Sind Sie mit der Weitergabe Ihrer Daten einverstanden? Jeden Tag wird Internetnutzern diese Frage gestellt. Das Wegklicken der von vielen als nervig empfundenen Cookie-Banner ist mittlerweile zur Routine geworden. Manche stimmen zu, manche lehnen ab, kaum jemand klickt sich zu den Hunderten Schiebereglern durch, um einzeln zu entscheiden, welche Händler und Dienstleister Daten verwenden dürfen. Diesem – oft vermeintlich wahllosen – Klicken und der uninformierten Herausgabe persönlicher Daten will die EU-Kommission nun Einhalt gebieten. Mit dem Vorschlag zum „digitalen Omnibus“ hat sie zahlreiche Vereinfachungen des EU-Digitalrechts auf den Weg gebracht. Der Vorschlag soll unter anderem dazu führen, dass Internetnutzer wesentlich weniger Cookie-Banner sehen.
Konkret spricht die Kommission davon, dass Website-Betreiber einen Knopf bereitstellen müssen, mit dem Nutzer alle Drittanbietercookies – also die kleinen Dateien, die Internetseiten nutzen, um Besucher zu verfolgen und mit passgenauer Werbung zu versorgen – verweigern können. Die Wahl soll erst nach sechs Monaten abermals von einer Internetseite hinterfragt werden können. Ebenso sollen Nutzer eine zentrale Verwaltungsmöglichkeit dafür bekommen, welche Daten sie mit Internetseiten und Werbedienstleistern teilen möchten. Diese Einstellung, so die Kommission und die gängige Lesart vieler Medien, sollen Nutzer zum Beispiel über den Internetbrowser vornehmen können.
Datenmonopol für die Browser-Anbieter?
Max von Grafenstein, Professor für Digitale Selbstbestimmung an der Universität der Künste Berlin, widerspricht dieser Lesart. „Dieses Verständnis würde mich extrem wundern, weil die großen Browserhersteller bereits mehrmals bewiesen haben, dass sie solche Einstellungsmöglichkeiten zu ihrem eigenen Vorteil und zum Schaden von Wettbewerbern missbrauchen“, schreibt von Grafenstein, der in Berlin zu Datenverarbeitung und Innovation arbeitet, der F.A.Z.
Auch der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) hat Bedenken gegen die geplante Novelle. Die Werbewirtschaft im Internet lebt davon, dass Nutzer zumindest einen Teil ihrer Daten preisgeben, damit Werbetreibende sie besser erreichen. ZAW-Geschäftsführer Bernd Nauen warnt in einer Mitteilung zum digitalen Omnibus davor, die zentrale Möglichkeit zu schaffen, alle Datenverarbeitung abzulehnen, ohne darüber zu informieren, welche Folgen das genau für den Nutzer und den Seitenbetreiber hat. „Die Idee, diesen Mechanismus ohne Vorgaben im Browser zu verorten, ist mit Blick auf den Erhalt eines fairen Wettbewerbs sicherlich dysfunktional.“
Wie ist das gemeint? Also: Wie würde eine zentrale Schaltstelle für Privatsphäre im Browser oder auf einem Endgerät wie dem Smartphone den Wettbewerb beeinträchtigen? Fachleute wie von Grafenstein verweisen auf den App Store von Apple und dessen Funktion „App Tracking Transparency“ (ATT). Die Funktion verlangt von App-Anbietern, den Nutzern bei der Installation die Frage zu stellen, ob diese ihre Daten zu Werbezwecken von Dritten verarbeiten lassen möchten. Apple-Nutzer schätzen ATT als einfache Möglichkeit, ihren digitalen Fußabdruck schmal zu halten; viele lehnen die Datenverarbeitung vollständig ab.
Apple liefert warnendes Beispiel
Allerdings dürfte das ein Trugschluss sein. Daten generieren die Nutzer dennoch – sie verbleiben nur bei Apple. Nachdem Apple die Abfrage zur Nachverfolgung 2021 eingeführt hatte, sprang der Anteil der durch Anzeigen von Apple heruntergeladenen Apps auf 58 Prozent. Ein Jahr zuvor waren es laut Marktforschungsunternehmen Emarketer noch 17 Prozent.
Zuletzt ist ATT ins Visier von Kartellbehörden geraten. Die französische Wettbewerbsbehörde hat Apple im April wegen der Bevorzugung der eigenen Systeme durch ATT eine Strafe von 150 Millionen Euro auferlegt. Auch das Bundeskartellamt hat sich in die Diskussion eingeschaltet. Die Frage sei, ob Apple für andere Anbieter bezüglich der datenbasierten Nachverfolgung strengere Maßstäbe aufstellen darf als für sich selbst, lässt sich Behördenpräsident Andreas Mundt in einer Mitteilung aus dem vergangenen Februar zitieren: „Nach unserer vorläufigen Sichtweise könnte darin eine kartellrechtlich verbotene Ungleichbehandlung und Selbstbevorzugung Apples liegen.“
An anderer Stelle hatte Kritik aus der Wirtschaft und von Wettbewerbsbehörden schon Wirkung gezeigt: Das Technologieunternehmen Google musste das Vorhaben zurückziehen, Drittanbietercookies aus seinem Browser Chrome zu verbannen und sie mit einer ATT-ähnlichen Technologie ersetzen. Schafft sich die Kommission – die auch das Funktionieren des Wettbewerbs auf dem europäischen Binnenmarkt überwacht – also mit ihrer beabsichtigten Neuregulierung der Cookie-Banner nun selbst einen Fall für eine künftige Untersuchung?
Möglicher Mittelweg für Cookies?
Dafür spräche schon jetzt das übliche Verhalten der Internetnutzer. Von Grafenstein untersuchte das Thema mit seinem Team in mehreren Studien und kommt zu dem Ergebnis: „53 Prozent der Nutzer akzeptieren Cookies. 47 Prozent lehnen alles ab. Null Prozent machen granulare Entscheidungen.“ Würde es nun insgesamt einfacher, alle Drittanbietercookies abzulehnen, dürften wiederum zwar keine Daten weitergegeben werden. Der Browseranbieter, der sie nutzen könnte, dürfte sie dennoch haben.
Ebenso glaubt von Grafenstein nicht, dass Nutzer, die nur vor die Wahl zwischen „Alles ablehnen“ und „Alles annehmen“ gestellt werden, informierte Entscheidungen treffen, die ihnen oder den Seitenbetreibern hülfen. Aus seinen Studien zieht er den Schluss: „Niemand versteht, was die Verwendungszwecke der Cookies wirklich sind.“ Der eigentliche Sinn der europäischen Datenschutz-Grundverordnung, Nutzer über die Verwendung ihrer Daten aufzuklären, würde verfehlt.
Von Grafenstein arbeitet daher mit einer Ausgründung an einem Mittelweg: Unter dem Namen „Consenter“ will er eine kostenlose Browsererweiterung anbieten, die Cookie-Banner obsolet machen und gleichzeitig dazu führen soll, dass Nutzer Daten in dem Maße preisgäben, wie es für sie – und auch für Händler und Werbetreibende – hilfreich wäre. Wahrscheinlich am wichtigsten für Nutzer: Nach der Installation von Consenter sollen sie keine Cookie-Banner mehr auf Internetseiten zu sehen bekommen. Von Grafenstein sagt im Gespräch mit der F.A.Z., dass es für alle Beteiligten denkbar schlecht sei, wenn die Entscheidung über die Datenweitergabe nur an einem kurzen Moment beim Aufruf einer Internetseite geschieht. „Wir verstehen die Einwilligung als Prozess.“
Cookies mit Risikostufen
Dieser Prozess beginnt bei Consenter mit der Installation des Programms. Nutzer stellen vorab im Programm ein, welche Daten sie weitergeben möchten: Ob zur Verbesserung einer Internetseite, zu Werbezwecken oder für andere Funktionen. Consenter gibt Nutzern Erklärungen und Risikoeinschätzungen für die einzelnen Zwecke und wie ihnen diese helfen könnten. Einmal eingestellt, übermittelt das Programm beim Aufruf direkt alle freigegebenen Informationen an den Seitenbetreiber und blockiert das „nervige“ Banner.
Stattdessen erscheint für einige Sekunden eine kleine Schaltfläche im Browserfenster, auf die ein Nutzer klicken kann. Hierüber erhält er genauere Informationen, was weitergegeben wurde, sowie die Möglichkeit, im Nachhinein noch andere Datenströme zu blockieren oder freizugeben. Von Grafenstein hat in seinen Studien eigenen Angaben zufolge festgestellt, dass der so in die Länge gezogene Prozess auch Seitenbetreibern zugutekommen könnte, da die Zustimmungsraten stiegen und mehr Daten zum Nutzen beider Seiten weitergegeben würden.
Mitgliedstaaten wollen Entwurf ändern
Wird Nutzern Werbung angezeigt, soll die Erweiterung auch Informationen darüber bereitstellen, warum Nutzer genau diese Werbung erhalten. Eine historische Übersicht zeigt ihnen einen Ort, wo sie ihre Zustimmung zur Datenweitergabe erteilt haben, und erlaubt ihnen theoretisch, die Zustimmung wieder zu entziehen.
Dem Vernehmen nach verfängt die Kritik am Entwurf der Kommission zum digitalen Omnibus unter den Mitgliedstaaten. An einer Änderung, die verhindern soll, dass sich durch Privatsphäre-Einstellungen im Browser zu viel Macht bei den Browseranbietern konzentriert, werde im Europäischen Rat gearbeitet, heißt es. Denkbar wäre ein Ansatz, bei dem Browser-Anbieter es auf allen Endgeräten möglich machen, zusätzliche Technologie wie Consenter zu installieren. Auf Smartphones mit dem Google-Betriebssystem Android etwa ist das momentan nicht möglich. Von Grafenstein will Consenter jedenfalls am 8. Dezember veröffentlichen – und das Cookie-Banner über kurz oder lang verschwinden lassen.