Documenta 16: Eine kluge, eine gute, vor allem zweitrangig eine sichere Wahl

Es ist eine kluge, eine gute, vor allem auch eine sichere
Wahl: Naomi Beckwith wird die neue Kuratorin der Documenta mit der Nummer 16, der
weltweit wichtigsten Ausstellung im Jahr 2027. Das wurde am heutigen Mittwoch
bei einer Pressekonferenz in Kassel bekannt gegeben. Beckwith ist seit 2021
stellvertretende Direktorin und Chefkuratorin des New Yorker Guggenheim
Museums. Sie kommt also aus dem alten Herzen des modernen, globalen
Kunstbetriebs. Sie hat Erfahrung im Leiten einer großen Kunstinstitution. Einer
Kunstinstitution, die in der Vergangenheit – wie die Documenta – auch in Krisen
geraten war.

Wir erinnern uns: Die vergangene Documenta 15 versank im
Streit über antisemitische Bildinhalte
, die erst nach Eröffnung der Ausstellung
entdeckt worden waren. Über den richtigen Umgang mit solchen Vorfällen wurde
heftig diskutiert, die Geschäftsführerin der Documenta verlor darüber ihr Amt,
es gab Aufbereitungskommissionen und Reformvorschläge. Ende 2023 zerbrach
schließlich die ursprüngliche Findungskommission kurz vor der Wahl der Kuratorenposition
der Documenta 16 – die israelische Künstlerin Bracha Lichtenberg Ettinger hatte
sich nach dem 7. Oktober zurückgezogen, da die Documenta die Juryarbeit trotz
des Terroranschlags nicht pausieren wollte. Als bekannt wurde, dass das
Jury-Mitglied Ranjit Hoskoté einen offenen Brief der antiisraelischen
Boykottbewegung BDS unterschrieben hatte, trat auch er zurück. Am Ende tat es die gesamte verbliebene Findungskommission.

Die Suche nach der neuen künstlerischen Documenta-Leitung
wurde daraufhin neu aufgesetzt, die Strukturen der Documenta gGmbh verändert,
ein wissenschaftlicher Beirat wurde zusammengesucht. Im Aufsichtsrat der
Documenta gGmbH sitzen inzwischen auch wieder zwei Vertreterinnen der
Bundesbeauftragten für Kultur, Claudia Roth. Sichtlich stolz waren die
Vorsitzenden Gesellschafter der Documenta, der Kassler Oberbürgermeister Sven
Schoeller (Grüne) und der hessische Kulturminister Timon Gremmels (SPD), heute
bei der Pressekonferenz, dass die neu eingesetzte Jury nun mit Naomi Beckwith
eine so kluge und professionelle, weltläufige und sympathische Kuratorin
gefunden hat. Beckwith war dann auch bereits vor Ort.

Sie habe seit der Documenta 12 im Jahr 2007 jede Documenta
gesehen, sagte Beckwith, sie sei geradezu „obsessed“ von dem Konzept dieser
Institution. Die 1976 in Chicago geborene Kuratorin ist ein Superprofi, sie hat
vor ihrer Berufung ans Guggenheim Museum in New York jahrelang Ausstellungen am
Museum of Contemporary Art in Chicago organisiert – und dabei vor allem auch Ausstellungen
mit Werken von schwarzen US-Künstlerinnen sowie Künstlern aus Afrika gezeigt.
Das Guggenheim hat schwere Krisen durchlebt, bevor Beckwith dort anfing. Nicht
nur kommerziell war es unter Druck geraten, es gab auch den Vorwurf
rassistischer Diskriminierung. Mittlerweile nicht mehr. Beckwith kann auch mit
Sponsoren umgehen und ist in den aktuellen Diskursen firm. Europa kennt sie
nicht nur seit ihrem Studium am Londoner Courtauld Institut.

Die vom indonesischen Kollektiv ruangrupa kuratierte
Documenta 15 nannte Beckwith ein großartiges Experiment der Dezentralisierung.
Sie machte aber auch klar, dass sie selbst sehr zentralisiert agiert,
versprach, dass es bei ihr keine bösen Überraschungen geben werde – und meinte
damit die Bilder mit antisemitischen Inhalten auf der letzten Documenta. Sie
arbeite sehr eng mit den Künstlerinnen zusammen, die sie ausstelle, kenne deren
Werk, ja sogar deren Denken, wie sie mit feiner Ironie anfügte. „Keine Form von
Antisemitismus ist in einer Ausstellung erlaubt, die ich zusammenstelle.“ Auch
kein Rassismus oder andere Diskriminierung.

Sie werde bei ihrer Suche nach Kunstwerken sowohl in den Globalen Süden, zur „global majority„, schauen, aber auch in den Globalen Norden, sagte Beckwith. Zeit hat sie dafür weniger als die Kuratorinnen und
Kuratoren vor ihr: Es bleiben nur noch zweieinhalb Jahre bis zur Eröffnung
2027. Damit könne sie umgehen, auch andere große Ausstellungen würden in
solchen Zeiträumen organisiert. Beckwith deutete aber schon an, dass sie die
Anzahl der Ausstellungsorte in Kassel verringern möchte. Ein nach den
Expansionsübungen der vergangenen Ausgaben wichtiger Schritt.

Künstler seien die Meister im Bewältigen von Krisen, glaubt
Beckwith. Sie würden Neues schaffen, selbst wenn es kaum Ressourcen gebe, und in
Zusammenarbeit Probleme lösen. Sätze, die Kulturpolitiker bestimmt gerne hören.
(Das Budget der Documenta soll wie 2022 bei rund 42 Millionen Euro bleiben,
also trotz gestiegener Kosten nicht aufgestockt werden.)

Die Agitation, zu der es viele Künstler drängt, möchte
Beckwith nach eigenen Aussagen ausbalancieren mit dem Kontext, in dem man
arbeite. Auch im Guggenheim Museum musste sie mit den Polarisierungen
angesichts der aktuellen weltpolitischen Lagen umgehen. Man solle sich sicher
fühlen und frei im Dialog der Documenta 16, kündigte sie an. Gemütlich
werde es wahrscheinlich trotzdem nicht immer, fügte sie dann noch hinzu.

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