Alter, was ist denn gerade los? Die AfD ist stabil die zweitstärkste Kraft im Lande, nicht obwohl, sondern weil sie zunehmend offen rechtsradikal ist. In jedem ostdeutschen Flächenland liegt sie weit vorne. Als in Dresden eine Gruppe Wahlkämpfer*innen angegriffen wird, sind die Angreifenden sich der Kamera bewusst und gehen trotzdem ungebremst auf die Grünen los.
Und auf Sylt krakeelen irgendwelche Poloshirts in einer Bar, dass dieses Land ausschließlich seiner autochthonen Bevölkerung zur Verfügung stehen sollte – und auch sie tun dies im Beisein von Kameras, im vollen Bewusstsein, gefilmt zu werden. Schämen die sich denn gar nicht mehr?
Ach: es war echt noch ein bisschen schöner, als die, excuse my French, Arschlöcher sich noch nicht so sehr trauten, ihre gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit offen zu kommunizieren. Klar, das bedeutete nicht, dass sie nicht existierten, es gab immer einen erheblichen Pool mit ausreichend Exemplaren in der deutschen Gesellschaft (damals auch in beiden).
Aber sie hatten lange keine direkte Repräsentation im Parteiensystem, da in einer Verdrängungsgesellschaft wie der deutschen, mit Verlaub, arschige Politik – also solche, die andere Menschen abwertet, ausbeutet oder dem Tode weiht – in die Begriffe des bürgerlichen Humanismus gekleidet werden muss (wie die militärische Abwehr legitimer Migrant*innen, die als „Kampf gegen Schleuserkriminalität“ verkauft wird). Jetzt haben sie diese Repräsentation leider in Gestalt der AfD, die das real-existierende Repräsentationsdefizit dieser Menschen im deutschen Parteiensystem ausfüllt.
Nachdem diese Menschen nun der Meinung sind, dass sie und ihresgleichen besser sind als andere, dass ihnen mehr zusteht als den anderen und sie in den vergangenen Jahren eine Art „Coming-out“ hatten, weil mehr Menschen offener menschenfeindlichen Mist sagen konnten, feiern sie jetzt dieses Jahr überall im Land ihre kleinen Stolz-Paraden.
Jedes Mal, wenn irgendwo zur Musik von Gigi D’Agostino „Deutschland den D…“ gegrölt wird, verfestigt sich ein bisschen mehr dieses praktische Wissen: dass es okay ist, so zu sein. Dass es okay ist, Menschen wegen ihrer Abstammung deportieren zu wollen. Jedes Schützenfest und jede Party einer Jungliberalen droht so zu einer, ich muss es so offen schreiben, Arschloch-Stolz-Parade zu werden. Die Rechtsradikalen haben sich sogar etwas gebastelt, das sie „Stolzmonat“ nennen: Das ist eine Kampagne, in der sie versuchen … Ja, was eigentlich?
Es wirkt wie ein recht hilfloser Versuch, „unseren“ Pride Month zu kapern, indem unter jeden queeren Social-Media-Post ein froher „Stolzmonat“ getrollt wurde. Aber es geht nicht um das Kapern unseres Monats – es geht um puren Neid. Darum, dass sie etwas sehen, was sie auch haben wollen: Stolz darauf, was sie sind, wer sie sind, wie sie sind. Der pure Neid auf unsere Offenheit und Schamfreiheit.
Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass die Rechten uns Queers nicht nur für unsere Queerness hassen, – sie beneiden uns noch mehr um unsere über Jahrzehnte erkämpfte Schamfreiheit. Und das ist es, was wir gerade erleben: die zunehmende Entschämung der Rechten. Sie haben sich geoutet und organisieren nun ausgerechnet Stolz-Paraden.
Doch wer einmal ein Outing erlebt hat, der weiß: There’s no way back into the closet. Only over their dead bodies. Or, more realistically, ours.