Winzer Michael Martin ist zufrieden. Die acht Stellplätze für Wohnmobilisten, die er nach einem fünfjährigen Kampf mit den Behörden um eine Änderung des Flächennutzungsplans auf einem Gartengrundstück errichten durfte, haben sich für ihn gelohnt. „Das rechnet sich auf jeden Fall“, sagte der Erbacher Winzer auf der jüngsten Weintourismus-Tagung der Hochschule Geisenheim.
Denn die Gäste auf dem zwölf Hektar großen Weinhof Martin in Erbach zahlen nicht nur bereitwillig 15 Euro je Nacht, sondern kehren gerne in der Straußwirtschaft des ganz auf Privatkunden ausgerichteten Familienweinguts ein. Und sie nehmen am Ende ihres Aufenthalts auch ein paar Flaschen oder Kisten Wein mit. Zumindest dann, wenn das Zuladungs-Limit des Wohnmobils noch nicht erreicht ist. Martin hat am Hof sogar einen Weinautomaten aufstellen lassen, an dem sich die Wohnmobilisten rund um die Uhr bedienen können.
Immer mehr Stellplätze neben Weinbergen für Wohnmobile
Angefangen hatte alles vor einigen Jahren mit zwei Stellplätzen auf dem Asphaltplatz vor der Weingutshalle. Dieses Angebot reichte auch nach einer Verdopplung nicht aus, so dass der Winzer das Angebot annahm, das dem Weingut gegenüberliegende Gartengrundstück zu übernehmen. Das musste nach der Änderung des Flächennutzungsplans aufwendig für die Wohnmobile hergerichtet werden.
Auch die tägliche Verwaltung der acht Stellplätze, die Betreuung der Gäste und die Pflege des Platzes nebst Müll- und Abwasserentsorgung kostet viel Zeit, gibt Martin seinen zur Nachahmung bereiten Winzerkollegen zu bedenken. Dennoch würde er das Angebot sogar noch einmal erweitern, „wenn ich könnte und dürfte“. Denn viele Gäste, die eigentlich nur einen Stellplatz gesucht hätten, „haben ihr Weingut gefunden“.
Der Weintourismus als Chance zur aufwendigen, aber lukrativen Direktvermarktung der Weine gewinnt in der aktuell kritischen Marktsituation für die Branche an Bedeutung. Die Lage ist ernst. Ein Beratungsgremium der EU-Kommission zum Weinmarkt hat erst einen Bericht veröffentlicht, der für den deutschen Markt einen klaren Rückgang bei Absatzzahlen und Umsatz zeigt. „Auch die Zukunftsprognose deutet auf einen sinkenden Markt hin“, heißt es in einer Zusammenfassung des Deutschen Weinbauverbands. Gründe seien unter anderem rückläufiger Konsum, geringeres verfügbares Haushaltseinkommen und neue Gesundheitstrends.
Die Genussfreude der Camper
In dieser Lage kommen den Winzern genussfreudige Wohnmobilisten gerade recht, denn „Weinlandschaften sind immer auch tolle Landschaften“, sagt der Präsident der Hochschule Geisenheim, Hans Schultz. Der Geisenheimer Marktforscher Gergely Szolnoki hat in den zurückliegenden Jahren dazu mehrere Studien erstellt. Für eine davon wurden 600 Winzer befragt, von denen schon 140 jeweils bis zu drei Stellplätze am Weingut offerieren und dafür zwischen vier und 35 Euro je Nacht verlangen. Das habe sich als erfolgreicher Weg der Neukundengewinnung erwiesen, sagt Szolnoki und verweist darauf, dass 200 der befragten Weingüter daher ebenfalls erwägen, künftig ein entsprechendes Angebot zu schaffen.
Das erscheint insofern nötig, als zwischen den Jahren 2015 und 2023 die Zahl der Stellplätze in Deutschland zwar um fast 50 Prozent auf aktuell 73.000 ausgeweitet wurde, aber die Zahl der Wohnmobile um 114 Prozent zulegte. Dieser starke Anstieg und die vom Caravan Verband festgestellte „Entkopplung“ der Verkaufszahlen von Wohnmobilen und Wohnwagen sind eine Folge der Corona-Pandemie.
Die Zahl der Neuzulassungen bei diesen Freizeitfahrzeugen schnellte im Coronajahr 2020 auf 260.000 hoch, wobei die Wohnmobile mehr als doppelt so stark nachgefragt waren wie die von einem Auto zu ziehenden Wohnwagen. Der Verband kann darauf verweisen, dass die Wohnmobilisten keineswegs Essen und Trinken im Auto dabei haben und nur die Landschaft sehen wollen. Vielmehr gibt der an einem Stellplatz übernachtende Wohnmobilist durchschnittlich 47,20 Euro je Tag und Kopf aus. Beim Tagesgast, der mit dem Wohnmobil anreist, sind es immerhin fast 30 Euro je Tag und Kopf. Davon entfallen rund zwölf Euro auf Ausgaben in der örtlichen Gastronomie.
Viele Wohnmobilisten haben allerdings Ansprüche an ihren Stellplatz. Dazu gehören Stromanschlüsse, Ver- und Entsorgungsstationen für Wasser und Toiletten, ausreichend breite und ebene Stellplätze mit Beleuchtung und vorzugsweise auch ein Sanitärhaus mit Dusche und WC. Dass es auch anders geht, beschrieb Ole Schnack vom Berliner Verlag „Landvergnügen“. Er hat 1400 Bauernhöfe und Weingüter in Deutschland und 600 weitere in Österreich von seinem Konzept überzeugt, das „authentische Urlaubserlebnisse“ bieten soll.
Wohnmobil erlaubt Flexibilität und Spontaneität
Wer als Gastgeber dabei ist, stellt Wohnmobilisten maximal drei Stellplätze unentgeltlich für maximal 24 Stunden zur Verfügung. Die Gegenleistung des Gastes: Er interessiert sich für die Belange seiner Gastgeber und tätigt einen Einkauf im Hofladen. Ein Konzept, das laut Schnack sehr erfolgreich ist, zur Förderung der „Ab-Hof-Vermarktung“ beiträgt und obendrein dem Wunsch der Wohnmobilisten Rechnung trägt, bei der Ortswahl spontan reagieren und „sich treiben lassen“ zu können.
„Selbstbestimmung, Flexibilität und Spontaneität“ nennt auch Holger Siebert vom Verband der Caravan-Industrie als Antrieb der Wohnmobilisten. Das Wohnmobil sei genau richtig, um schöne Landschaft zu erkunden. Im Rheingau sind sie nach Ansicht des Ersten Kreisbeigeordneten Klaus-Peter Willsch und des Rheingauer Landtagsabgeordneten Ingo Schon (beide CDU) genau richtig. In der Weinregion seien Wohnmobilisten sehr willkommen, und der Weintourismus sei unverkennbar eine wichtige Stütze für die Weingüter. Die Bedeutung soll weiter wachsen.