Viele Menschen distanzieren sich in den sozialen Netzwerken von Bundeskanzler Friedrich Merz, nach seiner rassistischen Äußerung über das Bild in deutschen Städten. Aber reicht das wirklich?
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Seit Friedrich Merz‘ Aussage über das „Problem im Stadtbild“ distanzieren sich zahllose Menschen mit „nicht mein Kanzler“ in den Sozialen Medien. Wie es den Betroffenen geht, interessiert dabei die wenigsten
Mittlerweile steht „Nicht mein Bundeskanzler!“ unter zig Posts und Artikeln, die sich mit dem Stadtbild-Sager von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) befassen. Auf die Umfragewerte der AfD angesprochen und vor allem auf seine einstige Absicht, sie zu halbieren, gibt Merz zu Protokoll, dass man als Bundesregierung bei der Migration schon „sehr weit“ sei, dass er aber immer noch „ein Problem im Stadtbild“ sehe, weshalb der Bundesinnenminister nun Rückführungen im großen Stil ermögliche.
Sein Problem mit dem Stadtbild ist natürlich nichts weiter als ein Suchbild für Rassist*innen, das berühmte Dogwhistling, das uns nun schon seit Wochen in den Ohren schallert.
„Nicht mein Bundeskanzler“ war eine knappe, häufige Reaktion von Leuten in den sozialen Medien auf das Spielen auf der Hundepfeife. Eine Reaktion, an der viele vermutlich gar nichts auszusetzen haben. Doch jedes Mal, wenn ich diese knappe Onlinedistanzierung lese, die mit dem Hintern auf dem Sofa ins Handy getippt wurde, denke ich: Doch, doch. Das ist genau dein Bundeskanzler. Also, da steht er doch. Schau hin.
Distanzierung hilft den Betroffenen nicht
Sich online von rechten, rassistischen und menschenfeindlichen Ereignissen distanzieren zu wollen, ist genauso nachvollziehbar wie nutzlos. Ist es doch vor allem eine Form der Selbstversicherung, dass das Problem dann ja wohl die anderen sein müssen, wenn man es selbst nicht ist. Doch was bringt das irgendwem – und vor allem: Was bringt es den Betroffenen?
Was haben die Kids davon, die Merz meint? Was haben Erwachsene davon, denen das Leben mit solchen Sprüchen schwerer gemacht wird, als es sowieso schon ist? In Deutschland als Deutsche*r mit Migrationsvordergrund, als Geflüchtete*r, als rassifizierte Person. Was haben die davon, wenn du jetzt in dein Handy schreibst, dass das nicht dein Bundeskanzler ist? Merz liest bestimmt auch keine Kommentare auf Instagram.
Wohlfühldistanzierungen sind nicht unbedingt etwas Neues. Jedes Mal, wenn in X-Stadt rassistische Sprüche, in Y-Dorf ein rassistischer Übergriff stattfindet, lassen die schildtragenden „X-Stadt und Y-Dorf bleiben bunt“-Brigaden nicht lang auf sich warten. Auch wenn die Intention vermutlich eine gute ist, gibt es mindestens zwei Probleme. Erstens: Hier ist niemand bunt. Es geht um Menschen, nicht um Dekoration. Wir sind ein fester Teil der Gesellschaft, keine beliebigen Farbtupfer im deutschen Einheitsbeige. Zweitens: Diese Sprüche fühlen sich nicht so sehr an wie eine Distanzierung von – mitunter extrem traumatisierenden – Ereignissen, sondern vielmehr wie das Übergehen zur Tagesordnung. Denn wer helfen möchte, fragt doch erst mal, was Betroffene brauchen, und macht sich nicht vorrangig Sorgen um das eigene Image oder den Ruf von X-Stadt und Y-Dorf. Präsenz und persönliche Zuwendung sind, was Betroffene brauchen.
Politischer Widerspruch muss heute deutlicher und pointierter sein als ein knappes „Ich war das nicht“. Widerspruch muss vor allem denjenigen erreichen, an den er gerichtet ist. Eine bloße Distanzierung ohne jedes Tätigwerden verkennt nicht nur die spürbaren Auswirkungen, die so eine Aussage wie die von Merz auf Betroffene und ihren Lebensalltag hat. Sie verleugnet auch eine strukturell rassistische Gesellschaft, in der jemand wie Merz überhaupt Kanzler sein kann. Spätestens der Sonntagstrend, laut dem die AfD seit September stärkste Kraft ist, sollte zum Nachdenken darüber anregen, ob ein Land nicht doch einfach die Bundeskanzler kriegt, die es verdient.