Die wahrscheinlich älteste Immobilienverwaltung dieser Welt

Für die katholische Kirche verwalten die Franziskaner seit mehr als 800 Jahren die zentralen Stätten im Heiligen Land: Grabeskirche, Geburtskirche, die Präsenz am See Genezareth. Sekretär Pater Alberto erklärt im Interview, wie christliches Leben in der Region weiterleben kann.

Die Custodia Terrae Sanctae ist die wahrscheinlich älteste Immobilienverwaltung der Welt und die wichtigste der katholischen Kirche, weil sie die zentralen heiligen Stätten im Heiligen Land betreut – und darüber hinaus einige Orte in anderen Ländern. Seit mehr als 800 Jahren tragen die Franziskaner diese Verantwortung im Auftrag der Weltkirche. Pater Alberto Joan Pari ist der Sekretär des Heiligen Landes in der Custodia.

WELT: Pater Alberto, Sie sind nicht der größte Grundbesitzer der katholischen Kirche, aber Sie verwalten einige der wichtigsten Grundstücke überhaupt auf unserem Planeten. Was genau ist die Custodia der Franziskaner im Heiligen Land?

Pater Alberto Joan Pari: Die Franziskaner sind seit dem 13. Jahrhundert im Heiligen Land präsent; seit 1342 sind sie offiziell von der Kirche beauftragt, die heiligen Stätten im Namen der gesamten katholischen Kirche zu hüten. Unser Auftrag ist nicht aus eigenem Ehrgeiz entstanden, sondern weil Papst und Kirche uns ausdrücklich darum gebeten haben, dort zu bleiben, wo andere Gemeinschaften im Laufe der Jahrhunderte gegangen sind.

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WELT: Das heißt, Sie verstehen sich nicht als klassische Ordensprovinz, sondern als Dienststelle der Weltkirche?

Pater Alberto: Ja, wir sind eine internationale Gemeinschaft von Brüdern aus vielen Ländern mit demselben Auftrag: die heiligen Orte zu bewahren und die Christen vor Ort zu begleiten. Man könnte sagen, wir sind Hausmeister und Hirten zugleich – zuständig für Steine und für die „lebendigen Steine“, also die Gläubigen.

WELT: Wie beginnt diese Geschichte? Oft ist vom heiligen Franz von Assisi und einem Sultan die Rede.

Pater Alberto: Franz von Assisi hatte den Traum, dass einige seiner Brüder dauerhaft im Heiligen Land leben. Er reiste 1219 nach Ägypten, traf dort den Sultan und suchte nicht den Streit, sondern die Begegnung – es ging um Demut, um Frieden und um die Möglichkeit, an den heiligen Stätten präsent zu sein.

WELT: War diese Präsenz von Anfang an mit einem Missionsauftrag verbunden?

Pater Alberto: In der mittelalterlichen Kirche war Mission stark mit Predigt und Taufe verbunden, oft mit der Vorstellung, dass ohne Taufe kein Heil möglich sei. Die franziskanische Spiritualität legt den Akzent anders: zuerst gegenwärtig sein, in Einfachheit leben, Zeugnis geben, ohne Konflikte zu provozieren – und erst dann, wo es möglich ist, auch vom Glauben sprechen.

WELT: Sie leben in einer Region, in der die große Mehrheit jüdisch oder muslimisch ist. Wie prägt das Ihren Alltag?

Pater Alberto: Unsere Regel schreibt ausdrücklich vor, wie wir unter Nichtchristen leben sollen: ohne Gewalt, ohne Provokation, im Respekt gegenüber Juden und Muslimen. Die ersten Jahrhunderte kannten auch Märtyrer, Brüder, die zu forsch auftraten; das hat uns gelehrt, dass unser erstes Zeugnis der friedliche, beharrliche Alltag ist.

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WELT: Heißt das, dass Mission für Sie heute vor allem Präsenz bedeutet?

Pater Alberto: Ja, Präsenz, Gastfreundschaft, Bildung und soziale Arbeit sind unsere erste Sprache. Wenn aus Vertrauen ein Gespräch über Christus erwächst, ist das ein Geschenk, nicht ein Programm.

WELT: Sie sprechen von Steinen und „lebendigen Steinen“. Was meinen Sie konkret?

Pater Alberto: Zuerst geht es um die klassischen heiligen Orte: Grabeskirche, Geburtskirche, Nazareth, die Stätten am See Genezareth und viele andere. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass dort auch Christen leben können – mit Schulen, Wohnungen, Arbeitsplätzen, Krankenhäusern und sozialen Einrichtungen.

WELT: Also mehr als nur Heiligtumsverwaltung?

Pater Alberto: Absolut. Historisch waren wir oft die Ersten, die Schulen, Hospitäler, Druckereien oder Apotheken gegründet haben, weil es sonst niemand getan hätte. Wir sind keine Spezialisten für alles, aber wir versuchen, das Nötige möglich zu machen, damit christliches Leben im Heiligen Land weitergeht.

WELT: Franziskaner gelten nicht gerade als reicher Orden. Gleichzeitig verwalten Sie einige der wertvollsten Immobilien des Christentums. Wie passt das zusammen?

Pater Alberto: Die franziskanische Tradition lehnt Privatbesitz ab, sowohl persönlich als auch als Orden, soweit es geht. Formal gehört der Grund und Boden, auf dem wir leben und arbeiten, der Kirche, meist dem Heiligen Stuhl – wir sind Verwalter, nicht Eigentümer.

WELT: Das heißt, der Vatikan könnte Ihnen theoretisch morgen die Geburtskirche in Bethlehem oder andere Heiligtümer wegnehmen?

Pater Alberto: Ja, rechtlich ist das möglich, wir halten nichts „in der Tasche“. Unser Reichtum ist der Auftrag – wenn der Papst entscheidet, dass eine andere Gemeinschaft einen Ort übernehmen soll, gehorchen wir.

WELT: Gleichzeitig kosten Unterhalt, Personal und soziale Projekte enorme Summen. Woher kommt das Geld?

Pater Alberto: Die wichtigste Einnahmequelle sind die Pilger: Jede Messe an einem Heiligtum hat eine Kollekte, und viele Pilgerhäuser tragen sich durch die Beiträge der Gäste. Hinzu kommen Schulgelder, soweit Familien sie zahlen können, Stipendienfonds – und vor allem die weltweite Kollekte am Karfreitag (in Deutschland Palmsonntagskollekte) für das Heilige Land.

WELT: Wie ist ihre Gemeinschaft organisiert?

Pater Alberto: Man kann von einer Bruderschaft sprechen, die in Konventen lebt, aber nicht „eingeschlossen“ ist: Wir haben gemeinsames Gebet, aber wir arbeiten mitten unter den Menschen. Unsere Häuser und Ämter werden regelmäßig neu besetzt; das hält uns beweglich und verhindert, dass jemand einen Ort als „seinen Besitz“ betrachtet.

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WELT: Wie wird der Custos, also Ihr oberster Verantwortlicher, bestimmt?

Pater Alberto: Früher ernannte der Vatikan den Custos direkt, häufig aus Italien, oft ohne Wahl vor Ort. Heute wählen wir Franziskaner im Heiligen Land mehrere Kandidaten; diese Liste geht nach Rom, und der Papst ernennt einen von ihnen – manchmal auch gegen unsere Favoriten, wenn er andere Kriterien im Blick hat.

WELT: In jüngster Zeit trafen Sie erst die Corona-Pandemie, dann der Krieg in Nahost und der Einbruch des Tourismus. Wie haben Sie das bewältigt?

Pater Alberto: Zwischen dem Ende der strengsten Corona-Maßnahmen und dem Beginn des Krieges gab es etwa ein halbes Jahr, in dem Pilger in großer Zahl zurückkehrten – eine kurze, sehr hoffnungsvolle Phase. Dann brach mit dem Krieg der Pilgerstrom praktisch wieder zusammen, und eine Region, die ohnehin von Konflikten geprägt ist, stand plötzlich vor einer langen Durststrecke.

WELT: Konnten Sie Ihre Mitarbeiter halten?

Pater Alberto: Dank einer enormen Solidarität von Spendern und kirchlichen Organisationen weltweit konnten wir die meisten Arbeitsplätze sichern, auch wenn wir oft nur Teile der Gehälter zahlen konnten.

WELT: Kommen wir zur Grabeskirche. Sie sind dort nicht allein verantwortlich. Wie funktioniert dieses komplizierte Miteinander?

Pater Alberto: Die Grabeskirche ist vielleicht nicht die schönste Kirche der Welt, aber für uns die wichtigste – und sie wird von mehreren Gemeinschaften gemeinsam verwaltet: lateinische Katholiken, griechisch-orthodoxe Kirche, Armenier und weitere. Die Schlüsselgewalt liegt traditionell bei einer muslimischen Familie, was die Dinge noch komplexer macht.

WELT: Lange galt die Kirche als Beispiel für Blockade. Jetzt wird renoviert. Was hat sich geändert?

Pater Alberto: Über Jahrhunderte waren gemeinsame Projekte fast unmöglich; das erste größere gemeinsame Projekt war vor einigen Jahren die Renovierung der Edikula über dem Grab. Heute gibt es eine neue Mentalität: Gemeinsame Flächen gelten nicht mehr als Niemandsland, sondern als gemeinsames Erbe, das wir zusammen erneuern wollen.

WELT: Manche sprechen von einer neuen ökumenischen Kultur in Jerusalem. Sehen Sie das auch so?

Pater Alberto: Die Einheit der Christen ist, wie Papst Paul VI. sagte, ein Garten mit vielen verschiedenen Blumen, verbunden durch gemeinsame Wurzeln. In Jerusalem spüren wir, dass die Verbindungen stärker werden, auch wenn die Unterschiede bleiben – einige sind Blumen, andere eher Dornen, aber sie teilen denselben Boden.

Source: welt.de

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