
Hohe Energiekosten, Steuern und Sozialabgaben – für Selbstständige sind die Probleme in Deutschland existenziell. Der Staat lähme seine Macher, kritisieren zwei Unternehmerinnen in einem Gastbeitrag. Sie fordern ein Konjunkturprogramm, „das fast nichts kostet, aber viel verändert“.
Deutschland ist im Wahlkampf, und wir bekommen Personenkult statt Inhalte. Und das in einer Zeit, in der die Wirtschaftslage alarmierend ist. Das Land kann viel mehr, aber es lähmt seine Macher: hohe Energiekosten, hohe Steuern und Sozialabgaben, eine wahnsinnige Regulierungsdichte und generelle Skepsis gegenüber freien Arbeitsmodellen. Für die knapp vier Millionen Selbstständigen in Deutschland sind Antworten auf die Standort-Probleme aber nicht abstrakt, sondern existenziell.
Bleiben Reformen aus, verlieren wir das wirtschaftliche Rückgrat und die unternehmerische Vielfalt: das Herzblut der inhabergeführten Betriebe, Know-how in Zukunftsfeldern, Serviceleistungen auf einem Niveau, das weltweit (noch) einzigartig ist.
Gehör in der Politik finden die vier Millionen Selbstständigen nicht. Offenbar glaubt man, wir werden schon liefern, egal, wie stark man uns belastet. Auf fast 270.000 Selbstständige weniger – allein seit Beginn der Corona-Krise – gab es keine politische Resonanz.
Jammern ist nicht unternehmerisch, aber Nichtstun auch nicht. Die Stimme der Selbstständigen ist wichtiger als je zuvor. Unsere Freiheit, frei zu arbeiten, gerät Stück für Stück unter Druck. Wir nehmen nicht länger hin, dass selbstständige Leistung ignoriert wird und haben fünf klare Forderungen an die Politik. Was wir fordern, ist ein Konjunkturprogramm, das fast nichts kostet, aber viel verändert.
Wir sind die, „die das Land am Laufen halten“, auch unsere Stimme zählt. Und wir streiten für unsere Freiheit, frei zu arbeiten. Hier sind fünf Forderungen für den Aufbruch.
1. Eine Steuerreform, die Eigenkapital stärkt
Für Selbstständige, die keine Kapitalgesellschaften gründen wie etwa eine GmbH, ist die Unternehmenssteuer die Einkommensteuer. Der Betriebsgewinn wird somit vollständig als Einkommen besteuert. Es gelten Tarife bis 45 Prozent, plus Soli. Rücklagen zu bilden, um in Krisenzeiten resilient zu sein, wird dadurch massiv erschwert. Daher sollte die Gewinnbesteuerung von Einzelunternehmen und Personengesellschaften der von Kapitalgesellschaften angeglichen und die pauschale Besteuerung von nicht entnommenen Gewinnen ermöglicht werden. Eine Vereinfachung würde der großen Mehrheit der Selbstständigen, nämlich über zwei Millionen inhabergeführten Unternehmen in Deutschland dramatisch helfen, Liquidität zu erhalten, Eigenkapital für Investitionen zu stärken und Widerstandskraft gegen Krisen zu erlangen.
2. Liberalisierung freier Arbeit
Ohne Freie läuft nichts, aber praxisferne Kriterien zur Feststellung von Scheinselbstständigkeit behindern die freie Arbeit. Trotz massivem Fachkräftemangel ist die Zusammenarbeit von Freien und Auftraggebern mit Rechts-Unsicherheiten belastet. Größter Hemmschuh sind die Prüfungs-Kriterien der Rentenversicherung, um den Erwerbsstatus zu klären, wie beispielsweise die Einhaltung von Arbeitszeiten, Arbeit in den Räumen des Auftraggebers oder eine regelmäßige Berichtspflicht. Sie sollen belegen, ob jemand scheinselbstständig beschäftigt oder selbstständig arbeitet. Das sind aber keine Kriterien, die Selbstständigkeit von einer Festanstellung und somit „Scheinselbstständigkeit“ unterscheiden können. Die schwammigen Regelungen, willkürliche Feststellungen und Intransparenz belasten freie Arbeitsmodelle. Wir fordern klare Positiv-Kriterien, die Selbstständigkeit rechtssicher abgrenzen.
3. Faire Krankenkassenbeiträge
Das gesetzliche Sozialversicherungssystem ist für Angestellte gemacht. Freiwillig Versicherte zahlen in der gesetzlichen Krankenversicherung systematisch mehr für gleiche Leistungen und müssen, anders als Angestellte, Beiträge auf alle Einkommensarten (wie Mieteinkünfte oder Kapitalerträge) zahlen, also auch auf ihre private Altersvorsorge. Fast 60 Prozent der Selbstständigen sind laut Statistischem Bundesamt gesetzlich krankenversichert. Dies wird aber für Selbstständige unbezahlbar. Der Vorwand, dass sie in die private Versicherung wechseln können, zeigt, dass der Staat kein Interesse daran hat, Selbstständigen ein faires Angebot zu machen. Fair wäre, diese Ungerechtigkeit abzuschaffen und zur Beitragsbemessung nur das Arbeitseinkommen heranzuziehen, wie bei Angestellten auch.
4. Gleiche Chancen für kleine und mittlere Unternehmen bei Ausschreibungen
Wenn die öffentliche Hand Aufträge ausschreibt, dann sind Prozesse und Vorschriften so komplex gestaltet, dass kleine Unternehmen kaum die Möglichkeit haben, sich unbürokratisch dafür zu bewerben. Bereits bei einem Auftragswert ab 10.000 Euro kann ein öffentlicher Auftraggeber den Auftrag nicht mehr freihändig vergeben, und ab 30.000 Euro muss ausgeschrieben werden. Für Selbstständige, Kleinstunternehmen, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind die damit verbundenen Erbringungs- und Garantieanforderungen für öffentliche Ausschreibungen ein enormer Aufwand an finanziellem Risiko, Zeit und Kosten, die sie selbst stemmen müssen. Die Folge: Öffentliche Aufträge gehen an Großunternehmen; die „Konzernisierung“ scheint politisch gewollt, der Mittelstand hat das Nachsehen. Es braucht positive Signale an die KMU, dass der Staat auf die Vielfalt und Expertise der unternehmerischen Substanz im Land vertraut.
5. Gründungszuschuss für alle
In Deutschland gab es von 2003 bis 2006 einen Existenzgründungszuschuss zur Gründungsförderung, der allen Gründungswilligen offenstand. Obwohl diese Förderung laut Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung ein voller Erfolg war, wurde sie sehr zügig wieder zugunsten der Vermittlung in die Festanstellung reformiert, zunächst 2006 und dann noch einmal 2011. Nach der Reform 2011 nahmen die Förderzahlen drastisch ab. 2023 wurde der Vermittlungsvorrang formal wieder abgeschafft, die Förderung steht aber weiterhin nur jenen offen, die zuvor abhängig beschäftigt waren. Laut Statistischem Bundesamt verfestigt sich in Deutschland der Trend zu weniger Selbstständigkeit seit über zwölf Jahren. Der Gründungszuschuss sollte daher erstens wieder zur Pflichtleistung werden, anstatt im Ermessen eines Sachbearbeiters zu liegen, und zweitens ein Instrument werden, das generelle Zuversicht in die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit signalisiert.
Diese Wahl ist keine Schicksalswahl, sondern eine Richtungswahl. Als Selbstständige fordern wir mehr Freiräume und faire Bedingungen für unternehmerische Ambitionen. Das ganze Land wird profitieren.
Catharina Bruns ist Unternehmerin. Sie hat in Kooperation mit der Unternehmerin Isabella Pfaff die Initiative 4.Mio+ für Selbstständige gestartet.
Source: welt.de