Drohender Preisanstieg durch Klimawandel: Das verschärfte Regen-Problem jener Briten – WELT

Großbritannien ist für seinen Regen bekannt. Doch in jüngster Vergangenheit werden die Niederschläge immer extremer. Bei den Bauern führt das zu erheblichen Ernteausfällen – mit mittelfristigen Folgen für die Versorgungssicherheit der Insel.

Die Radcliffe Meteorological Station an der Universität Oxford hat im September 193,3 Millimeter Niederschlag gemessen. Das war fast viermal so viel wie sonst in diesem Monat üblich.

Seit 1767 zeichnet Radcliffe das Wetter auf – und kann in dieser langen Reihe bisher nur auf ein einziges Jahr mit einem noch feuchteren September zurückblicken. 1774 war das, George III. war Regent, damals noch König von Großbritannien und Irland. Auch die Vereinigten Staaten gehörten zum Einflussbereich.

Auch wenn die Rekordregenmenge für Oxford ein Ausreißer war, wurden in den vergangenen zwei Jahren auf der britischen Insel immer wieder Niederschlagsrekorde gebrochen. Die 18 Monate bis März waren die nassesten seit Beginn der landesweiten Aufzeichnungen im Jahr 1836.

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In England fielen im vergangenen Jahr 20 Prozent mehr Niederschläge als im Durchschnitt der zwei Jahrzehnte von 1991 bis 2020. Im laufenden Jahr fiel laut Daten des Meteorologischen Amtes im Februar und April deutlich mehr Regen als im langjährigen Mittel. Im August waren es sogar 94 Prozent mehr.

Regenschirme bleiben auf der Insel gefragt. Die Wahrscheinlichkeit für regelmäßige, oft starke Regenfälle steige laut Meteorologen. Immer mehr wird das zum Problem für die Landwirtschaft. Die Aussaat muss verschoben werden, im matschigen Gelände sind Arbeitsschritte erst verspätet möglich oder fallen ganz aus. Am Ende leidet die Ernte. Mittelfristig könnten die Einbußen bei Agrarprodukten so deutlich ausfallen, dass die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln gefährdet ist.

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„Ich habe noch nie ein Jahr wie dieses erlebt, und ich will kein weiteres dieser Art sehen“, sagte Martin Lines, Landwirt in dritter Generation in St. Neots in Cambridgeshire. Auf 540 Hektar rund um den Ort baut er Weizen, Gerste, Hülsenfrüchte und Raps an.

Doch angesichts der extremen Wettersituation der vergangenen Jahre sei es wohl unrealistisch, auf Besserung zu hoffen, sagte er. „Extremwetter macht die Landwirtschaft immer schwieriger und ist die größte Gefahr für unsere Nahrungssicherheit.“

Zweitschlechteste Ernte seit Beginn der Aufzeichnungen

Im vergangenen Winter und im Frühjahr standen viele Felder tagelang unter Wasser, andere waren so nass, dass sich die Aussaat deutlich verzögerte. Auch während der Reifezeit fehlte oft die Sonne. Das beeinträchtigt die Qualität der Agrarprodukte.

Die Ernte der vergangenen Monate war die zweitschlechteste seit Beginn der Aufzeichnungen, belegen Daten der Denkfabrik Energy and Climate Intelligence Unit (ECIU). Mit zehn Millionen Tonnen fiel die Weizenernte um 21 Prozent geringer aus als im Vorjahr.

Der Ertrag an Wintergerste blieb um 26 Prozent hinter dem Vorjahr zurück, der von Ölraps sogar um 32 Prozent. Besonders heftig hat das kalte, feuchte Wetter im vergangenen Winter und Frühjahr den Weinbau getroffen, der auf der Insel zunehmend an Bedeutung gewinnt.

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In den besonders betroffenen Regionen konnten die Winzer gerade einmal ein Viertel der Vorjahresmenge einfahren. Wo es gut lief, waren es zwei Drittel. „Für die meisten Landwirte war das ein Jahr, das sie vergessen können, denn auch der milde Sommer hat es nicht geschafft, die sechs Monate scheinbar nicht enden-wollenden Regens wettzumachen; die Wirkungen werden jetzt deutlich“, sagte Tom Lancaster, Landwirtschaft- und Nahrungsmittelexperte bei ECIU.

Verluste von 600 Millionen Pfund (720 Millionen Euro) drohen bei einer Reihe von Standard-Anbauprodukten wie Weizen, Wintergerste und Ölsaat. „Die Landwirte stehen beim Klimawandel an vorderster Front, hier zeigt sich, was das bedeutet“, sagte Lancaster.

Wetterextreme, der jüngste starke Regen genau wie die Trockenheit in den Jahren zuvor, würden dazu führen, dass die Preise für einheimische Produkte steigen. Vor allem wächst die Bedeutung von Importen. Lange Regenzeiten und heftige Starkregen dürften in Zukunft mit dem Anstieg der Temperaturen zunehmen. Die Prognosen des britischen Met Office gehen von feuchteren Wintern und wärmeren Sommern als in der Vergangenheit aus.

Wenn es wärmer wird, kann die Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen, die Intensität der Niederschläge nimmt zu. Deutlich höhere Meerestemperaturen haben diesen Trend in den letzten Monaten noch verstärkt.

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Extreme Regenfälle, wie sie im September zu Überschwemmungen in Osteuropa führten, sind heute doppelt so wahrscheinlich und zehn Prozent intensiver als in vorindustriellen Zeiten, haben Wissenschaftler der World Weather Attribution analysiert.

Sie gehen davon aus, dass ihre Schätzungen zu den Folgen der Erderwärmung eher zu konservativ ausfallen, da die Modelle die Konvektionsströme nicht abbilden.

Auch Frankreich vom großen Regen betroffen

Nicht nur weite Teile Großbritanniens sind seit Monaten von Regen durchtränkt. Auch Frankreich, der größte Getreideproduzent Europas, blickt auf ein ungewöhnlich nasses Jahr zurück.

Auf Dauerregen im vergangenen Oktober und November folgte der nasseste Frühling seit Beginn der Aufzeichnungen. Im Sommer erschwerten heftige Stürme die Arbeit auf den Feldern.

Um 25 Prozent dürfte die Weizenernte hinter dem Vorjahresvolumen zurückbleiben, die niedrigste Ausbeute seit den 1980er-Jahren, schätzt das Landwirtschaftsministerium. Auch Wintergerste hat gelitten.

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„Seit Oktober hatten wir die Füße im Wasser“, sagte Jean Lefevre, der im Département Oise nördlich von Paris einen landwirtschaftlichen Betrieb betreibt, der Nachrichtenagentur Reuters.

Nicht nur die Aussaaten seien unter extrem schwierigen Bedingungen erfolgt, auch zur Ernte war der Boden wieder von Regen getränkt und schlammig. „Eine ganze Reihe meiner Nachbarn sind mit ihren Mähdreschern und Erntemaschinen auf den Feldern stecken geblieben.“

Heftig hat es auch den französischen Wein getroffen. Die angesichts des Wetters ohnehin niedrigen Erwartungen hat die auf Landwirtschaft spezialisierte Statistikagentur Agreste kürzlich noch einmal um fünf Prozent nach unten korrigiert, auf 37,5 Millionen Hektoliter.

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Das ist eines der geringsten Volumen des vergangenen Jahrhunderts. Beim Wein führt die feuchte Witterung zu Mehltau, Pilzbewuchs und anderen Erkrankungen, die die Qualität der Trauben beeinträchtigen.

Laut Agreste ist der Weinbau im ganzen Land betroffen. Die Gebiete Beaujolais, Burgund und die Champagne verzeichnen besonders deutlich Einbußen, vor allem aber das Jura. Dort, an der Grenze zur Schweiz, hat später Frost die Ernte zusätzlich beeinträchtigt, sie ist um bis zu drei Viertel hinter dem Vorjahr zurückgeblieben.

„Klimawandel ist nicht mehr nur ein Umweltthema. Schon jetzt sorgt er für eine ernste Bedrohung unserer nationalen Sicherheit“, sagte Laurie Laybourn, Wissenschaftler beim Institute for Public Policy Research (IPPR).

Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Energie, aber auch die gesamte Wirtschaftsentwicklung sei davon betroffen, die damit verbundenen Probleme würden aber bisher von der Regierung und in der öffentlichen Wahrnehmung nicht ausreichend gewürdigt.

Bauern hoffen auf staatliche Förderung

Die Labour-Regierung hat zwar angekündigt, dass sie die britischen Landwirte unterstützen und einer sicheren Versorgung mit Nahrungsmitteln hohe Priorität einräumen wolle. Doch die Landwirte sind bisher nicht überzeugt.

„Hohe Kosten, eine Rekordinflation, niedrige landwirtschaftliche Erträge und das hartnäckig schlechte Wetter haben zu einem Kollaps der Zuversicht in der Landwirtschaft geführt“, sagte Tom Bradshaw, Präsident des Bauernverbandes National Farmers Union. Sie sei auf dem niedrigsten Stand überhaupt.

Wie viele andere Industriezweige setzen auch die Landwirte ihre Hoffnung auf mögliche Fördermaßnahmen im Haushalt, den Finanzministerin Rachel Reeves Ende des Monats vorstellen wird. Die gesetzten Rahmenbedingungen seien sowohl für eine sichere Nahrungsmittelversorgung als auch für die Umweltschutzziele im Agrarsektor zentral.

Derweil treibt die Landwirte längst die nächste Sorge um. Analyst Lancaster weist darauf hin, dass der feuchte September und die nassen Tage im Oktober bereits Auswirkungen auf die kommende Aussaatperiode haben.

Selbst an Halloween geht der Regen nicht spurlos vorbei: Viele Kürbisse, die traditionell im Oktober als Dekoration dienen, verfaulen auf den Feldern.

Claudia Wanner schreibt für WELT vor allem über die britische Wirtschaft.

Source: welt.de

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