Stellen Sie sich vor, Sie sind die Anführerin oder der Anführer einer der mächtigsten Nationen der Welt. Ihnen steht alles zur Verfügung, was man sich wünschen kann: Macht, Einfluss, Geld. Doch ein Problem bleibt: Ihre Zeit an der Spitze ist begrenzt. Die Rede ist nicht von einem drohenden Putsch, einer Revolution oder gar einer demokratischen Wahl – sondern von dem, was im Leben noch sicherer ist als Steuern: dem Tod.
Anfang September wurden Chinas Xi Jinping und Russlands Wladimir Putin dabei belauscht, wie sie über Strategien sprachen, jung zu bleiben. „Mit der Entwicklung der Biotechnologie können menschliche Organe fortlaufend transplantiert werden, und die Menschen können immer jünger leben – vielleicht sogar Unsterblichkeit erreichen“, sagte Putin über einen Dolmetscher zu Xi. „Es gibt eine Chance“, fuhr er fort, „dass man auch 150 Jahre alt werden kann.“ Doch ist das überhaupt möglich? Und was würde es für die Welt bedeuten, wenn Menschen an der Macht ewig leben könnten?
Wer hinter der Idee der „Langlebigkeits-Revolution“ steckt
Im Laufe der Jahrhunderte haben wir immer ausgefeiltere Technologien genutzt, um uns selbst zu heilen und so eine nie dagewesene Lebensdauer zu erreichen. Im 20. Jahrhundert waren es vor allem Fortschritte in der öffentlichen Gesundheit und der Medizin, die diese Transformation ermöglichten und dafür sorgten, dass Kinder heute länger und gesünder leben können als jemals zuvor in der Geschichte. Doch für manche reicht selbst das noch nicht aus.
Seit 25 Jahren arbeite ich als Technikjournalist und habe den Aufstieg des Internets von seinen Anfängen an begleitet. Ich habe darüber berichtet, wie es unsere soziale Welt verändert hat – und ich habe mich gegen übereifrige Entwickler ausgesprochen, die mit ihren „disruptiven Innovationen“ unweigerlich in Konflikt mit der Gesellschaft geraten. Neugierig wurde ich, als immer mehr Milliardäre aus dem Silicon Valley auftauchten, die ewig leben wollten. Welche Welt stellten sie sich vor? Und welchen Platz sollten wir anderen darin haben?
Ich habe Menschen getroffen, die radikale lebensverlängernde Experimente ausprobiert haben, Biohacker, die schwören, ihre Zahlen würden sie für immer jung halten – und ich habe Einblicke in die Labore des Silicon Valley bekommen, in denen Technologen eine „Langlebigkeits-Revolution“ planen. Dabei habe ich die Beweggründe, ethische Dilemmata und Glaubenssätze aufgedeckt, die diesen Glauben nähren: dass wir am Rand des ewigen Lebens stehen – und dass genau diese „Immortalisten“ die sein werden, die es uns ermöglichen.
Welche Formen von „Unsterblichkeit“ gibt es?
In dieser Bewegung gibt es verschiedene Formen von „Unsterblichkeit“. Da ist zum einen die buchstäbliche Variante des Für-immer-Lebens – geprägt von hochintelligenten, mathematisch denkenden Informatikern, Philosophen und Technikgläubigen, die unerschütterlich an die lebensspendende Kraft der Technologie glauben. Sie stellen sich vor, eines Tages mit Künstlicher Intelligenz zu verschmelzen, post-human zu werden – und dann ewig in einem Zustand von Glück und Ekstase zu existieren.
Dann gibt es die „Immortalisten“, die die gesamte Infrastruktur unserer Welt so umbauen wollen, dass sie selbst für immer leben können. Schon jetzt, und zwar offen sichtbar, verändern sie die Souveränität von Nationalstaaten, indem sie eine Agenda rücksichtsloser technologischer Beschleunigung vorantreiben. Diese mächtigen Menschen suchen nicht nach dem Jungbrunnen – sie bauen ihn.
Und schließlich gibt es noch eine weitere Version der Unsterblichkeit, die von Leuten wie Xi und Putin vertreten wird. Sie glauben fest an die Gewissheit einer exponentiell beschleunigten Wissenschaft und Technologie. Das Leben soll nicht durch Verschmelzung mit Maschinen fortgesetzt werden, sondern dadurch, dass Technologie den Ansturm der Zeit verlangsamt – sodass die Medizin genügend Zeit hat, Heilmethoden zu entwickeln. Sie sehen sich selbst als lebenden Beweis für Altersumkehr, körperliche Verjüngung und die Fähigkeit, die Zeit anzuhalten.
Was man mit 80 Jahren tun möchte, ist nicht dasselbe wie mit 20
2015 definierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im World Report on Ageing and Health gesundes Altern als „den Prozess der Entwicklung und Aufrechterhaltung der funktionalen Fähigkeit, die das Wohlbefinden im Alter ermöglicht“. Entscheidend in dieser Definition ist die funktionale Fähigkeit, oder auch „intrinsische Kapazität“ – also „die gesundheitsbezogenen Eigenschaften, die es Menschen ermöglichen, das zu sein und zu tun, was sie als wertvoll erachten“.
Denn was man mit 80 Jahren tun möchte, ist nicht dasselbe wie mit 20. Stell dir vor, du willst mit 80 Fallschirmspringen, kannst aber gar nicht ins Flugzeug steigen, weil dir Treppensteigen schwerfällt: Dann ist deine funktionale Fähigkeit eingeschränkt. Wenn du mit 80 körperlich zwar problemlos ins Flugzeug kommst, aber an einem Grauen Star leidest und lieber lesen möchtest als springen – dann ist auch das ein Rückgang deiner funktionalen Fähigkeit.
Es geht also nicht nur darum, ob Krankheiten vorhanden sind oder nicht, wie stark sie einschränken oder wie viele Lebensjahre man erreicht. Entscheidend ist vielmehr Qualität und Quantität dieser Jahre – eingebettet in viele weitere Faktoren, etwa den Lebensstil.
Begonnen hat alles in den 1990er Jahren
Der Fachbegriff dafür in der Alternsforschung lautet „Healthspan“ – also gesunde Lebensspanne. Das Ziel der meisten zeitgenössischen Wissenschaft in diesem Bereich ist, diese zu verlängern. Healthspan bedeutet, länger gesund zu bleiben und die typischen Alterskrankheiten hinauszuzögern. Es geht darum, den Körper jung zu halten, aktiv in den Alterungsprozess einzugreifen und sogar über „Verjüngung“ nachzudenken.
Genau an diesem Punkt beginnt die Wissenschaft zu stöhnen. „Das ist der Rand des Randes“, sagte mir ein Arztkollege abfällig, als ich erwähnte, dass ich zu diesem Thema recherchiere. Doch es gibt zunehmend Belege dafür, dass dem Altern biologische Mechanismen zugrunde liegen – und einige eher unkonventionelle Forscher, finanziert vom Silicon Valley, versuchen herauszufinden, wie man daran schrauben könnte, damit unsere Körper tatsächlich die Zeit zurückdrehen.
Begonnen hat das in den 1990er Jahren, als die junge Molekularbiologin Cynthia Kenyon gemeinsam mit ihrem Doktoranden Ramon Tabtiang mehrere bahnbrechende Experimente mit einem winzigen Fadenwurm namens C. elegans entwarf. Ihre Ergebnisse deuteten darauf hin, dass die Veränderung eines bestimmten Gens die Lebensspanne dieser Organismen verdoppeln konnte.
Kurz darauf hielt Kenyon einen Vortrag an der Stanford University. „Sie sah aus wie eine superjunge, total coole Professorin“, erinnert sich Irina Conboy, die damals zusammen mit ihrem Freund Mike – beide noch Doktoranden – im Publikum saß. „Und sie meinte, dass man ein altes Tier durch die bloße Veränderung der Intensität bestimmter Moleküle wieder jünger machen kann.“
Mike Conboy: „Alles scheint mit dem Alter auf einmal bergab zu gehen“
Als ich Irina und Mike Conboy Jahre später in ihrem Büro treffe – inzwischen verheiratet und beide Professoren am Department of Bioengineering der University of California, Berkeley –, tragen sie passende Batik-Sweatshirts und vollenden gegenseitig ihre Sätze. Sie sind herzlich, charmant und ein wenig chaotisch. Auf dem durchgesessenen Sofa kaut ihr kleiner weißer Hund zufrieden an seinem Bein, neben einem Stapel Papiere.
Das Paar beschäftigt vor allem eine große Frage zum Altern: „Warum scheinen eigentlich alle Gewebe im Körper gleichzeitig alt zu werden?“, fragt Mike. „Es spielt keine Rolle, ob sie außen oder innen liegen, ob sie beansprucht werden oder nicht – alles scheint mit dem Alter auf einmal bergab zu gehen.“ Sie fragten sich, ob es ein Signal im Körper gibt, das die molekulare Struktur der Muskeln verändert und so alle Gewebe gleichzeitig altern lässt. Also machten sie sich daran herauszufinden, was allen Geweben gemeinsam ist.
Erinnern Sie sich an den Biologieunterricht in der Schule? Vielleicht an die handgezeichneten Anatomieposter mit aufwendigen Illustrationen und Beschriftungen zu den einzelnen Teilen des Körpers: das Skelettsystem – das Gerüst aus Knochen, Bändern, Knorpeln und Gelenken, das uns Form und Struktur verleiht; das Nervensystem – das Netzwerk, das elektrische Signale zwischen Gehirn und Körper überträgt; und das Gefäßsystem – die Blutgefäße, die Muskeln mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen. Könnte es sein, dass eine Art Alters-Alarm über eines dieser Systeme durch den Körper weitergegeben wird?
Zwischen 2003 und 2004 nähten die Conboys Mäuse zusammen – mit faszinierenden Folgen
„Das ideale Experiment wäre: ‚OK, was passiert, wenn wir ein junges Nervensystem in eine alte Maus transplantieren?‘“, sagt Mike. „Nun, technisch können wir das nicht machen. Was, wenn wir einer alten Maus ein junges Gefäßsystem verpflanzen? Geht auch nicht.“ Irina sieht mich mit funkelnden Augen an, während Mike weiterspricht: „Was aber, wenn wir junges Blut in eine alte Maus geben?“ Das müsste mehr sein als eine einmalige Injektion – sie müssten einen großen Teil des Blutes von einer jungen Maus auf eine alte übertragen, damit sich ein Effekt klar beobachten ließe.
„Und was, wenn wir die junge und die alte Maus einfach miteinander verbinden?“, sagt Mike. „Man kann eine alte Maus an eine junge nähen. Und statt dass die Haut der alten Maus an ihrer eigenen Wunde zusammenwächst, verheilt sie Kante an Kante mit der jungen Maus.“ Er beschreibt damit eine Technik namens Parabiose. „Während dieses Gewebe verheilt, bilden sich Blutgefäße neu. Und so fließt Blut langsam von einem Tier ins andere – hin und zurück.“
Zwischen 2003 und 2004 nähten die Conboys drei Kategorien von Mäusen zusammen: jung und alt, jung und jung sowie alt und alt. Fünf Wochen lang ließen sie das Blut fließen und fügten dann jeder Maus eine Verletzung im Hinterbeinmuskel zu. Fünf Tage später hatten sich die Mäuse mit jungem Blut – darunter auch die alten – erholt, anders als die unveränderten alten Tiere, deren Muskeln sich nur so regenerierten, wie es für gealterte Tiere typisch ist.
Das Team wiederholte die Experimente an anderen Körperregionen. Die Leber – das gleiche Ergebnis. Das Gehirn – ebenfalls. Nach und nach, über die Lebenszeit ihrer verbundenen Mäuse hinweg, zeichnete sich klar ab: Die Gewebe der alten Mäuse ähnelten nun viel stärker denen junger Tiere – ob in den Muskeln, in der Leber oder im Gehirn. Etwas im jungen Blut hatte die alten Gewebe verjüngt. 2005 veröffentlichten die Conboys ihre Ergebnisse im Fachmagazin Nature. Sie hatten eine Art Jungbrunnen entdeckt – doch sie wussten weder warum noch wie er funktionierte.
Lässt sich der Verlust sexueller Leistungsfähigkeit stoppen?
Wissenschaftliche Erkenntnis ist weniger ein einzelner Moment, sondern eher ein Prozess. Der Weg bis heute ist übersät mit alten, widerlegten Ideen, die aber vielleicht die nötigen Zwischenschritte waren, um dorthin zu gelangen, wo wir jetzt stehen. Der Weg zur Langlebigkeit macht da keine Ausnahme.
Im Jahr 1889 trat in Paris Charles-Édouard Brown-Séquard, ein angesehener Physiologe und Mitglied der Royal Society, vor eine erlesene Zuhörerschaft der Société de Biologie. Im Alter von 72 Jahren, da er selbst die Zeichen des Alterns spürte, begann er den Verlust sexueller Leistungsfähigkeit zu untersuchen – und behauptete, die richtige Behandlung gefunden zu haben: eine Injektion in beide Arme mit einer Mischung aus Blut, Samenflüssigkeit und „aus einem Hundehoden oder Meerschweinchenhoden gewonnenem Saft“. Die Reaktion: betretenes Schweigen.
Zuvor hatte es bereits Hinweise gegeben, dass etwas bislang Unbekanntes in den Geschlechtsorganen die Auswirkungen des Alterns – zumindest bei Männern – lindern könnte. Brown-Séquard berichtete nach seiner Behandlung von gesteigerter Energie, Muskelverjüngung, besserer geistiger Leistungsfähigkeit sowie größerer Potenz im Schlafzimmer. Doch am Ende erwies sich das Ganze als besonders wirksamer Placebo-Effekt.
Serge Voronoff: Menschen können durchaus 140 Jahre alt werden
Einer seiner Schüler war Serge „Samuel“ Voronoff, der zudem bei Alexis Carrel lernte – einem Nobelpreisträger und Pionier der Organtransplantation. Voronoff verband die beiden Ideen seiner Mentoren – die Übertragung von Organen und die geheimnisvolle Verjüngungskraft von Hoden – zu seiner eigenen Theorie: Er verpflanzte Geschlechtsdrüsen von jungen in alte Körper. Konkret transplantierte er Gewebestücke von Affenhoden in die Hodensäcke älterer Männer. 1923 präsentierte er seine Ergebnisse auf dem Internationalen Chirurgenkongress in London und erklärte, das Verfahren sei so erfolgreich gewesen, dass das Pasteur-Institut ihm eine eigene Schimpansen-Zuchtstation in Westafrika eingerichtet habe.
Innerhalb von zwei Jahrzehnten nutzten mehr als 45 Chirurgen weltweit seine Methode über 2.000 Mal, allein in Frankreich wurden 500 Männer operiert. Voronoff veröffentlichte Bücher und wissenschaftliche Artikel und erklärte, dass Menschen durchaus 140 Jahre alt werden könnten. Zeitungen berichteten von „wundersamen, lebensverändernden Ergebnissen“. In Brasilien wurde er sogar zur Inspiration für Karnevalslieder. Doch sein Ruhm verblasste, als sich herausstellte, dass der eigentliche Wirkstoff nicht seine Methode, sondern das Hormon Testosteron war, das 1935 von Ernst Laqueur isoliert wurde.
Beide Männer – gebildet und angesehen – hatten an einem Faden wissenschaftlicher Forschung gezogen, der zunächst plausibel wirkte. Doch beide lagen daneben. Damals existierte noch kein verlässlicher Standard zur Überprüfung, ob die vorgeschlagenen Behandlungen sicher und wirksam waren. Heute gibt es diese Maßstäbe – und die Forschung zu jungem Blut bewegt sich am Rand genau dieser Grenze.
Junges Blut kehrt offenbar den Alterungsprozess um – aber woran liegt das?
2016 eröffnete Jesse Karmazin, Absolvent der Stanford Medical School, im Business Park nahe eines Mammutbaumwaldes in Monterey, Kalifornien, die Firma Ambrosia Health. Dort wollte er ein Experiment durchführen, das die Hypothese der Conboys am Menschen testen sollte. Noch immer war kaum geklärt, warum junges Blut offenbar Alterungsprozesse umkehrte – in den zehn Jahren seit den ersten Veröffentlichungen zur Parabiose hatten sich nur wenige molekulare und hormonelle Kandidaten herauskristallisiert, doch die Beweise waren vage und allesamt auf Mäuse beschränkt.
Karmazin beschloss, als privates Unternehmen eine eigene Humanstudie zu starten – gegen Eintrittsgeld für alle ab 35 Jahren. Für 8.000 Dollar konnten Teilnehmende ihre Biomarker messen lassen, eine Transfusion von einem Liter jungen Plasmas (von Spendern zwischen 16 und 25 Jahren) erhalten und anschließend erneut ihre Biomarker bestimmen lassen, um die Ergebnisse zu vergleichen.
Er rief Irina Conboy an, um ihre Meinung einzuholen. Sie lehnte ab. Mit der Grundannahme könne sie nichts anfangen, erklärte sie mir später – Karmazins Studie „passte einfach nicht richtig“. Es gebe nicht genügend Belege dafür, dass sich mögliche Effekte so umfassend nachweisen ließen. Doch selbst ohne ihre Unterstützung erhielt das Unternehmen und seine Studie in weniger als zwei Jahren über 100 Presseerwähnungen.
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Jesselyn Cook war damals Technikreporterin bei der Huffington Post. „Karmazin wurde mit Aussagen zitiert wie: ‚Es funktioniert, es macht Alterung rückgängig‘ oder ‚Ich bin nicht wirklich der Meinung, dass das Unsterblichkeit bringt, aber ich glaube, es kommt dem ziemlich nahe‘“, erzählt sie mir. „Egal, ob man jung war und sich besonders leistungsfähig fühlen wollte, oder ob man alt war und – in seinen eigenen Worten – sein Alter zurückdrehen wollte: Es wirkte so, als könnte Ambrosia in jedem Fall helfen.“
Bis 2019 hatte Ambrosia Health insgesamt fünf Kliniken in den USA eröffnet, und Karmazin deutete an, eine weitere in Manhattan eröffnen zu wollen. Andere private Kliniken, die ebenfalls vorgaben, Forschungsstudien durchzuführen, waren inzwischen aufgetaucht und boten zahlenden Kunden Transfusionen mit jungem Blut an. Doch junge Plasma-Behandlungen gegen die körperlichen und kognitiven Folgen des Alterns waren von der US-Arzneimittelbehörde FDA nie zugelassen worden. Im Februar desselben Jahres veröffentlichte die Behörde eine Warnung: Patienten würden von „skrupellosen Akteuren“ ausgenutzt, die solche Behandlungen als „Heilungen und Wundermittel“ anpriesen. Nur wenige Stunden später stellte Ambrosia Health seinen Betrieb ein.
Irina Conboy: „Wann wir das Altern stoppen können? Bald“
Als ich 2023 mit Karmazin per E-Mail Kontakt hatte, schrieb er mir: „Die FDA hat unsere Daten nie geprüft, bevor sie ihre Mitteilung herausgab … Ich habe keine Ahnung, ob sie überhaupt jemals von Ambrosia wussten. Es ist durchaus möglich, dass sie sich auf unsere Wettbewerber bezogen, die weniger sorgfältig vorgingen und die Regeln nicht respektierten.“
„Wenn man glaubt, dass man einfach dieses Verfahren machen kann und sofort jünger wird – noch nicht“, sagt mir Irina Conboy, als ich das Thema Ambrosia Health anspreche. „Wenn das Ziel ist, das Altern zu stoppen und auf einem Plateau zu halten oder langsam wieder jünger zu werden, dann würde ich sagen: Momentan haben wir das noch nicht. Aber wenn man Zeit, Mühe und Ressourcen richtig investiert, dann werden wir es bald haben. Das ist mein Gefühl. Bald.“ Und genau auf dieses „bald“ setzen manche Pioniere der Langlebigkeitsforschung.
Als ich 2023 mit dem „Rejuvenation Athlete“ Bryan Johnson sprach, war er 45 Jahre alt. Der Biohacker und Tech-Unternehmer hatte mithilfe seines Blueprint-Algorithmus ein streng getaktetes Protokoll aus Nahrungsergänzungsmitteln, Ernährung und Training entwickelt, das seine „biologische“ Alterung deutlich unter seine „chronologische“ drücken sollte. Auch mit Jung-Plasma-Therapie hatte er experimentiert: Für kurze Zeit wurde sein jugendlicher Sohn Talmadge zu dem, was Johnson selbst seinen „blood boy“ nannte, während ein Ärzteteam überprüfte, ob an den Gerüchten um die Wirkung von jungem Blut etwas dran sei.
In 365 Tagen nur 277 Tage altern – wie geht das?
Johnson stellte diese Versuche mit seinem Sohn schließlich ein, doch er twittert weiterhin regelmäßig über seine Klinikbesuche, bei denen er sich mehrere Liter Albumin – das Hauptprotein im Plasma – abholt, wie bei einem routinemäßigen Ölwechsel für die Langlebigkeit. An seinem 46. Geburtstag überprüfte Johnson erneut sein biologisches Alter. Sein Ziel im Jahr zuvor war es, den Alterungsprozess mithilfe von Blueprint ein Jahr lang komplett anzuhalten. Das Ergebnis: Sein Körper alterte in dieser Zeit mit einer Rate von 277 Tagen pro 365.
Ein Jahr Stillstand mag nicht nach Unsterblichkeit klingen, doch das Prinzip dahinter ist entscheidend: Man kann es sich wie eine Rakete vorstellen, die die Erdanziehung überwinden muss. Dafür braucht sie eine bestimmte Geschwindigkeit – die sogenannte Fluchtgeschwindigkeit. Übertragen auf das Altern bedeutet das: Wenn man es schaffen könnte, den eigenen Alterungsprozess zu stoppen, würde man irgendwann den Punkt erreichen, an dem jede altersbedingte Krankheit – von Diabetes bis Demenz – heilbar wäre, bevor man selbst in sie „hineinaltert“. Dieses Entkommen aus der Sterblichkeit wird „Longevity Escape Velocity“ genannt. Es bedeutet nicht, ewig zu leben – sondern heute nicht zu sterben.
Der Gerontologe Aubrey de Grey, der den Begriff 2004 prägte und heute die private ForschungsgruppeLEV Foundation leitet, ist überzeugt, dass dieser Punkt näher ist, als viele glauben. Schon vor zwanzig Jahren prognostizierte er, dass „bereits eine 30-prozentige Verlängerung der gesunden Lebensspanne den ersten Nutzern von Verjüngungstherapien 20 zusätzliche Jahre verschaffen würde – eine Ewigkeit in der Wissenschaft –, in denen wiederum zweite Generationen von Therapien entstehen, die weitere 30 Prozent ermöglichen, und so weiter ins Unendliche.“
So wird ein Leben bis 200 plötzlich nicht mehr undenkbar
Doch diese Vision basiert auf einer gewaltigen mathematischen Annahme: dass Technologie Schritt halten kann mit der immer komplexeren Heterogenität des menschlichen Verfalls. Krankheiten im jungen Alter sind – medizinisch gesehen – vergleichsweise simpel. Doch im Alter wachsen Schwere und Vielfalt der Leiden exponentiell. Johnson muss jung bleiben – sonst wird ihn eine altersbedingte Krankheit, die noch nicht behandelbar ist, einholen. Um „rückwärts zu altern“, bräuchte man eine Zeit, in der medizinische Behandlungen im gleichen exponentiellen Tempo besser werden wie der menschliche Körper verfällt. Es ist ein Rennen gegen die Zeit.
Die Hoffnung dahinter speist sich aus dem Glauben an das sogenannte Moore’sche Gesetz: die Beobachtung, dass sich Computerleistung etwa alle 18 Monate verdoppelt. Dass Ihr Smartphone heute ungefähr so viel kostet wie das letzte Modell, aber doppelt so leistungsfähig ist, liegt genau daran.
Wenn nun alles – von MRT-Scans über Wirkstoffentwicklung bis hin zum Protein-Folding – als Rechenproblem betrachtet wird, dann, so die Vision, sollte auch die moderne Medizin einem exponentiellen Leistungswachstum folgen. Verdoppelt sie ihre Möglichkeiten, uns am Leben zu halten, alle anderthalb Jahre, wie mächtig könnte sie dann in 20 Jahren sein? Und wenn man bis dahin das Altern aufzuhalten gelernt hat, wirkt ein Leben bis 200 plötzlich nicht mehr undenkbar.
Technofundamentalisten glauben, dass immer weiter fortschreitende Technologie jedes noch so komplexe Problem lösen könne. Wenn sich der Körper als Daten ausdrücken lässt und wir lernen, ihn bei Defekten zu reparieren – warum leben wir dann noch nicht ewig? Die einfache Antwort: Weil Leben, weil Sterblichkeit, unendlich kompliziert ist.
Seamus O’Mahony: „Altern ist für sie schlicht ein technisches Problem“
In seinem 2024 erschienenen Buch Why We Die beschreibt der Nobelpreisträger Venki Ramakrishnan „die charakteristische Arroganz, die viele Physiker und Informatiker gegenüber Biologen zeigen“ – eine Haltung, die dazu führt, dass Ingenieure etwas Wesentliches übersehen. Dieses Etwas mag physischer Natur sein, wahrscheinlicher aber ist, dass es sich nicht in Daten zerlegen lässt.
Der Arzt und preisgekrönte Autor Seamus O’Mahony (The Way We Die Now) machte diese Erfahrung auf einer Longevity-Konferenz im Jahr 2025. „Sie interessieren sich nur für das Biomolekulare und das Monetarisierbare“, sagt er. „Vier Tage lang hörte ich Vorträge über KI-entwickelte Medikamente, Glykane und die Alterungsuhr des Transkriptoms – aber fast nichts über die Komplexität von Sterbesystemen oder über die sozialen Determinanten von Tod und Sterben. Sie wirkten erstaunlich uninteressiert an dem Feind, dem sie den Krieg erklärt haben. Altern ist für sie schlicht ein technisches Problem, das man lösen kann und lösen wird.“
Die Ironie dabei: Die mechanistische Metapher, die uns lange Zeit so gut gedient hat, blockiert heute den Fortschritt. Zu viel Vertrauen in Daten und Ingenieurskunst unterschätzt den Wert des Unbekannten und Unwissenbaren. Um Alterung und Tod zu „besiegen“, müssten wir uns den technischen Werkzeugen unterordnen, die eigentlich uns dienen sollen – von Tabellenkalkulationen bis zu großen Sprachmodellen. Wir müssten selbst zu Maschinen werden. „Dieser Drang, dieser Antrieb, dieses moralische Gebot, sich ständig verbessern zu wollen, bedeutet: Wir sollen wie Maschinen werden“, sagt Elke Schwarz, Politikwissenschaftlerin an der Queen Mary University in London.
Elke Schwarz: „Unsere Körper sind nun einmal sterblich“
Doch „wir führen ein unbequemes Leben“, so Schwarz. „Wir sind seltsam. Wir sind unordentlich. Unsere Körper sind sterblich. Wir sterben. Warum können wir nicht wie Produkte sein? Warum nicht wie Dinge, die Informatiker bauen, die man endlos verbessern und optimieren kann?“ Die Antwort: Weil wir es nicht sind. Genau hier aber setzt das Silicon Valley an – beim Versuch, Sterblichkeit zu „reparieren“. Ihre simplen Lösungen – und die Mittel, die sie dafür brauchen – stehen längst auf der Agenda einiger der mächtigsten Menschen der Welt.
2025 kehrte Donald Trump ins Oval Office zurück – mit ambitionierten Plänen, die US-Regierung umzubauen. An seiner Seite bei der Amtseinführung: Vertreter der größten Tech-Konzerne der Welt, die ihr Gewicht und ihr Silicon-Valley-Vermögen hinter Amerikas KI-Zukunft stellen.
Seit Januar 2025 hat Trump ihnen Zugang zu Finanzmitteln und Infrastruktur verschafft, die sicherstellen sollen, dass KI zur treibenden Kraft der US-Wirtschaft wird – und auch die technologische Suche nach dem ewigen Leben antreibt. Für sie ist es eine moralische Pflicht, Technologie einzusetzen, um Körper und Geist in Richtung Unsterblichkeit zu verbessern.
Was ihnen im Weg steht, sind Regulierungen – und genau diese baut Trumps Team ab. Anfang 2025 ergriff Elon Musk Doge-Maßnahmen, die Forschung am National Institutes of Health (NIH) stark einschränkten und die Aufsicht der FDA schwächten. Das Ministerium kündigte Mietverträge, verringerte die Belegschaft imOffice of Digital Transformation der FDA und stoppte Hunderte von Forschungsprojekten im Wert von Milliarden Dollar.
Donald Trump will die KI-Unsterblichkeit, aber kürzt Alten die Gesundheitsversorgung
Der Techno-Libertäre Peter Thiel, PayPal-Mitgründer und Longevity-Investor, half dabei, frühere Kollegen und Mitarbeiter in Positionen zu bringen, in denen sie staatliche Aufsicht weiter abbauen können. Der amtierende Direktor der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) – bis vor Kurzem rechte Hand von Robert F. Kennedy Jr. – ist Jim O’Neill, ein langjähriger Thiel-Vertrauter. O’Neill hatte bereits 2014 Reformen vorgeschlagen, nach denen die FDA Medikamente schon nach dem Nachweis grundlegender Sicherheit zulassen sollte – damit Menschen sie „auf eigenes Risiko“ nutzen könnten, einschließlich unbewiesener Langlebigkeitsbehandlungen wie „junges Blut“.
Der Preis für diese technofundamentalistische Vision von KI-Unsterblichkeit ist hoch: Ressourcen werden von Programmen abgezogen, die Menschen im Hier und Heute beim Altern unterstützen. Die Regierung schlug Kürzungen von Hunderten Milliarden Dollar bei Medicare vor – dem Gesundheitsnetz für Millionen US-Bürger über 65 – und sagte die White House Conference on Ageing ab, die seit 1961 alle zehn Jahre stattfand, um die strategische Richtung der Seniorenpolitik festzulegen. All diese radikalen technologischen und politischen Innovationen werden uns nicht dabei helfen, länger und gesünder zu leben.
Es fällt leicht, über Figuren wie Xi und Putin die Augen zu rollen, wenn sie von Unsterblichkeit träumen, und ihre Allmachtsfantasien als Größenwahn abzutun. Sie glauben, wir stünden kurz vor einer radikal verlängerten Lebensspanne – und dass sie, einzigartig in der Geschichte, diejenigen seien, die die Maschinen bauen lassen, die uns dorthin bringen.
Doch man sollte eines bedenken.
Für die Reichen und Mächtigen ist der Tod keine Unvermeidlichkeit
Die Technologen, die fest an das Projekt Unsterblichkeit glauben – ob sie nun buchstäblich ewig leben wollen oder ob sie KI erschaffen, die nach ihrer Vorstellung eine neue Aufklärung einleiten soll – genießen derzeit beispiellosen politischen Zugang zu den Mächtigen dieser Welt. Sie sind es, die wieder einmal unsere Zukunft bauen.
Für die Immortalisten des Silicon Valley und die Reichen und Mächtigen wie Xi und Putin ist der Tod keine Unvermeidlichkeit. Auch wenn Organtransplantationen für ewiges Leben noch ins Reich der Science-Fiction gehören, haben sie im Wettlauf zur „Longevity Escape Velocity“ einen Vorsprung – schlicht, weil sie sich modernste Behandlungen, personalisierte Protokolle und so viel junges Blut leisten können, wie ihr Gewissen erlaubt. Sie können weiterleben: als Königsmacher, als Herrscher der Welt oder als Bits von Computercode, die ihr Wesen durch das Universum tragen.
Doch während sie die Welt nach ihrem Bild neu formen, verbreiten sie den Mythos, dass der Mensch nicht komplexer sei als Computer-Code. Diese Ideen legen den Grundstein für ein ewiges „Für-immer“. Aber wir haben die Wahl, ob wir sie akzeptieren – oder ob wir im Hier und Jetzt leben wollen.