Donald Sutherland: Das schöne Unbehagen

Er spielte Männerfiguren, die fortwährend Zwiesprache mit sich zu halten schienen: Donald Sutherland im Jahr 1970

Als
die ausgehenden Sechzigerjahre ihre kollektiven Träume von einem anderen
Amerika implodieren ließen, war Donald Sutherland zur Stelle. Protestbewegungen
und Rauch waren verflogen, mit ihnen die Ahnung von Utopie und Veränderung. Das heimatlos umherwandernde Gespenst einer besseren Gesellschaft aber schien
ein vorläufiges Refugium gefunden zu haben: im Kino, wo man Obdach fand, wenn die Welt einem den Boden unter den Füßen
wegzog. Und dort im Antlitz eines
kanadischen Jungschauspielers. 

Donald Sutherland, 1935
geboren in New Brunswick, später aufgewachsen in Nova Scotia, hielt sich nach
dem Studium mit kleinen Rollen in englischen B-Produktionen über Wasser und sammelte
einschlägige Erfahrungen in den Castingbüros einer sich grundlegend
verändernden Filmindustrie.

Was
ihm ein paar Jahre zuvor noch zum Verhängnis geworden wäre, sollte sich für ihn
als Glücksfall erweisen: Sein Gesicht war kein Gesicht unter Tausenden. Einmal
habe man ihm eine begehrte Rolle abgeschlagen und die Entscheidung damit
begründet, dass man eigentlich einen Typen von nebenan im Sinn gehabt habe,
erzählte Sutherland in einem Interview. Seine Physiognomie habe die
Produzenten vor ein Rätsel gestellt: diese hohen Wangen, die großen Ohren, der
Mund, dem die Verachtung von Konvention und Autorität schon von Weitem
anzumerken war, so sehe doch kein Jedermann aus.

So sah das Gesicht eines zukünftigen Kinos aus, das die Vorführsäle erst
noch in Besitz nehmen sollte. Denn die männlichen Hollywoodstars, über deren
Spiel man bis heute zu Recht schreibt, dass sie die Leinwand zu kommandieren
wussten, hatten ausgedient. Männer vom Schlage eines Jimmy Stewart, eines John
Carradine oder eines Lee Marvin. Männer, in deren Hände man das Geschick einer
ganzen Nation zu legen neigte. Donald Sutherland wurde zum Gesicht einer
Männlichkeit, die das Unbehagen einer ganzen Nation auszudrücken vermochte.

In
Robert Aldrichs Weltkriegsfilm Das
dreckige Dutzend
von 1967, einem ideellen Vorgänger der Inglorious Basterds, bildet ein
US-amerikanischer Major, gespielt von Lee Marvin, eine Gruppe von straffällig
gewordenen GIs zu Nazijägern hinter feindlichen Linien aus. Sutherland spielt
einen dieser Auszubildenden, einen sarkastischen, unrasierten Querulanten. Bei
einem offiziellen Empfang lässt sein Vorgesetzter
ihn kurz den General spielen und wird prompt von Sutherland düpiert: Hübsch
sähen diese ganzen Saubermänner ja aus, aber ob sie wirklich kämpfen können? 

Unangepasste Militärs spielte er häufiger: Donald Sutherland (links) und Elliott Gould in „M*A*S*H“.

Aldrichs Film sollte zum Achtungserfolg werden für Sutherland und stellte
gewissermaßen die Übergabe des Zepters dar: Das alte Amerika des erklärten
Liberalen Lee Marvin überlässt die Leinwand einer neuen Generation, die an
nichts mehr zu glauben scheint und darum ganz hervorragend mit dem Zeitgeist
korrespondiert: Der Vietnamkrieg hatte Tausende junger Amerikaner für die
Hatz auf einen im Dschungel umherschleichenden Kommunismus geopfert, dessen
vermeintliche Bedrohlichkeit sich die wenigsten der Wehrpflichtigen begreifbar
machen konnten. Amerika fand sich ereilt vom berüchtigten Morgen danach. The Big Hangover,
so hätten es die kurz angebunden Schreiber der Pulp-Literatur vermutlich in
ihre Schreibmaschinen gedroschen.

Donald
Sutherlands große Rollen der Siebziger entfalten ein regelrechtes Kaleidoskop
von Skizzen einer alternativlos gewordenen Gegenwart, die unermüdlich nach
Auswegen sucht und sogar vor der Selbstverzehrung nicht zurückschreckt. Auf
seine Reprisen unangepasster Militärs in Robert Altmans M*A*S*H oder Brian G. Huttons Stoßtrupp Gold (Kelly’s Heroes), beide von 1970, folgten
Männerfiguren, die fortwährend dialektische Zwiesprache mit sich zu halten
scheinen.

Als
die ausgehenden Sechzigerjahre ihre kollektiven Träume von einem anderen
Amerika implodieren ließen, war Donald Sutherland zur Stelle. Protestbewegungen
und Rauch waren verflogen, mit ihnen die Ahnung von Utopie und Veränderung. Das heimatlos umherwandernde Gespenst einer besseren Gesellschaft aber schien
ein vorläufiges Refugium gefunden zu haben: im Kino, wo man Obdach fand, wenn die Welt einem den Boden unter den Füßen
wegzog. Und dort im Antlitz eines
kanadischen Jungschauspielers. 

Donald Sutherland, 1935
geboren in New Brunswick, später aufgewachsen in Nova Scotia, hielt sich nach
dem Studium mit kleinen Rollen in englischen B-Produktionen über Wasser und sammelte
einschlägige Erfahrungen in den Castingbüros einer sich grundlegend
verändernden Filmindustrie.

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