DIHK bietet Unternehmen nun eigene Schiedsverfahren an

Wenn es bei Unternehmenskäufen oder langfristigen Lieferverträgen zu Konflikten kommt, scheuen viele deutsche Großunternehmen und Mittelständler den Gang zum Gericht. Die Unternehmen kritisieren die Dauer und die Öffentlichkeit von Zivilverfahren sowie das im internationalen Vergleich unflexible deutsche Recht, insbesondere bei der Vereinbarung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

Sofern die zugrundeliegenden Verträge der Streitparteien eine Schiedsklausel enthalten, finden sich die Kontrahenten ohnehin vor einem privaten Schiedsgericht wieder. Weit verbreitet sind Verfahren nach den Regeln der Internationalen Handelskammer in Paris (ICC) und der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS).

Neuer Schiedsgerichtshof

Jetzt bietet auch die Deutsche Indus­trie- und Handelskammer (DIHK) ihren Mitgliedern und deren Vertragspartnern eine eigene Streitschlichtung an. Wie die F.A.Z. vorab erfuhr, nimmt in diesen Tagen der gemeinsame Schiedsgerichtshof der Industrie- und Handelskammern im Inland und der Auslandshandelskammern seine Arbeit auf. Die Organisation will damit zum einen den Schiedsgerichtsstandort Deutschland stärken. Zum anderen soll Unternehmen eine kompetente und wirtschaftsnahe Alternative zu Zivilprozessen geboten werden, die bislang vor den Kammern für Handelssachen der staatlichen Gerichte verhandelt werden.

„Die Unternehmen erhalten beim Schiedsgerichtshof eine unternehmensnahe und maßgeschneiderte Konfliktlösung im Wege der Schiedsgerichtsbarkeit“, sagt DIHK-Chefjustiziar Stephan Wernicke, der auch das Amt des Vorsitzenden der neu gegründeten Schiedsorganisation übernommen hat. „Auf Wunsch der Parteien kann dem Verfahren auch eine Mediation vorgeschaltet werden, die oft zu besonders schnellen, tragfähigen und kostengünstigen Ergebnissen führt.“

Um das Angebot nutzen zu können, müssen sich die Streitparteien auf einer Plattform registrieren und ihre Schiedsvereinbarung hinterlegen. Die personelle Besetzung orientiert sich am Streitwert: Unter 250.000 Euro ist ein Schiedsrichter vorgesehen, auf den sich beide Parteien einigen müssen. Bei der Auswahl können sie sich von einem Ausschuss des Schiedsgerichtshofs beraten lassen. Im Fall höherer Streitwerte ist ein dreiköpfiges Schiedsgericht vorgesehen.

Großes Auslandsnetzwerk

Wie in anderen Schiedsordnungen ist auch in der DIHK-Schiedsordnung vorgeschrieben, dass jede Partei ihren Schiedsrichter benennt. Diese einigen sich dann auf den Vorsitzenden des Schiedsgerichts. Über ihr Netzwerk mit global 150 Standorten in 93 Ländern können auch ausländische Auslandshandelskammern auf die Plattform des Schiedsgerichts zugreifen. Damit dürfte sich die DIHK als Dienstleister insbesondere für deutsche Tochtergesellschaften im Ausland positionieren.

Unvollendet: ehemaliger Justizminister Marco Buschmanndpa

Die Initiative der Kammerorganisation fällt in eine Zeit, in der im Bundestag um ein modernisiertes Schiedsverfahrensrecht gerungen wird. Die letzte Reform des Schiedsrechts in Deutschland liegt mittlerweile 25 Jahre zurück. Im Frühjahr 2023 hatte der ehemalige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) dazu ein erstes Eckpunktepapier vorgelegt. Es enthielt deutliche Zugeständnisse an die Bedürfnisse der Wirtschaft, etwa dass die Vertragsparteien Schiedsklauseln künftig formfrei vereinbaren können. In diesem Jahr folgte ein Gesetzesentwurf aus dem Bundesjustizministerium, der Mitte Oktober im Bundestag debattiert, aber nicht verabschiedet wurde. „Wir hoffen, dass das Gesetz nach dem Bruch der Ampelkoalition noch in dieser Legislaturperiode zustande kommt“ – das war jedenfalls der größte gemeinsame Nenner der Beteiligten einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages in dieser Woche.

Uneinigkeit herrschte unter den geladenen Experten jedoch gerade in der Frage der formfreien Schiedsvereinbarungen. „In Deutschland gilt die Rechtslage von 1997. Wir haben ein antiquiertes Formerfordernis im Gesetz“, sprach sich Reinmar Wolff, Rechtsprofessor aus Marburg und Mitglied des DIS-Vorstands, klar für eine anwenderfreundliche Formfreiheit aus. Der internationale Vergleich zeige, dass nach einem solchen Verzicht keine Streitflut für private Schiedsgerichte drohe, so Wolff. Dagegen sehe man aufseiten der staatlichen Gerichte viele Konflikte und Missbrauchspotential durch fehlende Formerfordernisse, gab Richterin Andrea Schmidt, Präsidentin des Bayerischen Obersten Landesgerichts, zu bedenken. Die Justiz sehe es nicht nur als ihre ureigene Aufgabe an, Formerfordernisse zu überprüfen.

Justiz wähnt sich im Vorteil

Mit der Einrichtung sogenannter Commercial Courts, also auf Wirtschaftsstreitigkeiten spezialisierter Kammern und Senate an Gerichen in einigen Bundesländern, tritt sie in direkte Konkurrenz zu privaten Schiedsgerichten – letztlich um die Attraktivität des Standorts Deutschland im internationalen Wirtschaftsverkehr zu steigern. Hinzu kommt: Im Gegensatz zur Novelle des Schiedsverfahrensrechts wurde das Gesetz zur Stärkung des Justizstandortes schon im Sommer 2024 verabschiedet.

Dabei könne eine starke Schiedsgerichtsbarkeit in Deutschland ein nationaler Wirtschaftsfaktor sein, betonte Jörg Risse, Partner der Großkanzlei Baker & McKenzie und einer der bekanntesten deutschen Schiedsrechtler, im Rechtsausschuss. So trage allein der Schiedsstandort London einer Studie zufolge mehr als eine Milliarde Pfund zum britischen Bruttosozialprodukt bei. Rechtsanwalt Risse sprach sich daher auch für eine rasche Verabschiedung der Reform aus. Sie werde zu einer „Visitenkarte für den Rechtsstandort Deutschland“.

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