In der „Gläsernen Manufaktur“, dem VW-Werk in Dresden, ist die Wut auf die Konzernspitze groß. Hier machen sich ein Fahrzeuglackierer, eine Montagewerkerin und ein Gewerkschafter Luft. Was glauben sie, wie ihr Standort gerettet werden kann?
Der Streik beginnt um 11.06 Uhr. Die Uhrzeit ist kein Zufall, sondern markiert genau die zweite Schichthälfte in der „Gläsernen Manufaktur“, dem Dresdner VW-Werk, das wie fast alle deutschen Standorte am vergangenen Montag für vier Stunden bestreikt wird. Kurz bevor in der Konzernzentrale in Wolfsburg Management und Gewerkschaft in einer neuen Tarifrunde über die Zukunft von Volkswagen verhandeln, protestieren die Menschen hier in roten Warnwesten der IG Metall gegen geplante Werkschließungen und Entlassungen. Auf dem größten Banner prangt nur ein Wort: „Streitbereit!“. Der Freitag hat mit vier Protestierenden gesprochen.
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Caspar Gommlich, 20, Fahrzeuglackierer
Ich bin seit drei Jahren bei VW und habe dieses Jahr meine Ausbildung als Fahrzeuglackierer beendet. Die Arbeit mit den Kollegen ist super, und ich bin davon ausgegangen, lange hier bei VW zu bleiben – eigentlich. Seit Anfang September die Sparpläne angekündigt wurden, ist da eine riesige Unsicherheit, niemand weiß, wie es weitergeht. Es heißt, Werke sollen geschlossen werden, und es werden Leute entlassen. Da kommt natürlich die Frage auf: Wen trifft’s? Ich wollte endlich bei meinen Eltern ausziehen und mir mit meiner Freundin eine Wohnung suchen. Jetzt weiß ich nicht mal, ob ich nächstes Jahr noch einen Job habe.
Ich habe das Gefühl, dass der Konzernspitze das alles egal ist. Die sitzen da oben und haben überhaupt keinen Bezug zu den Mitarbeitern. Sonst würden sie endlich mal ansagen, was Sache ist, statt uns so hängenzulassen. Im Moment wissen wir nicht einmal, was in den nächsten Jahren bei uns am Standort Dresden produziert werden soll. Dabei haben wir hier die Ausstattung, die verschiedensten Produkte herzustellen. Für die Gläserne Manufaktur muss jetzt also dringend ein neues Konzept her. Wir kämpfen aber nicht nur für Dresden: Unser Ziel ist, dass es keinen erwischt, dass alle bleiben können und alle Standorte erhalten bleiben. Wir halten zusammen und lassen uns nicht gegeneinander ausspielen. Es muss etwas passieren, denn so wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen.
Astrid Schulz, 56, Montagewerkerin
Ich arbeite bei VW im Gehänge, früher in Zwickau, heute am Standort in Dresden. Ich weiß noch, dass ich damals unheimlich stolz und ehrlich gesagt auch total aufgeregt war, als ich vor 28 Jahren bei VW angefangen habe. Unsere Gläserne Manufaktur in Dresden, mit den Besuchern, die uns beim Autobau zuschauen können, ist etwas ganz Besonderes und weltweit einzigartig. Mittlerweile ist es aber schwer, mit Stolz an VW zu denken. Als ich von den Sparplänen gehört habe, war es, als ob eine Welt zusammenbricht. So etwas habe ich in meinem Leben noch nicht erlebt. Es ist einfach nur traurig, wie das gerade läuft.
Dabei könnten die Probleme und die Streiks ganz schnell ein Ende haben, wenn die Manager da oben mal wieder ihren Verstand einschalten und sagen: Wir ziehen gemeinsam am selben Strang, um wieder weltweit die Nummer eins zu werden. Und sie sollten mal darüber nachdenken, wer eigentlich die utopischen Summen erwirtschaftet, die sie einstreichen. Die Politik sollte sich übrigens auch raushalten, damit wir einfach wieder Autos mit Weltniveau bauen können und alle ihre Arbeit behalten können. Deswegen stehe ich auch hier draußen und protestiere: damit es wieder so wird wie früher, und ich wieder mit Stolz bei VW an die Bänder gehen kann.
Tom Hermsmeier, 57, Qualitätssicherung*
Volkswagen war bisher der beste Arbeitgeber, den ich in meinem Leben hatte. Ich bin seit über 20 Jahren dabei und dachte, dass ich auch bis zur Rente bleiben würde, der Beschäftigungssicherung sei Dank. Als die von der Konzernspitze aufgekündigt wurde, war das wie ein kräftiger Schlag ins Gesicht. Der aktuelle Arbeitsmarkt wäre für mich alten Zausel nicht einfach. Immerhin habe ich Glück, dass meine Familie finanziell gut abgesichert ist. Aber es treibt mich schon um, dass ich eventuell bald meinen Job los bin.
Der Umgang der Konzernspitze mit uns ist, freigesprochen, einfach nur scheiße. Statt jetzt alles auf uns Mitarbeiter abzuwälzen, sollten sie sich lieber an die eigene Nasenspitze fassen und gucken, was sie selbst alles verkehrt gemacht haben. Ungeschickte Manager, das ist das Problem, das sich wie ein roter Faden durch die letzten Jahre zieht: von der Dieselaffäre bis hin zur aktuellen Produktpalette. Keiner will Autos kaufen, die nicht schön aussehen und ihre Wertigkeit verloren haben. Auch der Umgang mit der aktuellen Krise ist totaler Quatsch. Man kann nicht auf der einen Seite den Aktionären Milliardenbeträge ausschütten, und dann Werke schließen und den Mitarbeitern zehn Prozent von ihrem Lohn abziehen. Mit dieser Politik verliert VW auch jedes Vertrauen in der Bevölkerung und schadet sich am Ende nur selbst.
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Martin Maatz, 39, Montagewerker und Gewerkschafter
Ich arbeite in der Türenvormontage und bin Vertrauenskörperleiter der IG Metall. Das klingt unheimlich sperrig, aber heißt nur, dass ich die Gewerkschaft vor Ort im Betrieb vertrete. Die Gläserne Manufaktur ist meine berufliche Heimat. Ich wollte unbedingt hierher, und habe damals mit meinen Kollegen aus der Ausbildung Pläne geschmiedet, wie eine Bewerbung aussehen muss, um irgendwie einen Weg hier rein zu finden. 2010 hat sich dann eine Möglichkeit ergeben, und ich war schneller bei VW, als ich gedacht hätte.
Damals meinten alte Kollegen zu mir: Hier fliegst du nur, wenn du einen goldenen Löffel klaust. Aber wie man sieht, hat Volkswagen inzwischen andere Pläne: einen Kahlschlag, bei dem radikal Werke geschlossen und Leute rausgeworfen werden sollen.
Dabei werden Probleme bei Volkswagen eigentlich miteinander gelöst. Deswegen war ich geschockt, als ich von den Sparplänen der Konzernspitze gehört habe. Damit bricht das Management mit einer jahrzehntelangen VW-Tradition. Das ist eine riesige Sauerei, und es kommt auch sonst nichts Konstruktives. Bei den Managern zu kürzen, ist natürlich auch nicht drin. Wenn es so weitergeht, wird die Situation mit Sicherheit immer weiter eskalieren. Seit den Ankündigungen hat gerade meine Frau große Zukunftsängste. Ich muss aber sagen, dass bei mir vor allem der Kampfgeist geweckt wurde. Wir haben 10 Werke in Deutschland, und ich bin überzeugt, dass wir die gemeinsam verteidigen werden. In den letzten Jahren sind bei der Vernetzung mit den anderen Standorten viele Freundschaften entstanden. Unsere Botschaft ist klar: Wir lassen uns nicht spalten.
*Namen und Daten dieses VW-Mitarbeiters wurden aus Gründen des Arbeitsschutzes auf seinen Wunsch hin verändert, liegen der Redaktion aber vor.
Wenige Stunden nach Ende des Warnstreiks beenden auch die Verhandlungsführer von VW und IG Metall die vierte Tarifrunde – ohne Ergebnis. Die IG Metall kann sich mit ihrer Forderung, Werkschließungen und betriebsbedingte Kündigungen auszuschließen, nicht durchsetzen. Der VW-Verhandlungsführer Arne Meiswinkel verlangt „kurzfristig umsetzbare und nachhaltig wirksame Kostensenkungen, um unsere Zukunftsinvestitionen zu finanzieren.“ Die Arbeiter der Gläsernen Manufaktur blicken derweil weiter in eine ungewisse Zukunft.