Alle deutschen Autohersteller navigieren Richtung Krise, aber nirgends sieht es so düster aus wie bei VW in Wolfsburg. Drei Werke in Deutschland und Zehntausende Arbeitsplätze stehen zur Disposition, im dritten Quartal ist der Gewinn um zwei Drittel eingebrochen. Das Ausmaß der Krise ist nicht das Einzige, was Volkswagen von den anderen Konzernen unterscheidet. Nirgends sonst ist der Einfluss des Staates so groß. Knapp 20 Prozent der VW-Aktien und damit verbunden zwei Sitze im Aufsichtsrat hält das SPD-geführte Land Niedersachsen.
Führende Ökonomen halten das Zusammentreffen von einflussreicher Politik und schwerer Krise für keinen Zufall. Im Gegenteil: Sie bemängeln Interessenkonflikte, Behäbigkeit in der Unternehmensführung und eine besondere Anfälligkeit für Skandale. Clemens Fuest, der Präsident des Münchener Ifo-Instituts, fordert drastische Konsequenzen. „Die Politik sollte sich aus dem Unternehmen zurückziehen“, sagte er der F.A.Z.
Die Verbindungen zwischen Politik und Konzern sind seit jeher eng. Sie umfassen Personen, Sonderregeln für VW und strukturelle Verstrickungen, die eine unabhängige Aufsicht erschweren.
Der Fall Peter Hartz
Ein prominentes Beispiel ist Peter Hartz. Als Gerhard Schröder in den Neunzigerjahren Ministerpräsident in Niedersachsen war, setzte VW unter dem damaligen Personalvorstand Hartz die Viertagewoche um. 30.000 Arbeitsplätze wurden gerettet, später holte der SPD-Kanzler ihn an die Spitze jener Regierungskommission, die die „Hartz-Reformen“ entwickelte. Christian Wulff (CDU), einer der Nachfolger Schröders in der hannoverschen Staatskanzlei und im Aufsichtsrat des Konzerns, setzte sich im Jahr 2009 dafür ein, dass VW den insolventen Auftragsfertiger Karmann aus Wulffs Heimatstadt Osnabrück übernimmt. Gebraucht wurde die Kapazität nicht. Heute droht dem Werk mit 2300 Beschäftigten die Schließung.
Eine weitere Besonderheit: Die Mitspracherechte des Betriebsrats sind enorm, gestützt durch das VW-Gesetz, das sowohl dem Land als auch den Arbeitnehmervertretern erheblichen Einfluss sichert. Auswüchse wurden vom Jahr 2005 an bekannt, als immer neue Details über Schmiergelder und Lustreisen ans Licht kamen. Der damalige Betriebsratsvorsitzende Klaus Volkert trat zurück, über Jahre hielt der Skandal den Konzern in Atem.
Mehrfach hatte die Europäische Kommission Änderungen am VW-Gesetz verlangt, doch wesentliche Sonderrechte blieben auch nach einem Urteil des EuGH erhalten. Seitdem hat Deutschland durch das oberste rechtsprechende Organ der EU eine Bestätigung, dass im VW-Konzern schon eine Minderheit von 20 Prozent der Aktionäre – was etwa dem Anteil des Landes entspricht – wichtige Entscheidungen verhindern kann. Für alle anderen Aktiengesellschaften gilt das Aktiengesetz, das eine Hürde von 25 Prozent vorsieht. Gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter kann keine Produktionsstätte gebaut oder verlagert werden.
Wettbewerbsverzerrungen kaum zu unterbinden
Bernd Irlenbusch, Wirtschaftsprofessor in Köln mit Schwerpunkt auf gute Unternehmensführung, hält all das für keine gute Idee: „Es gibt eine ganze Menge Evidenz, dass der Staat gut daran tut, sich generell darauf zu beschränken, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu definieren, innerhalb derer die Unternehmen handeln können.“ Irlenbusch kann das im Fall von VW besonders gut beurteilen. Als der Konzern damit begann, den Dieselskandal unabhängig aufzuarbeiten (Monitorship), engagierten die Wolfsburger den Kölner Forscher als Berater für Compliance-Fragen und um den Aufsichtsrat zu schulen. Mehrere Jahre später ist Irlenbusch nicht der Ansicht, dass der Konzern seine Hausaufgaben gemacht hat. Weiterhin sieht er durch die Staatsbeteiligung eine ganze Reihe von Problemen.
Erstens seien Verzerrungen des Wettbewerbs gegenüber Mitbewerbern bei staatlichen Beteiligungen kaum zu unterbinden. Sprich: Wenn der Staat zum Beispiel Kaufprämien für E-Autos beschließt, wie sie jetzt von SPD-Ministerpräsident Stephan Weil gefordert werden, könnte VW stärker profitieren als die Konkurrenz. Und das auf Kosten der Steuerzahler, die noch durch die direkte Beteiligung in Haftung genommen werden. Achim Wambach, der Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), drückt es so aus: „Der Staat beeinflusst die Regeln in vielen Märkten, ist also dann zugleich Regelsetzer und Spieler, was den Wettbewerb verzerrt.“
Unternehmen im Staatsbesitz oft träger
Zweitens und eng damit zusammenhängend, so die Befürchtung der Forscher, stellten sich Unternehmen, die sich teilweise in staatlicher Hand befinden, nicht mehr ausreichend dem Wettbewerb. Es lasse sich beobachten, „dass es Unternehmen im Eigentum der öffentlichen Hand tendenziell schwerer fällt, disruptive Restrukturierungen durchzuführen“, sagt Wambach.
Gerade in sehr dynamischen Zeiten könne dies Schaden anrichten. Passend dazu erinnert Ökonom Irlenbusch daran, dass er und andere Fachleute schon vor zehn Jahren an VW appelliert haben, günstige Elektroautos für den Normalverbraucher auf den Markt zu bringen. Heute ist das Fehlen eines solchen Modells der größte Nachteil gegenüber der Konkurrenz. Erst 2026 will der Konzern die Lücke mit einem E-Volkswagen für weniger als 30.000 Euro schließen.
Gefahr der Interessenkonflikte
Das dritte, und womöglich größte Problem, sind Interessenkonflikte. Die Fachleute sehen zum einen die Gefahr, dass der Staat wegen seiner Beteiligung seine Regulierungspflichten bei dem Unternehmen gar nicht oder nur noch in abgeschwächter Form wahrnimmt. Als Beispiel nennt Wirtschaftsethiker Irlenbusch den Abgasskandal, der 2015 durch US-Behörden ans Licht kam. „Es erscheint wenig plausibel, dass die US-Behörden da weiter waren als die entsprechenden deutschen Stellen“, sagt der Forscher. Es habe viele gegeben, die etwas wussten oder ahnten.
Dieses Versäumnis füge sich in eine ganze Reihe von Skandalen und Affären ein. Irlenbusch zählt auf: „1990 der Devisenskandal um den Chef der Devisenhandelsabteilung Burkhard Junger und andere, 1996 die Opernball-Affäre um den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder und seine Frau, 1997 die Schmiergeldaffäre ABB um den Vorstandschef der VW-Tochter Skoda, Volkhard Köhler, 2004 die VW-Gehaltsaffäre, in der mehrere Bundestagsabgeordnete der SPD neben ihren Abgeordnetenbezügen auch Gehälter von VW bezogen ohne erkennbar adäquate Leistung, 2005 die Korruptionsaffäre, in der Mitglieder des Betriebsrates mit finanziellen Zuwendungen, Luxusreisen und Dienstleistungen von Prostituierten bestochen und in ihren Entscheidungen korrumpiert wurden.“
Irlenbusch erscheint es „nicht abwegig“, dass Fehlverhalten durch Interessenkonflikte begünstigt werde, zum Beispiel dadurch, dass man im Unternehmen den – eventuell auch teilweise trügerischen – Eindruck habe, dass von staatlicher Seite nicht so genau hingeschaut wird oder diese Dinge nicht klarer verurteilt werden.“
Interessenkonflikte gibt es aber auch ganz grundsätzlich. Die öffentliche Hand sei als Miteigentümer dem Wohle des Unternehmens verpflichtet, erklärt ZEW-Ökonom Wambach. Im Grundsatz 10 des Deutschen Corporate Governance Kodex ist das festgeschrieben. „Dennoch können bei einigen Entscheidungen in der Abwägung die Interessen des Eigentümers ausschlaggebend sein, etwa bei der Frage nach Produktionsstandorten.“ Was also, wenn es für das Unternehmen heilsam wäre, Fabriken zu schließen, das Politiker aber im nächsten Wahlkampf die entscheidenden Stimmen kostet. „Ich frage mich, wie es amtierenden Politikern gelingen soll, einer solchen Pflicht als Aufsichtsratsmitglied nachzukommen, in Fällen, in denen politische Interessen und Unternehmensinteressen nicht im Einklang sind“, sagt Irlenbusch.
Regeln guter Unternehmensführung gelten offenbar nicht für VW
Der Kapitalmarkt sieht Volkswagens Sonderrechte als Teil eines größeren Problems, das auch den Aktienkurs belastet. Denn auch aus Sicht vieler Anleger hält VW die gängigen Regeln guter Unternehmensführung nicht ein. Es mangelt an unabhängigen Aufsichtsräten, stattdessen dominieren die Aktionärsfamilien Porsche und Piech, der Großaktionär Qatar, das Land Niedersachsen und die IG Metall. Doppelfunktionen ziehen sich durch die Gremien des Konzerns, wichtiger Tochtergesellschaften wie Audi und Porsche und der Familien-Holding Porsche SE.
Bessere Kontrollmechanismen, so glauben viele, hätten den Konzern vor alten und neuen Krisen bewahrt. Bis heute ist die rechtliche Aufarbeitung der Abgasmanipulationen nicht abgeschlossen. Gerade erst hat das zuständige Gericht in Braunschweig die Verhandlung gegen Martin Winterkorn wegen neuer gesundheitlicher Probleme des 77 Jahre alten Angeklagten ausgesetzt. SPD-Politiker aus den Bundesländern mit VW-Fabriken fordern derweil neue Staatshilfen, selbst eine Abwrackprämie 2.0 ist für sie nicht mehr tabu. Ifo-Präsident Fuest bilanziert: „Autos zu bauen ist keine Aufgabe der Politik.“ Klar sei, dass VW nötige Anpassungen auf die lange Bank geschoben habe. „Deshalb müssen sie jetzt um so drastischer ausfallen.“