„Die SPD hat den Ernst jener Lage nicht verstanden“ – „Absoluter Wahnsinn“ um Wehrdienst-Modell

Verteidigungsminister Pistorius versprach zwar, sich beim Thema Wehrdienst „nicht in den Weg zu stellen“. Trotzdem kulminierte der Streit am Dienstagabend einem Eklat. Größtes Thema in den deutschen Podcasts ist diese Woche der Scherbenhaufen, vor dem die SPD nun steht.

Letztlich hat es der Gesetzesentwurf doch noch in die erste Lesung geschafft. Und Pistorius zeigte sich am Ende gesprächsbereit zu möglichen Änderungen bei den Wehrdienst-Plänen.

Nach monatelangen Debatten über die künftige Ausgestaltung des Wehrdienstes aber hatte sich der schwarz-rote Konflikt in dieser Woche zugespitzt. Fach- und Fraktionskreise hatten sich auf ein Vier-Stufen-Modell geeinigt, eine Pressemitteilung kursierte bereits, doch dann platzte die für Dienstag, 17:30 Uhr angesetzte Konferenz der Fraktionsspitzen im Jakob-Kaiser-Haus in Berlin-Mitte.

Der Verteidigungsminister hatte kurzfristig sein Veto gegen die Änderungen an seinem Gesetzesentwurf eingelegt. Ihn störten sowohl die konkreten Zielmarken als auch das Zufallsverfahren, das greifen soll, sobald die Zahl der Freiwilligen am Bedarf scheitert.

Wie ist der Eklat zwischen SPD und Union zu bewerten? Und wie sollte der Wehrdienst in Zukunft gestaltet sein? Das war diese Woche ein großes Thema in den deutschen Podcasts. Ein Überblick.

„Ronzheimer“: „SPD hat den Ernst der Lage nicht verstanden“

Wer Helene Bubrowski bei „Ronzheimer“ zuhörte, bekam einen Eindruck von der Vielschichtigkeit der Thematik. „Es gab eine Einigung auf einen Kompromiss, der wiederum eine Abwandlung ist des Gesetzentwurfs, der jetzt schon seit einigen Wochen kursierte“, beschrieb die Chefredakteurin von „Table Media“ einigermaßen verschachtelt. „Es ist tatsächlich total kompliziert. Bei diesen ganzen Modellen, da blicken wirklich nur noch wenige bis ins letzte Detail durch.“ Da die Union nicht allein auf Freiwilligkeit setzen wollte, hatte sie sich mit der SPD auf ein Vier-Stufen-Modell geeinigt.

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„Die Deutschen sollen langsam wieder herangeführt werden an die Wehrpflicht, von der sie sich entwöhnt haben“, charakterisierte die Journalistin den Gedankengang dahinter. Zunächst hätte das Modell auf Anreize und Freiwilligkeit setzen sollen. Wenn sich auf diesem Wege zu wenige für den Dienst gemeldet hätten, hätte die Musterung nach Losverfahren gegriffen. Auf der dritten Stufe wäre die „verfassungsrechtlich abgesicherte Wehrpflicht“ und auf der vierten die „allgemeine Wehrpflicht“ im Spannungs- und Verteidigungsfall gefolgt. Jens Spahn hatte seinem Koalitionspartner noch ein „vergiftetes Kompliment“ gemacht, als er die SPD dafür lobte, in der „sicherheitspolitischen Realität“ angekommen zu sein.

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Doch eben danach hat es am Dienstag um 17:30 Uhr nicht mehr ausgesehen. Sowohl an der Basis als auch unter den Funktionären herrschten noch „andere Meinungen“ als jene von Boris Pistorius und Lars Klingbeil, erklärte Bubrowski. Mancher sehe die SPD nach wie vor als „Friedenspartei“ und sich als Erben von Willy Brandt und Egon Bahr. Insbesondere unter den Älteren sei die „Wende in der Außenpolitik der SPD mit Blick auf Russland auch noch nicht bis ins Letzte angekommen“, wie bereits an den Debatten über die Waffenlieferungen an die Ukraine deutlich geworden war. „Die SPD ist tatsächlich diejenige, die ein bisschen auf der Bremse steht.“

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Boris Pistorius wiederum habe sich über die zweite Stufe „sehr geärgert“, die Musterungen per Zufallsentscheidungen durchzuführen. Darin hatte der Verteidigungsminister eine „Verschlechterung“ gegenüber dem ursprünglichen Entwurf gesehen. Er wolle, dass alle gemustert werden. Zudem habe es der SPD-Politiker als „unnötig“ und „voreilig“ empfunden, dass die Abgeordneten Siemtje Möller und Norbert Röttgen Änderungen am Entwurf beschlossen hatten, bevor er zur ersten Lesung in den Bundestag eingebracht worden war. Normalerweise feilen Parlamentarier erst nach dieser an Gesetzesentwürfen des Kabinetts.

Die aktuelle Folge RONZHEIMER gibt es hier zu hören: „Neue Krise? Wehrpflicht spaltet die Koalition. Mit Helene Bubrowski“

„Was die Fraktion da hingelegt hat, ist ein deutliches Zeichen, dass sie den Ernst der Lage nicht verstanden hat“, beurteilte die Journalistin. Es sei „absoluter Wahnsinn“, dass Pistorius „am Ende auch seine eigenen Leute düpiert“ habe. „Jetzt stehen echt alle blöd da.“ Damit schrecke die Bundesregierung nicht nur die ohnehin geringe Anzahl junger Menschen ab, die sich von der Wehrpflicht begeistert zeigten, sondern wiederhole aus „Eitelkeit“ erneut die „Fehler der Ampel“, indem sie einen schädlichen „öffentlichen Streit hinlegt“.

„Machtwechsel“: „Es ist ein GAU“

„Das ist ja ein interessanter Versuchsaufbau“, charakterisierte Robin Alexander die Vorgänge bei „Machtwechsel“. „Bevor das echte parlamentarische Verfahren losgeht, versuchen die Koalitionsfraktionen den Regierungsentwurf dahingehend zu verändern, dass er durchgeht.“ Während Friedrich Merz damit erkennbar kein Problem hätte, ärgere sich Boris Pistorius über die Änderungen an seinem „schönen Gesetzentwurf“. Es verdeutliche die „gestörte Kommunikation“ zwischen dem Verteidigungsminister und den SPD-Parlamentariern, auf die wiederum der Bundeskanzler vor zwei Wochen bei „Caren Miosga“ hingewiesen hatte. „Es kann sein, dass er die internen Vorgänge im Parlament nicht so mitbekommen hat“, hatte er da Pistorius von der eigenen Fraktion abgegrenzt.

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Am Dienstag hatte Siemtje Möller in einer SPD-Fraktionssitzung das Vier-Stufen-Modell vorgetragen, auf welches sich die Sozialdemokraten mit CDU und CSU geeinigt hatten. Pistorius habe sich daraufhin als erster zu Wort gemeldet, berichtete der WELT-Journalist mit Verweis auf Teilnehmerangaben. „Herablassend“ im Ton habe er das Konzept verrissen und sich darüber beklagt, dass sein Gesetz „verstümmelt“ worden sei. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Möller sei derart angefasst gewesen, dass sie noch während der Erwiderung des Verteidigungsministers den Raum verlassen habe. „Es ist ein GAU“, bewertete Alexander.

Wie uneinig die SPD in der Verteidigungsfrage auftritt, veranschaulichte der Journalist mit einem Rückblick. Im Wahlprogramm habe die Partei einen „flexiblen Wehrdienst“ gefordert, der auf Freiwilligkeit basiere und sich am Bedarf orientieren sollte. „Da ist schon ein Paradoxon eingebacken in dieser Formulierung“, bewertete Alexander. Pistorius habe durchblicken lassen, dass es verpflichtende Elemente geben müsse, falls die Freiwilligkeit nicht ausreiche. „Dieser Zahn ist ihm auf dem Parteitag gezogen worden.“ Insbesondere die Jusos hätten sich gegen einen Zwangsdienst gestellt und weder der Verteidigungsminister noch der mit knapp 65 Prozent abgestrafte Vorsitzende Lars Klingbeil hätten noch die Kraft besessen, sich durchzusetzen. „Daran doktert jetzt die Koalition herum.“

„Apokalypse & Filterkaffee“: „Der Zufall ist die Schwester der Willkür“

Die geringe Bereitschaft, sich im Ernstfall an Kriegshandlungen zu beteiligen, umtrieb Lara Fritzsche, Autorin des SZ-Magazins. Einer Insa-Umfrage zufolge würden es 61 Prozent der Befragten vermeiden, sich zu melden, wenn ein Nato-Staat wie etwa Estland angegriffen werden würde. Selbst im Falle eines Angriffs auf Deutschland würden sich 56 Prozent der Verteidigung verweigern, erklärte sie bei „Apokalypse & Filterkaffee“. Dessen Moderator Markus Feldenkirchen machte einen jungen Influencer als Verantwortlichen aus, der sich seit einiger Zeit der „Kriegstüchtigkeit“ entgegenstellt. „Da hat Ole Nymoen in den Talk-Shows ganze Arbeit geleistet“, spöttelte er.

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Deutliche Kritik äußerte Fritzsche an der Idee, junge Männer per Losentscheid zur Musterung zu rufen. Es sei schon „irre genug“, dass männliche Bürger zum Wehrdienst verpflichtet werden könnten, beanstandete die Journalistin, doch dann sollte zumindest eine Gleichbehandlung herrschen. „Du musst zumindest den Anschein wahren, dass es irgendeine Art von Wehrgerechtigkeit gibt“, forderte sie, sonst entscheide der Zufall. „Und der Zufall ist die Schwester der Willkür.“

Dunja Hayali sah die Kritik am Losverfahren hingegen als aufgebauscht an. Der Linken-Fraktionsvorsitzenden Sören Pellmann hatte dieses mit einer ähnlichen Praxis aus der dystopischen Romanreihe „Die Tribute von Panem“ verglichen, in der „Kinder für die Hungerspiele ausgelost“ würden. „Bitte Leute, geht’s echt eine Nummer drunter?“, beanstandete die ZDF-Moderatorin. Sie lehnte es generell ab, den jüngsten Zwist der Regierung zu dramatisieren. „Zu einer Demokratie gehört schon auch der Streit. Das ist doch eigentlich etwas Gutes.“

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Von Parteien werde für gewöhnlich verlangt, miteinander zu ringen. Wenn sie sich aber entsprechend verhalten, reagierten viele Menschen genervt. „Wir sind echt krass unnachsichtig“, bemängelte sie bei „Apokalypse & Filterkaffee“. Dennoch gestand auch Hayali ein, dass die geplatzte Pressekonferenz von SPD und Union in ihrer Außenwirkung „schon ungünstig“ sei. „Wenn du sagst, wir haben uns geeinigt, und eine halbe Stunde später springt kein Kaninchen aus dem Hut: Das ist schon blöd.“

„The Pioneer Briefing“: „Ich bin als besserer Mensch da wieder rausgekommen“

Indizien für Pistorius’ fehlendes Einverständnis hatten sich schon aus seinem Interview bei „The Pioneer Briefing“ heraushören lassen, das wenige Stunden vor dem Eklat aufgenommen worden war. Darin forderte er bereits eine „flächendeckende Musterung ganzer Jahrgänge“. Das medial verbreitete Losverfahren redete der SPD-Politiker als „Idee aus der Union“ klein, der er „skeptisch“ gegenüberstehe. In Deutschland gebe es „keinerlei Tradition“ für diese Vorgehensweise. „Ich werde mich dem nicht in den Weg stellen. Es ist vielleicht nicht die glücklichste Lösung, aber es ist eine“, kapitulierte der Verteidigungsminister schließlich in diesem Aspekt.

Dagegen wehrte sich Pistorius, konkret zu benennen, in welchem Fall welcher Mechanismus greife, der die Wehrpflicht auslöse. „Das ist eine Frage der Einschätzung des Generalinspekteurs“, erklärte er. Vor Beginn eines Haushaltsjahres müsse dieser sagen, wie viele Soldaten er im freiwilligen Wehrdienst benötige. „Wenn die Zahl nicht erreicht wird, dann wird gegengesteuert“, sagte der SPD-Politiker einigermaßen selbstsicher, um sogleich wieder zu relativieren, dass er nicht mit einem „starren System“ arbeiten wolle. „Wenn wir eine Zielzahl um 100 unterschreiten, ist es dann verhältnismäßig – übrigens auch vor einer gerichtlichen Überprüfung – den Wehrdienst wieder in Kraft zu setzen?“

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Ungezwungener als der amtierende Verteidigungsminister kann sich dessen Vorgänger äußern, der sich einige Tage zuvor an gleicher Stelle zur Wehrpflicht positioniert hatte. „Ich glaube, wir leben bereits im Krieg“, hatte Karl-Theodor zu Guttenberg im Gespräch mit Gabor Steingart konstatiert. „Das mag nicht jedem schmecken, weil der Begriff bei vielen noch im Erich-Maria-Remarque‘schen Sinne belegt ist.“ Über die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Gazastreifen und der Ukraine würden dessen Bilder aus dem Roman „Im Westen nichts Neues“ wieder nahegebracht, obwohl heutige Kriege hybrid geführt würden und sich „nicht mehr an geografische Grenzen“ binden ließen.

Bei „The Pioneer Briefing“ plädierte er für eine „allgemeine Dienstpflicht“. „Ich war immer ein Anhänger der Wehrpflicht – und bin es bis heute“, insistierte der CSU-Politiker, der sich einst für die Aussetzung dieser verantwortlich gezeichnet hatte. „Es hat noch keinem jungen Menschen in diesem Land geschadet – Männlein wie Weiblein – auch einmal etwas für eine Gesellschaft, für diesen Staat zu tun.“ Geradezu ins Schwärmen geriet zu Guttenberg, als er von seiner Zeit bei den Gebirgsjägern berichtete. „Mir hat das damals verdammt gutgetan“, unterstrich er. Als „relativ verwöhnter Rotzlöffel“ habe er für ein Jahr „mit acht Leuten auf der Stube gewohnt hat – und ich bin als besserer Mensch da wieder rausgekommen.“

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Source: welt.de

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