Dirk Harder | Jugendclubretter Dirk Harder: Dieser Linke-Kandidat will dies Rathaus von Potsdam erobern

Dirk Harder hat in Potsdam Jugendklubs aufgebaut, jetzt will er Oberbürgermeister werden. Als Parteiloser tritt er zwischen Promi-Villen und Plattenbauten für die Linke an, die hier im Februar stärkste Kraft wurde


„Ich weiß, was es heißt, wenn es zum Abendbrot Stulle mit Zucker oder mit Senf gibt und nur eine Sicherheitsnadel die Hose hält“, sagt Dirk Harder

Foto: Frenkselson


Nein, sagt Frau Müller an der Wohnungstür in Potsdam-Am Schlaatz, sie werde nicht wählen gehen. Sie hat Lungenkrebs und eine künstliche Hüfte, der Weg ist ihr zu beschwerlich. Wenn, dann würde sie eh die AfD wählen, weil all die Migranten ins Land gelassen worden seien, die jetzt Menschen ausraubten und Frauen vergewaltigten. Da öffnet sich in der 3. Etage des Plattenbaus die Tür von Herrn Abdullah gegenüber, und es entwickelt sich eine Szene, wie sie Politiker nur erleben, wenn sie sich in den Haustürwahlkampf trauen: in diesem Fall Dirk Harder, der parteilose Oberbürgermeisterkandidat für die Wahl in Potsdam am 21. September, und sein Begleiter von der Linken, für die Harder antritt.

Herr Abdullah lebt mit Frau, zwei Kindern und bald einem Säugling hier in einer Ein-Zimmer-Wohnung. Er bat bei der städtischen Wohnungsgesellschaft bisher vergeblich um eine größere Bleibe – was Frau Müller, die selber gern ins Parterre ziehen würde, empört: „Ich sage ihm immer, er muss dahin und Druck machen“, ruft sie. „Zu fünft mit Baby in einem Zimmer – das geht gar nicht!“ Frau Müller solidarisiert sich mit ihrem migrantischen Nachbarn und sagt, vielleicht werde sie doch wählen, vielleicht Dirk Harder. Beide geben den Wahlkämpfern ihre Kontaktdaten; die wollen helfen.

In Brandenburgs Hauptstadt leben Hasso Plattner und andere Reiche wie Mächtige

In der Stadt der Villen Wolfgang Joops, Günther Jauchs und Mathias Döpfners, der Rückzugsorte von Annalena Baerbock und Olaf Scholz und des Mäzenatentums von SAP-Gründer Hasso Plattner atmet Harder draußen vor dem Plattenbau tief durch. „Zu fünft in einem Zimmer – Wahnsinn“, sagt er. Der Schlaatz ist der ärmste Teil Potsdams, und obwohl Harder, 57, selbst in Armut aufgewachsen ist, fällt ihm der Haustürwahlkampf hier nicht leicht.

Harder hat Steinmetz gelernt, heuerte dann als Jugendklubleiter an, ist heute bei der Arbeiterwohlfahrt. Immer wieder versucht ihn sein jüngerer Linken-Begleiter zum Klingeln, zur Gesprächseröffnung zu animieren, will, dass sie sich aufteilen, um mehr Türen zu schaffen. „Mir wäre schon ganz lieb, wenn du dabeibleibst“, sagt Harder schließlich. Er rückt stets ein wenig zur Seite, wenn sich eine Tür öffnet. Es ist nicht die Armut, eher seine Demut: Harder scheut sich, so völlig ungefragt auf Leute zuzugehen. Wenn sie auf ihn zukommen, wie später im schicken Potsdam-West, redet er wie ein Wasserfall.

Wohnungspolitik: Harders Vorbild ist Wien

Ihren letzten OB haben die Potsdamer per Volksentscheid aus dem Amt gejagt – unter anderem, weil er seiner Frau und sich Gratis-VIP-Tickets für den linken Fußballklub Babelsberg 03 besorgt haben soll. Harder hat selbst eine Dauerkarte im Karl-Liebknecht-Stadion, Sitzplatz – aber er stehe da lieber. Als sie mal zu einem Freundschaftsspiel in Wien fuhren, ließ er sich die europaweit gerühmte soziale Wohnungspolitik in Österreichs Hauptstadt zeigen.

Die will Harder für Potsdam auch, sollte er Wahlsieger werden wie die Linke hier bei der letzten Bundestagswahl bei den Zweitstimmen: mehr sozialen Wohnungsbau – die Zahl der Sozialwohnungen hier hat gerade einen neuen Tiefststand erreicht –, Genossenschaften, Beratungsstellen, eine Tauschbörse – und überhaupt alles Verwaltungshandeln am Sozialen, am Gemeinwohl ausrichten. Als sich jüngst ein reicher Immobilieninvestor mit den Kandidierenden austauschte, waren nur die von SPD, CDU und der Grüne-Volt-BSW-Allianz geladen – Harder nicht.

Für die SPD wäre eine Niederlage in Potsdam epochal

In Brandenburgs Hauptstadt stellt die SPD seit 35 Jahren den OB. Harder hat sie alle gesehen, seit seiner Geburt 1967 lebt er hier. Ein Alleinstellungsmerkmal im Feld der Kandidierenden – ebenso wie seine Plakate: Verschränkte Arme hat auf denen in Potsdam nur er. „Das soll ja ein Zeichen für Abwehr in der Kommunikation sein“, sagt Harder. Dann zeigt er auf dem Handy ein Schwarz-Weiß-Bild von sich im Alter von etwa sieben Jahren. Inmitten anderer Kinder hat nur einer verschränkte Arme: der Dirki.

Seine Eltern hatten sich damals getrennt. Das war so unschön wie später, als seine alleinerziehende, von winziger Invalidenrente lebende Mutter einen Nervenzusammenbruch erlitt, verstummte, sich nicht um ihren Sohn kümmern konnte – weswegen er bisweilen bei Pflegeeltern aufwuchs und sich seinen Weg selbst bahnen musste. Auch den aus der Armut. „Ich weiß, was es heißt, wenn es zum Abendbrot entweder Stulle mit Senf oder Stulle mit Zucker gibt, und wenn die Hose nur noch von einer Sicherheitsnadel zusammengehalten wird.“

Flohmarkt und Wahlkampf in Potsdam-West

Potsdam-West, wo er einen Teil seiner Kindheit verbrachte, war damals noch kein Bullerbü mit der „kinderreichsten Straße Deutschlands“, in der Kinder an diesem Nachmittag Flohmarktstände aufbauen, ihre Eltern Tafeln mit Kaffee und Kuchen, und die Linke einen Wahlkampfstand.

Bei einer Schulfreundin kriegt Harder ein Stück Kuchen, schwatzt mit der Naturkostladenbetreiberin, mit der Buchhändlerin, mit alten Mitstreitern aus den Jugendklubs, die Harder mit aufgebaut, geleitet und gerettet hat: das freiLand, den Lindenpark, das Haus der Jugend. Umarmung, Küsschen, Anekdoten: Wer ihnen alles erzählt hat, schon per Briefwahl für „den Harder“ gestimmt zu haben: die betagte Nachbarin der einen Freundin etwa – „weil der so gemütlich aussieht“, auf den Plakaten, mit den verschränkten Armen.

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