DJ Koze gastiert Anfang Februar in einem schicken Berliner Hotel, es ist gerade Berlinale, viele attraktive Menschen schwirren über die Flure und durch die Stadt. Demonstrativ setzt sich der international erfolgreiche DJ und Produzent, der gekommen ist, um über sein neues Album „Music Can Hear Us“ zu sprechen, mit dem Rücken zum Fenster der Hotellobby, damit er das Treiben nicht mitansehen muss. DJ Koze, der eigentlich Stefan Kozalla heißt, hat eine Wärmflasche dabei und bestellt Tee.
ZEIT ONLINE: Herr Kozalla, Ihr neues Album klingt wunderbar. Haben Sie es vor allem mit Kopfhörern aufgenommen oder mit Lautsprechern im Raum?
DJ Koze: Hauptsächlich mit Kopfhörern. Auf dem Studiotisch stehen zwar so 15.000-Euro-Boxen direkt gegenüber vom Sofa. Aber da liege ich lieber mit dem Laptop auf dem Bauch, mit Bluetooth-Kopfhörern, und mache Musik. Das ist mein Trick: Am Tisch müsste ich liefern, auf dem Sofa darf ich spielen.
ZEIT ONLINE: Lassen Sie uns lange zurückgehen und einem fernen Klang lauschen. Flensburg, Achtzigerjahre, Auguste-Viktoria-Schule: Der jugendliche Stefan Kozalla spielt Fußball mit Tennisbällen, die er an eine Metallabdeckung knallt.
DJ Koze: Oh Gott.
ZEIT ONLINE: Verbinden Sie Erinnerungen mit diesem Klang: Tennisball auf Metallabdeckung?
DJ Koze: Gleich mal Freud-mäßig mit einer Analyse beginnen! Wo haben Sie denn das her?
ZEIT ONLINE: Das ist ja noch keine Analyse, eher eine Beschreibung und erst mal nur eine Frage.
DJ Koze: Ich kann mich nicht daran erinnern, aber es klingt nach mir. Was ich heute noch höre, sind ein Tinnitus und so Ohrgeräusche. Vor zwei Wochen war ich beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Der sagte: „Ich sehe, Sie waren 2001 schon mal hier. Was ist denn jetzt schon wieder?“ Damals wohl auch schon wegen Ohrgeräuschen. Ich hatte daran keinerlei Erinnerung. Ein Leben im Loop …
ZEIT ONLINE: … der sich jedoch ständig verändert, zumindest in Ihrer Musik. Die klingt zwar sehr geschmeidig, verlangt aber doch die Aufmerksamkeit ihrer Hörer. Schön, dass so etwas noch geht!
DJ Koze: Ich denke immer, ich würde Minimal Music produzieren, aber viele sagen, in meinen Tracks sei sehr viel los. Am liebsten wäre mir fröhlicher Minimal Techno, mathematische Musik. Aber ich scheitere jedes Mal daran. Weil ich mich langweile, oder weil ich nicht den magischen Loop finde, der die Wiederholung aushält. Also bastle ich viele Girlanden und kleine Feenwesen, die in den Tracks herumschwirren. Die Grundpfeiler bleiben trotzdem einfach, ich will nicht Spuren schichten, bis es kracht wie die Wall of Sound von Phil Spector. Ich habe Angst vor Pathos.
„Musik kann nicht immer alles abfrühstücken“
ZEIT ONLINE: Ihre Musik unterscheidet sich von gängigen elektronischen Dance-Produktionen, weil man bei Ihnen Harmoniewechsel findet. Der Grundton ist nicht Gesetz.
DJ Koze: Ja, ich sehe die Harmonien als Einfärbungen der Tracks. Zum Beispiel in The Universe in a Nutshell, dem ersten auf meinem neuen Album. Der beginnt mit einer Art Schlangenbeschwörer-Sequenz auf einem Grundton. Und wenn Sie denken, das war’s schon, kommen überraschende Akkorde. Die gehen zwar wieder weg, aber für den Rest des Tracks strahlen sie rückwirkend. Ihr Gehirn vermisst diese Akkorde jetzt. Musik muss von der Verheißung handeln und kann nicht immer alles bedienen und abfrühstücken. Man fällt in ein Loch der Sinnlosigkeit, wenn alles immer vorhanden ist. Das betrifft nicht nur die Musik, sondern gilt vielleicht für die ganze Situation auf der Erde.
ZEIT ONLINE: Ihr erstes Soloalbum aus dem Jahr 2000 hieß Music Is Okay, das neue heißt Music Can Hear Us. Klingt, als wäre Musik ein lebender Organismus, erschaffen von Dr. Koze Frankenstein.
DJ Koze: Musik ist eine Kraft. Ein Spiegel von Leid, Schmerz und Euphorie. Musik ist wie ein unendliches Meer von Spiegelneuronen, die uns umgeben. Und die ermöglichen immer wieder neue Kombinationen. Das ist doch irre! Im Moment höre ich das Neue in vielen afrikanischen Musikstilen. Wir sind ja ein bisschen am Ende der Geschichte der geraden Bassdrum angekommen, dieses Kommerzbetriebs, dieser Tesla-Halle, die wir um Techno herum gebaut haben. Und jetzt kommen neue afrikanische Rhythmen auch bei uns an. Ich habe gerade so einen Moment wie damals bei Acid House.
ZEIT ONLINE: Wo nehmen Sie diesen neuen Einfluss wahr?
DJ Koze: Überall. Der Schwerpunkt liegt bei den neuen afrikanischen Musiken eben nicht auf der Bassdrum, diesem stumpfen Signal. Der Schlag wird gefühlt, aber der Groove drumherum wackelt, das Geballer wird weggenommen. Ballert ja eh alles schon zu doll die ganze Zeit.