmut Newton Foundation in Berlin, für die Bettina M. Busse und Matthias Harder 66 historische Fotografien aus der 4000 Bilder umfassenden Wiener Sammlung Fotografis der Bank Austria je einen Abzug aus dem Stiftungsarchiv Helmut Newtons zur Seite gehängt haben. Manches ist von zwingender Evidenz, etwa die Kombination eines verformten Akts im Zerrspiegel von André Kertész aus dem Jahr 1933 mit Helmut Newtons kühn aus der Froschperspektive betrachteten Nackten von 1994, als habe er mit dem Bild dem Klassiker zuzwinkern wollen. Anderes macht einen eher gesuchten Eindruck, so die hohe Stirn von Charles Baudelaire neben der von Jack Nicholson.
Und wieder anderes ist von überraschender Einfallslosigkeit, die Zusammenstellung von Rückenfiguren etwa oder Porträts von Damen vorm Spiegel. Dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, den beiden Kuratoren sei es in erster Linie darum gegangen, ihre Kenntnis der jeweils eigenen Sammlung herauszustellen. Schaut her, mag sich dann Matthias Harder angesichts Duane Michals’ neunteiliger, surrealer Sequenz „Things Are Queer“ rund um ein Badezimmer gedacht haben, schaut her: Helmut Newton hat einmal Werbung für Villeroy & Boch gemacht – und präsentiert drei sportlich gekleidete Damen, die auf Hochglanz polierte Waschbecken und Klos geschultert haben und sie einigermaßen sinnlos durch einen Schlossgarten schleppen. Die Dinge sind eben seltsam.
Aber das sagt Matthias Harder nicht. Was er sagt, ist viel interessanter: nämlich dass ihm erst die Gegenüberstellungen erlaubt haben, jene historischen Aufnahmen in sein Haus zu holen, die er unbedingt einmal zeigen wollte. Denn laut Satzung muss Newton Teil jeder Ausstellung sein. Was Harder damit gelungen ist, darf man guten Gewissens als einen Coup bezeichnen. Mit Arbeiten von Robert Adamson und Diane Arbus über Heinrich Kühn und Man Ray bis Fox Talbot und Edward Weston bringt die Ausstellung mithin aus nahezu allen Gattungen des Mediums das Beste zusammen und lädt ein zu einem herrlichen Spaziergang durch die Fotografiegeschichte.
Dass die Bildpaare mal einander ergänzen, mal einander widersprechen, ist dann nur noch das Sahnehäubchen obendrauf. Dennoch muss man darüber staunen, wie vielfältig das Werk Newtons ist und welche Fülle an Ideen er keineswegs nur für Porträt, Akt und Mode entwickelt hat, sondern auch in Motiven weit jenseits dieser Genres. Wenn dabei die Qualität von Newtons Aufnahmen gegenüber den benachbarten Bildern mehr als einmal abfällt, zeugt es von gewisser Größe, sie dennoch zu zeigen. Andererseits wird Größe im buchstäblichen Sinn zur eigenen Aussage. So erschlägt Newtons Porträt der gealterten Schauspielerin Anita Ekberg im unmenschlich großen Format Angus McBeans kleines Glamourporträt der jungen Schauspielerin Vivian Leigh, aufgenommen ein Jahr vor „Vom Winde verweht“, förmlich.
Auch durch derlei extreme Kombinationen, die in der Ausstellung durchweg als Diptychen bezeichnet werden, präsentiert sich „Dialogues“ als eine Lehrstunde des Sehens. Denn der verblüffende Effekt von Duane Michals’ Serie mit dem Badezimmer, deren erstes und letztes Bild zwar identisch sind, deren letztes Bild man jedoch der bizarren, allmählichen Verschiebungen des Motivs innerhalb der Reihe mit anderen Augen sieht, überträgt sich auf die gesamte Ausstellung, selbst wenn es sich bloß um einfachste grafische Ähnlichkeiten oder inhaltliche Doppelungen handelt, etwa Treppenstufen nach oben und unten oder Damen mit Hund. Während das Auge von links nach rechts springt und zurück, geben die Bilder stets neue Informationen frei.
Über die unterschiedlichen Bildlösungen Edward Steichens und Helmut Newtons für ein Selbstporträt nachzudenken, ist dabei genauso spannend, wie den Umgang mit der amerikanischen Flagge zu betrachten, die bei Diane Arbus ein junger, ernst dreinblickender Patriot 1967 während einer Pro-Vietnamkriegs-Demonstration stolz in der Hand trägt, während sie bei Newtons Aufnahme von Ed Ruscha 1988 als Pop-Art-Gemälde an der Wand von dessen Atelier hängt. So fallen für den Besucher Kurzweil und Erkenntnis auf wunderbare Weise zusammen.
Dialogues. Collection Fotografis und Helmut Newton. Helmut Newton Foundation, Berlin; bis 15. Februar. Kein Katalog.
Source: faz.net