Die rätselhafteste Figur des Nord-Stream-Anschlags: Wer ist Wolodymyr Sulfur.?

Er gilt als Schlüsselfigur im Nord-Stream-Krimi: Wolodymyr S., ein ukrainischer Tauchlehrer aus Polen, steht im Verdacht, an der Sprengung der Ostsee-Pipeline beteiligt zu sein. Öffentlich dementiert er jede Schuld. Können wir ihm glauben?


Ist dieser Mann die Schlüsselfigur hinter dem Anschlag auf die Nord-Stream-Gaspipeline? Wolodymyr S. vor Gericht

Foto: Omar Marques/Getty Images


Der aktuelle Stand der Ermittlungen legt nahe, dass die Bombenattacke auf die deutsch-russische Nord-Stream-Pipeline vom September 2022 von einer wohlorganisierten Gruppe von sechs Ukrainern und nicht von einem Einzeltäter verübt wurde. Dennoch produziert ein dringend Tatverdächtiger mit Abstand die meisten Schlagzeilen.

Das liegt wohl daran, dass schon zum Zeitpunkt des Haftbefehls gegen ihn noch vor seinem Namen seine Tätigkeit als Tauchlehrer an seinem Wohnort in Polen öffentlich bekannt wurde. Natürlich passt bei der Sprengung einer Pipeline am Grunde der Ostsee jemand mit dieser Erfahrung als ausführender Hauptakteur perfekt. Das gilt umso mehr, wenn ihn erfahrene deutsche Juristen und Geheimdienstler für „dringend tatverdächtig“ halten und er im zeitlichen Umfeld der Tat nahe der Ablegestelle der Bombenjacht wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung geblitzt wurde.

All das klingt wirklich nach dem Drehbuch eines echten Spionagethrillers. Zusätzlich machte die bisherige Verweigerung der Auslieferung an Deutschland durch polnische Behörden viele Schlagzeilen. Doch wer ist dieser Mann, der im Zentrum der Ermittlungen steht? Wer ist Wolodymyr S.?

Wolodymyr S. kann 80 Meter tauchen – die Tiefe, in der die Nord-Stream-Bombe deponiert wurde

Der 44-jährige Ukrainer ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt nach eigenen Angaben gegenüber einem polnischen Radiosender seit 2022 in Polen. Genauer gesagt verließ er drei Tage vor der russischen Invasion sein Heimatland. Als der europäische Haftbefehl gegen ihn im Juni 2024 erging, fand er es über Monate nicht für nötig, zu verschwinden – obwohl bei ihm eine Hausdurchsuchung durch deutsche Strafverfolgungsbehörden gemeinsam mit dem polnischen Inlandsgeheimdienst stattfand. Dagegen haben sich andere Tatverdächtige der Gruppe durch eine Ausreise in die Ukraine dem Zugriff europäischer Behörden entzogen.

Die Zeit berichtete im August 2024 von einem Besuch am Wohnsitz von Wolodymyr S. „in einer ruhigen Wohngegend in Pruszków, einer Vorstadt südwestlich von Warschau“, wo man ihn auch antraf. Erst später ist er wohl zu einem unbekannten Zeitpunkt nochmals in die Ukraine gereist. Von dort kehrte er aber wenig später nach Pruszków zurück. Eine Ausreisesperre für alle wehrfähigen Männer im Land gelte nach seiner eigenen Auskunft im Radiointerview nicht für ihn, da er seine Kinder in Polen betreuen müsse.

Belegt ist vor allem die Verbindung von S. zum Tauchsport. 2019 wurde er zum Servicetechniker für Tauchausrüstungen ausgebildet. Seine Tauchschule bietet sowohl Gruppen-Tauchgänge als auch Unterwasser-Stunts für Spielfilme als Serviceleistungen an. S. bezeichnet es selbst als für ihn möglich, auf 80 Meter zu tauchen – die Tiefe, in der die Nord-Stream-Bombe deponiert wurde. Das Tauchen ist aber nur ein Zuverdienst, nicht sein Hauptberuf.

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Im polnischen Radio sieht er die Tätigkeit sogar nur als Hobby, dem er seit 15 Jahren nachgehe. Vor allem das Tieftauchen in Höhlen fasziniere ihn. Seinen eigentlichen Lebensunterhalt bestreitet er in der Baubranche und ist dort auf Lüftungs- und Klimatechnik spezialisiert. Erst im September dieses Jahres wurde S. in Pruszków, zurückgekehrt an seinen Wohnort, vorübergehend festgenommen. Im Oktober befand er sich bereits wieder auf freiem Fuß.

Sein Anwalt bestreitet eine gültige Grundlage für die Auslieferung nach Deutschland, S. dementiert öffentlich jede Schuld am Pipeline-Anschlag. Im polnischen Radio befragt, ob er die Pipelinesprenger für Helden oder Kriminelle halte, antwortete er: „Im Moment sind alle Ukrainer Helden, weil sie Krieg gegen Russland führen.“

Polnische Medien berichten sogar, dass der dortige Außenminister Radosław Sikorski weiter bereit sei, S. notfalls Asyl zu gewähren, bevor dieser nach Deutschland muss. Das liegt aber weniger an Zweifeln an der Tatbeteiligung. Polen war schon immer ein vehementer Gegner der Nord-Stream-Pipeline, die sein Staatsgebiet umging und eigene Transitgebühren schmälerte. Eine Reihe polnischer Offizieller sieht die Bombe auf die deutsch-russische Gasleitung als legitimen Kriegsakt im Rahmen der Ukraine-Invasion durch Russland. Neben S. gibt es aus seiner Tauchschule noch weitere Tatverdächtige.

Allen Verdächtigen werden Verbindungen zum ukrainischen Geheimdienst nachgesagt

Beispielsweise einen Mitarbeiter und Landsmann namens Jewhen U., der zunächst nach Informationen der Nowaja Gaseta einen eigenen Anschlag auf die Turk-Stream-Pipeline geplant haben soll, sich dann aber der Gruppe der Nord-Stream-Bombenleger anschloss. U. ist nach Informationen der Zeit bereits seit mindestens 2016 mit Wolodymyr S. befreundet. Oder dessen Ehefrau Switlana U., die nach Zeugenaussagen auf dem Segelboot „Andromeda“, das die Bombenleger transportiert hat, gesehen worden sein soll.

Allen Verdächtigen in Bezug auf den Bombenanschlag werden Verbindungen zum ukrainischen Geheimdienst SBU nachgesagt. Sie waren unter anderem mit echten ukrainischen Pässen mit falschen Namen ausgestattet, was eine Beteiligung offizieller Stellen ihres Heimatlandes nahelegt. Als mutmaßlicher Anführer der Gruppe gilt laut den deutschen Behörden ein Serhij K., der nach ukrainischen Presseberichten Serhij Kuznezow heißt. Dieser wurde Anfang August bei einem Badeurlaub im italienischen Rimini festgenommen. Er ist gemäß dem Wall Street Journal ein früheres Mitglied des SBU und Offizier einer Spezialeinheit der ukrainischen Armee im Ruhestand.

Über die genaue Verbindung von Wolodymyr S. zum SBU ist öffentlich wenig bekannt. Für die Berichterstatter interessanter als irgendwelche Geheimdienstkoordinatoren ist bei einem Bombenanschlag auf dem Meeresgrund aber natürlich immer der Taucher selbst. S. kommt für diese Rolle von seinen Fähigkeiten und seiner Gesinnung auf jeden Fall in Betracht. Aber es darf bezweifelt werden, ob seine Schuld oder Unschuld jemals vor einem deutschen Gericht festgestellt werden kann.

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