Dokfilm – „Bei uns heißt sie Hanka“ von Grit Lemke: Vergessenes Volk mitten in Deutschland

Gleich zu Beginn spannt Grit Lemkes Film den großen Bogen über den Kontinent, verortet die Sorben als eine von vier nationalen Minderheiten in Deutschland und eine von rund 400 indigenen Gemeinschaften in Europa. Wer deshalb eine ethnologische Einführung in die altansässigen Bewohner:innen der Lausitz erwartet, wird davon aber wenig sehen. Bei uns heißt sie Hanka zeigt vielmehr Menschen, die irgendwann entdeckt haben, dass sie nicht nur Deutsche sind. Dass hinter der nationalen Zuordnung eine kulturelle Zugehörigkeit verborgen liegt, die über Jahrhunderte unterdrückt wurde.

So erging es auch der zentralen Protagonistin des Dokumentarfilms: Anna-Rosina Wjesela. Die Jurastudentin erfährt erst als junge Erwachsene, dass ihre Urgroßmutter Sorbin war, gar selbst noch sorbische Tracht getragen hatte. Der Film begleitet die Hochzeit der jungen Frau mit dem charismatischen Ignac Wjesela und die ersten Ehejahre auf dessen Familienhof – einem geschichtsreichen Ort. Hier fand sich am 10. Mai 1945, zwei Tag nach der Kapitulation der Wehrmacht, der Bund der Lausitzer Sorben, die Domowina, neu zusammen. Es muss ein Befreiungsschlag gewesen sein, nachdem unter den Nationalsozialisten die Eindeutschungspolitik ihren Höhepunkt erreicht hatte. Dabei reicht die Abwertung sorbischsprachiger Menschen bis zur Christianisierung der Lausitz zurück und blieb auch in der DDR Alltag.

Dass er einer Minderheit angehören soll, davon will Ignac Wjesela nichts wissen. In der Lausitz ist das Sorbische allgegenwärtig, wenn man nur Orts- und Familiennamen auf ihre slawische Herkunft zurückverfolgt. So steht der engagierte Ehemann Anna-Rosina Wjeselas im Film für die trotzige und stolze Selbstbehauptung einer lebendigen Gemeinschaft. Zwei Jahre nach der Hochzeit spricht auch die junge Frau selbst fließend Sorbisch und wird nun Hanka genannt – so wie damals ihre Urgroßmutter.

Kulturelle Herkunft

Dass diese Besinnung auf die kulturelle Herkunft keineswegs in erstarrenden Konservativismus führen muss, zeigt der Film, indem er junge Frauen begleitet, die künstlerisch Zugang zum Sorbischen suchen und gegen Volkstümelei auf die Straße gehen. Oder wenn ein junger Anhänger von Energie Cottbus erzählt, wie das Erkennen seiner sorbischen Herkunft ihm einen Ausweg aus der rechten Szene eröffnete.

„Es geht um Menschen, die versuchen, herauszufinden, wer sie sind“, sagt Grit Lemke im Gespräch mit dem Freitag. Und stellt klar, dass sie nicht daran interessiert gewesen sei, einen weiteren Bildungsfilm über Sorben zu drehen. Und überhaupt: „Die Sorben gibt es nicht“, weist auch im Film der Schriftsteller Jurij Koch die Regisseurin zurecht, als sie den 1936 Geborenen nach seinen Erfahrungen in Nazi-Deutschland befragt.

Es geht also um Menschen, aber auch um die Lausitzer Kulturlandschaft. Wie bereits in Gundermann Revier (2019), in dem Lemke anhand des Liedermachers Gerhard Gundermann dem Leben in der Lausitz vor der Wende nachspürt, ist auch in ihrem neuen Film die Tagebau-Landschaft allgegenwärtig. Da ist Wiese und da ist Wald. Aber richtet die Kamera den Blick in den Himmel, ist er verstellt von den Schloten der Kohlekraftwerke. Wo sorbische Dörfer weggebaggert wurden, wird der globale Kontext indigener Gemeinschaften, deren Umwelt von ökonomischen Interessen bedrängt wird, greifbar.

Ästhetisch getragen werden die Landschaftsaufnahmen von der Entscheidung des Kameramanns Uwe Mann, in Cinemascope, also für die große Kinoleinwand, zu drehen. Der aufwendig produzierte Soundtrack gibt der Landschaft eine Stimme, beruht auf dem experimentellen Gesang der Freejazz-Sängerin Walburga Walde und dem Violinenspiel Izabela Kałduńskas. Ein ganzes Album ist anhand des Filmmaterials entstanden und erlaubt einen eigenen Zugang zur nieder- und obersorbischen Sprache.

Bei uns heißt sie Hanka sei damit der erste abendfüllende sorbische Film, erklärt Lemke. Das weiß sie, weil sie zur sorbischen Filmgeschichte eingehend recherchiert und gemeinsam mit dem Medienwissenschaftler Andy Räder den Sammelband Sorbische Filmlandschaften (Bertz + Fischer 2024) veröffentlicht hat.

Eingebetteter Medieninhalt

Bei uns heißt sie Hanka Grit Lemke Deutschland 2024, 92 Minuten. Verfügbar auf den üblichen Streaming-Plattformen und noch in einzelnen Kinos

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