„Dieses System kollabiert, dasjenige ist einfache Mathematik“

Mit seiner Frage auf X, ob es erst schlimmer werden müsse, bevor es besser werde, sorgte Unternehmer Christian Miele für hitzige Diskussionen. Im Gespräch mit WELT nennt der Investor drei konkrete Reformen, die er sich jetzt wünscht.

Am Abend bevor der Bundestag vergangene Woche über das Rentenpaket entscheidet, postete der Investor Christian Miele auf X unter der Überschrift „Muss es schlimmer werden, bevor es besser wird?“ unter anderem diesen Satz: „Vielleicht braucht dieses Land den Crash, weil die Politik ihn nicht mehr aus eigener Kraft vermeidet.“
Der Unternehmer, Investor und ehemalige Vorstandsvorsitzende des Start-up-Verbandes, zeichnet eine düstere Prognose: Obwohl selbst CDU-Mitglied prophezeit er ein Zerbrechen der schwarz-roten Koalition „Die Frage ist nicht ‚ob‘, sondern ‚wann‘“, schreibt er. Einer nachfolgenden Minderheitsregierung der Union räumt er wenige Chancen ein, und bei danach folgenden Neuwahlen stünde „die CDU nackt da“, ohne überzeugende Lösungen.

Würde dann ein rot-rot-grünes Bündnis die Regierung übernehmen, erwarte er einen beschleunigten Absturz. Aber auch eine Mitwirkung der AfD an einer neuen Regierung würde seiner Meinung nach alles schlechter machen. Miele erklärte auf X: „schwere Jahre liegen vor uns“. Bei WELT erklärt er, was genau er damit meint.

WELT: Herr Miele, warum dieser Post, warum genau jetzt?

Christian Miele: Für mich war dieses Rentenpaket sinnbildlich dafür, wo wir da aktuell stehen. Ökonominnen und Ökonomen sagen unisono und lagerübergreifend, dass dieses Paket finanzpolitischer Irrsinn ist, und dass es unsere Probleme nicht löst, sondern allenfalls in die nächste Legislaturperiode verlagert. Als klar wurde, dass selbst innerhalb der Union diese Meinungen auseinandergehen und das Paket womöglich nur durch Enthaltung der Linken seine Mehrheit bekommt, ist mir als Bürger einfach der Kragen geplatzt.

WELT: Aber der Frust sitzt tiefer, da geht es um mehr als das Rentenpaket, oder?

Lesen Sie auch

Miele: Ja. Als letztes Jahr die Ampel zerfallen ist, habe ich mit aller Kraft versucht, Schwarz-Gelb zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass wir eine Koalition bekommen, die in der Lage ist, Reformen auf die Straße zu bringen. Reformen, von denen ich glaube, dass sie wirklich wichtig sind.

WELT: Am Ende wurde es dann aber bekanntlich Schwarz-Rot.

Miele: Das war zwar nicht mein Wunschergebnis, aber weil ich dachte, dass diese Regierung den Ernst der Lage erkennt, habe ich versucht, sie zu unterstützen, wie und wo es ging. Um Optimismus in das Land hineinzutragen. Ich habe wirklich Hoffnung in diese Koalition gehabt. Und ich wollte nicht, dass es zerbricht. Ganz im Gegenteil. Ich habe gehofft, dass diese Koalitionäre über sich hinaus wachsen und in der Lage sind, dem Land und den Menschen hier Zuversicht zu geben. Nach den jetzt mehr als 100 Tagen Schwarz-Rot musste ich aber feststellen: Es funktioniert nicht. Es ist das Gegenteil von dem passiert, was ich gehofft habe.

WELT: Was genau haben Sie sich gewünscht?

Miele: Einen Reformkurs, der uns erlaubt, wieder Hoffnung zu schöpfen.

Lesen Sie auch

WELT: Ganz konkret: Was sind das für Reformen, wo würden Sie ansetzen?

Miele: Erstens: Wir brauchen auf der Bürokratieseite einen großen Schlag. Bürokratie lieber komplett abschaffen, als auch nur ein bisschen viel davon zu behalten. Lieber mit den Folgen einer Unregulierung leben, als mit denen der überbordenden Regulierung.

Zweitens: Wir brauchen eine signifikante Sozialstaatsreform. Es kann nicht sein, dass wir aktuell über 50 Prozent unseres Bundeshaushaltes in Umverteilungs- und Transfers stecken. Das war ja auch Thema der Rentenstreitigkeiten: Dieses System kollabiert, das ist einfache Mathematik. Es gibt nicht ausreichend viele junge Leute hier, die in einer alternden Gesellschaft dieses Umverteilungssystem stabilisieren können. Es geht nicht.

WELT: Und drittens?

Miele: Die große Frage über allem: Wie sollen wir das alles finanzieren in Zukunft, wenn wir aktuell auf ein Land blicken, das seit drei, bald vier Jahren stillsteht? Wir sind in einer Rezession, wir wachsen nicht. Da kommen wir zu einem Punkt, der mich nicht nur als Bürger, sondern auch als Investor echt aufregt.

WELT: Welcher ist das?

Miele: Die größte Wachstums- und Wohlstandsverteilung der Menschheitsgeschichte geschieht gerade vor unseren Augen, nämlich durch Robotik und KI. Wir hätten die Chance unseres Lebens, da mitzumachen. Gerade mit der Substanz, die wir in Deutschland haben. Aber wir tun es einfach nicht, weil wir uns in absurden Stadtbild- oder Rentendebatten verlieren und das große Ganze aus dem Auge verlieren.

Lesen Sie auch

WELT: Wie lösen wir es?

Miele: Als Investor hoffe ich, dass Europa es schafft, neue und innovative Technologie-Giganten zu erschaffen. Das nächste Tesla, OpenAI, SpaceX, Apple. Eine Firma, die eine unglaubliche Wachstumsgeschichte schafft und in den nächsten 15 Jahren dem deutschen Staat so viel Geld in die Kassen spült, dass wir in der Lage sind, unsere Sozialsysteme zu stabilisieren und alle anderen Herausforderungen zumindest finanziell abzumildern. Sollten wir das nicht aus eigener Kraft schaffen, wird es vermutlich erst schlimmer werden müssen, bevor es besser wird. Ich hoffe, dass wir uns diesen Weg als Gemeinschaft ersparen.

WELT: So düster?

Miele: Ich mache mir wirklich Sorgen. Jedem, mit dem ich spreche, sage ich: Bitte hilft mir, rauszukommen aus dieser Negativspirale. Wo sind die Zahlen, die Daten, die Fakten und die qualitativen Argumente für die Hoffnung? Aber leider: Bisher hatte die keiner. Deshalb ist da aktuell auch wirklich so wenig Hoffnung. Deswegen suche ich die Konfrontation und die Flucht nach vorn. Und deswegen sage ich auch: Vielleicht muss es noch schlimmer werden, bevor es besser wird.

Source: welt.de

CDUFriedrich (CDU)KC_MakroMerzReformenRenteWirtschaftspolitik (ks)