Donald Trump leistet sich eine volkswirtschaftliche Privatlogik

Das krude Verständnis des Präsidenten von Wirtschaft schlägt sich zunehmend in seiner Politik nieder. Die Argumentation von Trump und seinen Beratern ist volkswirtschaftlich grober Unfug. Europa bleibt nur eine vage Hoffnung.

Je niedriger die Zinsen sind, umso niedriger ist die Inflation.“ Nein, nicht von Donald Trump stammt diese Behauptung, sondern vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Aber Trump ist ein Bruder im Geiste. Als dieser Tage bekannt wurde, dass sich die Geldentwertung in den USA wieder beschleunigt, schrieb der amerikanische Präsident bei „Truth Social“: „Die Zinsen sollten gesenkt werden, das würde Hand in Hand gehen mit den kommenden Zöllen. Let’s rock and roll, America.“ Inflation mit sinkenden Zinsen oder eben auch steigenden Zöllen bekämpfen – das ist so, als pumpte sich die Feuerwehr Benzin in die Schläuche. Let’s rock and roll, America.

Weder Erdogan noch Trump verstehen das. Beide glauben, sich eine volkswirtschaftliche Privatlogik leisten zu können, die historischer Erfahrung, empirischer Evidenz und theoretischem Erkenntnisfortschritt gleichermaßen zuwiderläuft. Im Falle der Türkei musste die Inflation erst auf mehr als 80 Prozent steigen, ehe Erdogan seinen Kampf aufgab – mit der erwartbaren Folge, dass die Zinsen nun umso höher liegen.

Wie eklatant der Kontrast zwischen Wunschdenken und Wirklichkeit sein muss im Falle Trump, ist dagegen noch nicht klar. 1000 amerikanische Stahljobs haben Trumps Zölle von 2018 einer Studie zufolge geschaffen – während die Handelshürden 75.000 Arbeitsplätze an anderer Stelle gekostet haben. Ein Missverhältnis, das Trump nicht davon abgehalten hat, nun noch breitere Stahlzölle anzukündigen. Ein neuer Twist ist, dass Trumps stellvertretender Stabschef Stephen Miller mit der Schnapsidee argumentiert, Europas Mehrwertsteuern würden Autoexporte aus den USA diskriminieren. Wissen sie es nicht besser? Wollen sie es nicht besser wissen? Oder ist ihnen keine bessere Ausrede eingefallen für Amerikas neues Embargo-Denken? Jedenfalls ist die Argumentation ein grober Unfug, mit dem sie am College durch jede Drittsemester-Prüfung rasseln würden.

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In der transatlantischen Partnerschaft liegt, jedenfalls aus europäischer Sicht, weiterhin der Schlüssel für eine gedeihliche globale Wirtschaftsordnung mit weitgehendem Freihandel, Rechtssicherheit und Arbeitsteilung. Damit das funktioniert, muss das Fundament stimmen. Dazu zählt, neben einer kompatiblen Wahrnehmung der Wirklichkeit, auch das Einverständnis, dass es gemeinsame Werte, gemeinsame Regeln, gemeinsame Interessen gibt oder zumindest geben sollte. Nun haben wir es aber mit einem US-Präsidenten zu tun, der, wie am Donnerstag bekundet, Putins Russland in die Runde der G 7 zurückholen will, der eine „sehr gute Beziehung“ zu China anstrebt, der zum zunehmend autoritär regierten Indien „eine spezielle Bindung“ verspürt – und der dann ausgerechnet und ausschließlich die EU als „sehr gemein“ empfindet.

Fast ein halbes Jahrhundert lang haben die USA – durchaus ehrenwerterweise und lange gegen deutschen Widerstand – den Kampf gegen Korruption im internationalen Geschäft angeführt. Goldman Sachs zum Beispiel, Siemens und auch Trump selbst waren in der Vergangenheit ins Visier der US-Ermittler geraten. Am Montag dann hat Trump per Dekret die Strafverfolgung nach dem Foreign Corrupt Practices Act von 1977 einfach mal ausgesetzt. Diese sei nämlich, obwohl durchaus extraterritorial angelegt, ein Wettbewerbsnachteil für amerikanische Konzerne.

Gemeinsame Regeln wird es vorerst auch nicht mehr geben. Fast 80 Jahre lang hat die Weltgemeinschaft, angeführt die meiste Zeit über von den Emissären amerikanischer Präsidenten, versucht, dem internationalen Handel ein regelbasiertes Rahmenwerk zu geben. Dieses System hat Trump schon in seiner ersten Amtszeit geschwächt, indem er verhindert hat, dass die Welthandelsorganisation WTO weiter ihre Rolle als Wächterin der Verträge ausüben konnte. Nun wird die Stärke des Rechts vollends vom Recht der Stärkeren ersetzt werden, wenn Trump, wie angekündigt, binnen Wochen entgegen bestehender Abkommen nach Belieben „reziproke“ Zölle verhängt und „darüber hinaus“ noch Zölle für willkürlich ausgesuchte Warengruppen wie Autos und Halbleiter.

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Bleiben also, vielleicht, die gemeinsamen Interessen. Die gibt es objektiv betrachtet. Die Frage ist nur, ob Donald Trump das auch so sieht. Dass Arbeitsteilung und Handel in der Regel Win-win-Resultate hervorbringen, von denen alle Beteiligten profitieren, ist eine der grundlegenden ökonomischen Erkenntnisse, mit deren Vermittlung sich Experten gemeinhin besonders schwertun.

Geschäftsleute aber – noch dazu solche, die sich explizit „The Art of the Deal“ (so ein Trump-Bestseller) verschrieben haben – sollten dieser Logik eigentlich zugänglich sein. Gerade Trump und seine Berater aus der ökonomischen Flat Earth Society aber lassen immer wieder durchblicken, dass sie die internationalen Wirtschaftsbeziehungen als Win-lose-Angelegenheit sehen, bei der Amerika nur gewinnt, wenn andere etwas her- oder aufgeben.

Bei solchen Vorzeichen kann es für Europa nur um Schadensbegrenzung gehen – in der zugegeben vagen Hoffnung, dass sich der Trumpsche Zoll-Furor über kurz oder lang etwas legt, wie schon in seiner ersten Amtszeit. Eine scharfe Rhetorik ist da vermutlich ebenso wenig zielführend wie aufreizende Gelassenheit. In den vergangenen Tagen kamen markige Worte aus Paris und Berlin. „Die EU kann und wird schnell reagieren“, sagte Olaf Scholz am Dienstag. Die EU-Kommission in Brüssel dagegen vermied jede Festlegung auf eine Reaktion. Das ist schon einmal gut so.

Source: welt.de

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