Dunkelflaute: Deutschlands Strompreischaos verärgert Industrie und Ausland

An diesem Wochenende bringt Tief „Yara“ wieder Wind nach Deutschland. Klingt nach einer bunten Meldung, hat aber ernste Folgen für den Strommarkt. Nach den Rekordpreisen vom Donnerstag dürfte sich die Lage am Wochenende etwas erholen, weil die Erneuerbaren Energien wieder mehr Strom liefern. Für Samstag werden am Day-Ahead-Markt durchschnittlich „nur“ noch Preise von 101 Euro je Megawattstunde aufgerufen, nach 395 Euro am Donnerstag und 178 Euro am Freitag.

Dennoch: Die extremen Preisspitzen von zwischenzeitlich bis zu 1000 Euro haben für viel Verärgerung gesorgt – vor allem, weil eine ähnliche Situation Anfang November schon einmal aufgetreten war: Da waren die Strompreise im Großhandel auf mehr als 800 Euro in die Höhe geschossen, weil Sonne und Wind ausblieben, also viel Nachfrage auf wenig Angebot traf.

Dunkelflauten gefährden die Industrieproduktion

„Dunkelflauten erzeugen immer häufiger extrem hohe Energiepreise und gefährden so Industrieproduktion und Arbeitsplätze am Standort Deutschland“, warnte Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BDI, am Freitag. Das Bundeswirtschaftsministerium entgegnete, private Stromverbraucher und auch die „meisten Industrieunternehmen“ hätten „lang- und mittelfristige Verträge, die einen Preis garantieren“.

Auch im europäischen Ausland sorgte die deutsche Stromknappheit für Unmut. In Europa sind die Stromnetze der Länder über Grenzkuppelstellen verbunden. Durch grenzüberschreitenden Handel können Unterschiede in Erzeugung und Verbrauch besser ausgeglichen werden – etwa weht der Wind in Europa nicht immer überall gleich stark. So müssen weniger Kraftwerkskapazitäten vorgehalten werden, das Risiko von Stromausfällen sinkt. Auch am Donnerstag stabilisierte der europäische Binnenmarkt die Netze. Jedoch mussten Länder wie Norwegen oder Schweden viel Strom nach Deutschland exportieren, woraufhin auch bei ihnen die Preise stiegen (siehe Karte).

Die schwedische Vize-Regierungschefin und Energieministerin Ebba Busch kritisierte, Deutschland habe mit dem Abschalten seiner Kernkraftwerke die Strompreise in die Höhe getrieben. An ihrem Argument ist etwas dran: Die Strompreise wären am Donnerstag wohl sowohl in Südschweden als auch in Deutschland etwas niedriger gewesen, wenn in Deutschland mehr Strom – zum Beispiel durch Kernkraftwerke – erzeugt worden wäre, sagt Hanns Koenig vom Beratungsunternehmen Aurora Energy Research.

Trotzdem bleibt die Frage: Warum liefen am Donnerstag in Deutschland nicht mehr fossile Kraftwerke, obwohl sie laut Bundesnetzagentur eigentlich in Betrieb sind? „Die Diskrepanz ist schon eklatant“, sagt Koenig. „Laut Bundeskartellamt stehen in Deutschland eigentlich mehr als 90 Gigawatt regelbare Leistung zur Verfügung, sodass eigentlich keine Knappheit bestehen dürfte.“ Das wirft die Frage auf, ob Kraftwerksbetreiber bewusst Leistung zurückgehalten und den Markt manipuliert haben.

Kartellamt will die Preisbildung während Dunkelflauten beobachten

Die kurzfristigen Preisspitzen können ein normales und unverfälschtes Marktergebnis sein“, teilte Kartellamts-Präsident Andreas Mundt am Freitag auf Anfrage der F.A.Z. mit. „Aber um sicherzugehen, werden wir uns die Preisbildung während der Dunkelflaute sehr genau ansehen.“

Auch von der Bundesnetzagentur hieß es, die Behörde prüfe „die aktuellen Vorwürfe auf marktmissbräuchliches Verhalten im Zusammenhang mit den aufgetretenen Preisspitzen in enger Abstimmung mit den Handelsüberwachungsstellen der Strombörsen und wird bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte weitere Ermittlungsmaßnahmen einleiten.“ Der Essener Energieriese RWE sagt, die Lage sei „wie im November“. Es hätten alle verfügbaren Kraftwerke produziert „und es gab auch Importe, um die nur sehr, sehr geringe Stromerzeugung aus Erneuerbaren auszugleichen.“

Keine Hinweise auf Versorgungsengpässe

Hinweise, dass die Gefahr von Versorgungsengpässen bestanden haben könnte, gab es nicht, wie das Beispiel des Steinkohleverstromers Steag aus Essen zeigt. Sechs seiner sieben Kohlekraftwerksblöcke befinden sich in der so genannten Netzreserve, rund drei Gigawatt an Erzeugungskapazität. Doch keines der Reservekraftwerke sei in der vergangenen Dunkelflaute gelaufen, sagte ein Sprecher. Der für Netzstabilität verantwortliche Übertragungsnetzbetreiber Amprion habe die Reserve nicht angefordert.

Amprion bestätigt das auf Anfrage. Weder während der vergangenen Tage noch während der Dunkelflaute im November sei eine Aktivierung der Reserven notwendig gewesen, „da die Stromversorgung über am Strommarkt verfügbare Kapazitäten sichergestellt werden konnte”. Kraftwerke der Kapazitäts- wie auch der Netzreserve dürfen nicht am Strommarkt teilnehmen. Sie dienen rein der Gewährleistung der Systemsicherheit. „Marktpreise und Systemsicherheit sind nicht unmittelbar miteinander verbunden, weshalb hohe Preise nicht automatisch auf eine Gefährdung der Systemsicherheit hinweisen”, sagte eine Amprion-Sprecherin.

Kraftwerkstrategie liegt auf Eis

Kapazitäten schaffen, um Dunkelflauten auszugleichen: Das war eigentlich auch das Ziel der Kraftwerksstrategie des Bundes. Ihr zufolge soll bis zu 12,5 Gigawatt neue Kraftwerkskapazität entstehen, vor allem über neue, klimafreundliche und wasserstofffähige Gaskraftwerke. Doch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte am Mittwoch angekündigt, dass er die Pläne aufgibt, das dafür nötige Kraftwerkssicherungsgesetz noch während der Minderheitsregierung in dieser Legislaturperiode im Bundestag zu verabschieden. Er sieht nach dem Bruch der Ampel-Koalition nicht genügend Unterstützung dafür.

In der Folge sieht Habeck auch den Kohleausstieg bis zum Jahr 2030 in Gefahr. „Für mich gilt, dass die Energiesicherheit immer absolute Priorität hat”, sagte er am Freitag auf einer Veranstaltung des Handelsblatts in Berlin. Kohlekraftwerke könnten erst vom Netz gehen, wenn es genügend Alternativen gebe.

Bislang rechnete Habeck mit einem marktgetriebenen Kohleausstieg in ganz Deutschland bis 2030. Beschlossen ist ein vorgezogener Kohleausstieg schon 2030 nur in Nordrhein-Westfalen, doch auch die dortige Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) hat in einem Bericht an den Landtag zwischen den Zeilen klargemacht: Auch sie glaubt kaum mehr daran. Das Land NRW könne „nicht im Alleingang“ ohne den Bund und die EU „die Rahmenbedingungen für Kraftwerksinvestitionen schaffen“, heißt es in dem Papier.

„Offensichtlich“, dass der Kohleausstieg sich verzögert

Der Energieriese RWE hingegen hält die Errichtung von wasserstofffähigen Gasanlagen „an bestehenden Kraftwerksstandorten bis 2030 weiterhin für möglich”. Eine Sprecherin sagte, RWE habe auch „die Vorbereitung solcher Projekte konsequent vorangetrieben”. Als Beispiel nannte sie den Standort Weisweiler, wo RWE schon ein wasserstofffähiges Gas-und-Dampfturbinenkraftwerk bei einem italienisch-spanischen Konsortium in Auftrag gegeben und die Genehmigungsplanung begonnen hat. Die finale Investitionsentscheidung will RWE aber erst fällen, wenn „Weichenstellungen der Politik” erfolgt sind.

Steag wies darauf hin, dass die Bundesnetzagentur das Unternehmen schon jetzt dazu aufgefordert hat, die meisten seiner Steinkohleanlagen aufgrund ihrer Systemrelevanz bis Ende März 2031, also mehr als ein Jahr länger als 2030 am Netz zu halten. Es sei daher „offensichtlich”, dass sich der Kohleausstieg verzögern werde, sagte ein Sprecher. Die Zeit für Genehmigung und Bau bis zur Inbetriebnahme neuer Gaskraftwerke bezifferte er auf rund sechs Jahre. Es sei möglich, dass einzelne Gaskraftwerke schneller fertig würden, aber sicherlich nicht alle. Er verwies auf Engpässe bei Turbinenlieferanten und Bauunternehmen. Doch in der Verzögerung des Kraftwerksgesetzes stecke auch die Chance, das Regelwerk “besser zu machen”.

Steag bemängelt schon länger, dass das Gesetz die Umrüstung bestehender moderner Kohlekraftwerke auf wasserstofffähige Gaskraftwerke erlauben sollte und dass die technischen Vorgaben zur Wasserstofffähigkeit der Kraftwerke nach heutigem Stand gar nicht erfüllbar wären.

„Kein weiterer Ausstieg ohne Einstieg“

Das Düsseldorfer Energieunternehmen Uniper, das sich derzeit noch fast vollständig in staatlicher Hand befindet, sagte der F.A.Z., es sei „unstrittig“, dass Deutschland „neue flexible Erzeugungskapazitäten für Strom benötigt“. Die Wichtigkeit hätten die „Dunkelflauten“ deutlich gezeigt. „Wir gehen davon aus, dass die nächste Bundesregierung dieses Thema zügig aufgreift“. Für den Bau eines neuen Gaskraftwerkes solle man „mindestens fünf Jahre“ veranschlagen.

Der Geschäftsführer und designierte Vorstandsvorsitzende des Netzbetreibers Amprion, Christoph Müller, mahnte hingegen, keine Zeit zu verlieren. „Mit jedem Kraftwerk, das vom Stromnetz genommen wird, steigt die Wahrscheinlichkeit von Knappheitssituationen. Deshalb gilt: Kein weiterer Ausstieg ohne Einstieg. Wir können nur dann weiter versorgungssicher aus der Kohleverstromung aussteigen, wenn wir flexible Gaskraftwerke ans Netz bringen.“

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