Doku „Kulissen jener Macht“ reichlich US-Außenpolitik: Kriege zur Folge haben im weißen Hemd

Dass dieser Film anderthalb Jahre nach seiner Uraufführung auf dem Telluride Film Festival mindestens so aktuell ist wie damals, ist keine gute Nachricht. Denn sein Thema sind Kriegsverbrechen. Und die Frage, warum gegen solche Gewalt nicht ausreichend gekämpft wird. Dabei wird nur ein kleiner historischer Ausschnitt mit einem einzigen Akteur in den Blick genommen: die US-amerikanische Politik der Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bis 2017.

Dazu schaut Regisseur Dror Moreh weniger hinter die Kulissen dieser Macht als in ihr offensichtliches Zentrum und stellt insgesamt über 30 Menschen vor die Kamera, die in der Zeit bis zum Amtsantritt von Donald Trump im Weißen Haus Entscheidungsgewalt und Verantwortung trugen: ehemalige MinisterInnen, SicherheitsberaterInnen, Botschafterinnen, Abteilungsleiter und Militärs. Dazu Archivbilder aus dem politischen Leben dieser Jahre. Und Ansichten der Gräueltaten selbst und ihrer verstümmelten oder im Sterben liegenden Opfer, die so ausführlich und explizit sind, dass der Verleih mit einer Trigger-Warnung darauf hinweist.

Die Exposition des Films beginnt mit dem Verweis auf die verstörende Erkenntnis, dass die USA schon im Kampf gegen Nazi-Deutschland das KZ-System und den Völkermord viel zu spät bekämpft haben. Dann wird der Appell des „Nie wieder“, der in Deutschland gerade als „Nie wieder ist jetzt“ neue Dringlichkeit bekam, von Moreh über die Shoah hinaus auf Kriegsverbrechen im Allgemeinen erweitert. Kontrapunktisch dazu stehen Bilder vom Mauerfall und die von Georg Bush senior in einer Rede pathetisch beschworene Hoffnung, dass nach dem Ende des Kalten Krieges eine friedliche Zukunft nach den „Regeln der Gerechtigkeit“ greifbar wäre.

Von hier aus bewegt sich das Argument des Films in acht Kapiteln von „Chaos“ bis „Verantwortung“ durch die Kriege in Bosnien, Ruanda, dem Kosovo, dem Irak, Libyen und Syrien. Als Reiseleiterin agiert die ehemalige UN-Botschafterin Samantha Power, die aus dem Schock über die dortigen „ethnischen Säuberungen“ als Kriegsreporterin nach Bosnien ging und danach erst als Professorin für Politik und dann in verschiedenen Funktionen für das Barack-Obama-Team tätig war. Ihr 2002 erschienenes Buch A Problem from Hell. America and the Age of Genocide ist Referenz für die Fragestellungen des Films, der mit ihr nach der Rolle der USA in diesen Konflikten fragt.

Dabei gilt für Power wie Moreh die Notwendigkeit militärischen Eingreifens als gesetzt. Die Fragen richten sich nicht auf das „Ob“ des militärischen Eingriffs, sondern das „Warum nicht“ und – von einem nicht moralisierenden Standpunkt aus interessanter – das „Wie“. So entsteht aus den Statements der mit VFX-Technik aufwendig ästhetisch in Szene gesetzten Interviews und animierten Fotos aus Weißem Haus und Situation Room ein visuell eindringliches, komplexes Gefüge aus Machtdynamiken, Strategien und auch Rechtfertigungsversuchen. Am Ende steht Obamas Scheitern, die selbst gesetzte „rote Linie“ nach Baschar al-Assads Chemiewaffen-Angriff von Ghuta politisch durchzusetzen.

Der in Berlin lebende israelische Filmemacher Dror Moreh (Töte zuerst, 2012) hat viele Jahre an seinem Film gearbeitet, das Interview mit Madeleine Albright etwa fand schon 2014 statt, auch mit Colin Powell, der empört auf eine der wenigen im Film zu hörenden Fragen Morehs reagiert, sprach er kurz vor dessen Tod. So ist der Film auch ein historisches Dokument, das neben Einblicken in die Dynamiken des Regierens auch daran erinnert, dass der Krieg in der Ukraine nicht der erste in Europa nach Hitler ist. Und im Kosovo-Krieg Schlüsselszenen von Putins Aufstieg als Sicherheitsberater von Boris Jelzin und Sergei Lawrow zeigt, die als Vorzeichen späterer Entwicklungen gelesen werden können. Eine rätselhafte Leerstelle des Films ist, dass er die Kriegsverbrechen des Weltpolizisten selbst völlig ausblendet. Wie kann man Henry Kissinger in einem Menschenrechts-Kontext zeigen, ohne Vietnam oder Chile zu erwähnen? Was ist mit den US-Folterungen im Irak und in Afghanistan (das merkwürdigerweise gar nicht erwähnt wird)? Samantha Power immerhin ist im Januar 2021 aufgestiegen zur Chefin der (nicht unumstrittenen) mächtigen Entwicklungs-Organisation USAID.

Eingebetteter Medieninhalt

Kulissen der Macht Dror Moreh USA/Israel 2022, 135 Minuten

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