E-Mail: Re: Einladung zur Krönung

In der Reihe „Die Pflichtverteidigung“ ergreifen wir das Wort für Personen, Tiere, Dinge oder Gewohnheiten, die von vielen kritisiert und abgelehnt werden. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 10/2023.

Charles III. hat also Harry und Meghan per E-Mail zu seiner Krönung eingeladen. Nach all der schmutzigen royalen Wäsche, die die beiden zur Anschauung des Plebs gewaschen haben? Nachdem Gerüchten zufolge das Verhältnis zwischen Aussteigersohn und Königsvater nachhaltig zerrüttet ist? Was für eine Nachricht! Aber das, was die Gemüter daran vor allem zu bewegen scheint, ist die Tatsache, dass Charles den beiden die Einladung per E-Mail hat zukommen lassen. Per E-Mail! Wie stillos! Daran zeige sich: Charles hasst seinen Sohn eben doch. Eine richtige Einladung sei das nämlich nicht. Die gingen schließlich im April mit der Post raus.

Auch in der Diskussion um künstliche Intelligenz taucht derzeit wieder die Hoffnung auf, sich der E-Mail endlich zu entledigen. ChatGPT könne noch nicht viel, auf das man sich verlassen hat, hört man, aber E-Mails beantworten, das könne man dem Programm doch schon mal überlassen. Als sei das nichts anderes als eine nervtötende Pflicht, die jeder Mensch als Allererstes auslagern würde, sobald er kann. Die Roboter können den Laden hier gerne übernehmen, wenn sie dann nur – halleluja – meine Mails erledigen!

Dazu passt auch die weitverbreitete Folklore, seine Wichtigkeit durch E-Mail-Leid herauszustellen. Wer aus dem Urlaub wiederkommt und 8.732 Nachrichten in seinem Postfach vorfindet, der macht davon gerne einen Screenshot und postet diesen in den sozialen Medien mit der Zeile: „Was macht das mit euch?“ Der Beifall für diesen billigen Schocker ist einem immer sicher. Der New Yorker sah sich vor vier Jahren sogar veranlasst, noch mal ganz grundsätzlich zu fragen: „Waren E-Mails ein Fehler?“

Die muss im Spamordner gelandet sein

All diese Häme hat die E-Mail nicht verdient. Sie ist ein ganz wundervolles Medium. Im Gegensatz zum unproduktiven Kommunikationswust, der sich in den Messengern findet. Fragt man sich bei Signal, WhatsApp, Slack, iMessage, Twitter- oder Insta-DM doch oft: Wo war die Nachricht noch mal? Die E-Mail dagegen lässt sich immer finden. Sie sitzt im Posteingang und wartet geduldig auf Antwort, wenn es besser passt. Und wenn es gar nicht passt, lässt sich immer sagen: Die ist wohl durchgerutscht, nicht angekommen oder im Spamordner gelandet, na so was! Die Mail drängt sich nicht auf. Sie hält höflich Abstand und lässt Raum für Nichtbeachten, Zeitgewinn, sich davonzustehlen und irgendwann freundlich wieder aufzutauchen. Raum, den das Zwischenmenschliche auch im Digitalen dringend braucht.

Die E-Mail ist überhaupt der letzte Hort der Höflichkeit im Internet. Sie verlangt eine ordentliche Anrede und freundliche Verabschiedung. In den USA denken sich 20-Jährige neue E-Mail-Formeln aus, schreiben „yours unfaithfully“ oder „cold regards„. Aber auch das zeigt: Nicht nur ist eine bestimmte Mail-Etikette unkaputtbar, sie animiert selbst bei schlechter Laune dazu, sich etwas Mühe zu geben und kreativ zu werden. In den Neunzigerjahren mag man E-Mails schnell und profan gefunden haben. Heute sind sie der Brief des Onlinezeitalters. Und bisweilen sogar besser, weil sie Betreffzeilen haben. Welche Kommunikationsform warnt denn schon davor, worum es geht? Wie viel besser würde es Anrufe machen, wenn auf dem Display der Grund für die Kontaktaufnahme erschiene? Dann würden vielleicht auch Millennials mal ans Telefon gehen.

Und wer Charles jetzt für seine E-Mail shamen will, sollte sich vielleicht daran erinnern, dass die britische Monarchie so etwas wie die Schutzheilige der digitalen Post ist. Es war nämlich Queen Elizabeth II, die 1976 gewonnen werden konnte, das Arpanet, den Vorgänger des Internets, zu „taufen“, indem sie mit viel Tamtam im Royal Signals and Radar Establishment ein paar Knöpfe drückte, um eine Art Eröffnungsnachricht für das Netzwerk zu versenden. Die Userin HME2 war also das erste Staatsoberhaupt, das eine E-Mail verschickte. Beinahe 50 Jahre ist das jetzt her. Wenn Charles III. jetzt also abermals E-Mails schreibt, ist das kein neumodischer Schnickschnack, sondern quasi royale Tradition.

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