Seit 2018, dem Jahr, als Marija Kolak ihre Präsidentschaft im Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) antrat, haben die genossenschaftlichen Banken eigentlich nur gute Jahre erlebt. Die neben börsennotierten privaten Banken und den öffentlich-rechtlichen Sparkassen „dritte Säule“ im deutschen Bankensystem war gestärkt aus der Finanzkrise hervorgegangen. Das Spitzeninstitut DZ Bank und die größte Genossenschaftsbank, die Apotheker- und Ärztebank, mussten zwar in den Jahren von 2008 an gestützt werden, aber das gelang der Gruppe ausschließlich mit eigenen Mitteln, ohne Staatshilfe in Anspruch zu nehmen. Das Krisenmanagement forderte Kolaks Vorgänger Uwe Fröhlich allerdings einiges an Nerven und Arbeitszeit ab.
Als Kolak 2018 antrat, waren die großen Sanierungsfälle behoben. Die als einfaches Vorstandsmitglied (nicht etwa vom Vorstandsvorsitz) auf den Präsidentenstuhl des Verbandes gewechselte gebürtige Kroatin konnte sich mit vergleichsweise angenehmen Themen profilieren: Gestählt durch Weiterbildungsstudien an der Harvard Business School, attackierte sie den damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi wegen der – anders als in den USA – im Euroraum eingeführten negativen Einlagenzinsen für Banken und kämpfte erfolgreich für höhere IT-Umlagen von den Volks- und Raiffeisenbanken, damit ihr IT-Dienstleister Atruvia seine zuvor von der Finanzaufsicht Bafin bemängelten Systeme verbessert. Darüber hinaus bemühte sich der BVR, auch für junge Leute die Mitgliedschaft in der Genossenschaft attraktiv zu machen. Schließlich sterben den Genossenschaftsbanken die Mitglieder weg. Doch so richtig fehlt es Kolak an einer echten harten Agenda.
Seit Sommer 2020 berät die praktizierende Katholikin auch den Vatikan in Finanzfragen. Die softe Führung der Volks- und Raiffeisenbanken-Gruppe liegt womöglich daran, dass es ihr all die Jahre so gut ging. Addiert man die Bilanzsumme aller 700 lokalen Banken und nimmt noch das Spitzeninstitut DZ Bank mit seinen Tochtergesellschaften wie Bausparkasse Schwäbisch Hall, dem Versicherer R+V und der Fondsgesellschaft Union hinzu, kommt man auf ein ähnlich hohes Geschäftsvolumen wie das der Deutschen Bank. Doch die genossenschaftliche Bankengruppe verdient im langjährigen Durchschnitt sage und schreibe etwa doppelt so viel wie die Deutsche Bank. Im Jahr 2023 war der Abstand sogar noch größer: Damals verdiente die genossenschaftliche Bankengruppe konsolidiert vor Steuern mehr als 14 Milliarden Euro. Für die Deutsche Bank und die Commerzbank war 2023 ein Rekordjahr in ihrer mehr als 150 Jahre währenden Firmengeschichte, aber diese beiden Banken wiesen im Vergleich zur Volksbankengruppe niedrige Nettogewinne von 5,7 Milliarden und 3,4 Milliarden Euro auf. Doch im Erfolg, so weiß der Volksmund, macht man oft die größten Fehler.
Die Fehlanreize des Solidarfonds
Der Kitt, der Volks- und Raiffeisenbanken als Gruppe zusammenhält, ist die Sicherungseinrichtung. In diesen Fonds zahlen alle BVR-Mitglieder jährlich ein. Seit der Finanzkrise in den 1930er-Jahren hat die Sicherungseinrichtung verhindert, dass eine Volks- oder Raiffeisenbank pleiteging und Gläubiger oder Sparer Geld verloren. Vielmehr wird im Fall einer drohenden Insolvenz in der Regel eine benachbarte VR-Bank damit beauftragt, das in Not geratene Schwesterinstitut aufzufangen, also Mitarbeiter, Filialen, Einlagen und Kredite möglichst geräuschlos zu übernehmen. Dafür gibt es dann Stützungsmittel aus dem gemeinsamen Haftungsfonds.
Eine Gefahr allerdings ist, dass sich zu viele Bankvorstände darauf verlassen, im Fall des Falles schon von den anderen Gruppenmitgliedern gerettet zu werden. Das Versprechen, sich gegenseitig beizustehen, verführt dazu, riskantere Geschäfte einzugehen, als man sich allein zugetraut hätte. Auch deshalb setzte der BVR immer wieder kleinere Änderungen durch, etwa 2023 nochmals höhere Mitgliedsbeiträge für Banken mit höheren Risiken und die Möglichkeit schnellerer Sonderprüfungen. Doch größere Durchgriffsrechte für die Verbandsprüfer wurden nicht geschaffen. Der Schaden durch die Volksbank Heilbronn, die mit Wetten auf steigende Zinsen und Rückstellungen für Cum-cum-Geschäfte in Schieflage geraten war und 2021 ein Rettungspaket in Höhe von 74 Millionen Euro inklusive Zwangsfusion mit der VR-Bank Schwäbisch Hall-Crailsheim erhielt, war offenbar nicht groß genug.
Häufung von Stützungsfällen
In diesem Jahr nun kommt es deutlich dicker für die Solidargemeinschaft der Volks- und Raiffeisenbanken: Monatelang hielt sich die VR-Bank Schmalkalden in den Schlagzeilen, für die zeitweise der frühere Fußballprofi Stefan Effenberg gearbeitet hat. Die deshalb prägnant „Effenberg-Bank“ genannte Bank in Thüringen hat internationale Fußballvereine und Bordells in Oberhausen finanziert – was mit dem lokalen Förderauftrag einer Genossenschaft schwer in Einklang zu bringen ist und die Marke „VR-Bank“ in ganz Deutschland beschädigt. Schlimmer noch: Die VR-Bank Bad Salzungen Schmalkalden häufte Verluste von 280 Millionen Euro an und stand zeitweise unter Sonderaufsicht der Bafin. Ihre Verluste muss die BVR-Sicherungseinrichtung tragen. Hinzu kam dann im Sommer 2024 die kleine Volksbank Dortmund-Nordwest, die mit einer gewaltigen Fehlspekulation mit Immobilienfonds nun Garantien des Haftungsverbundes zum Ausgleich eines Verlusts von 130 Millionen Euro benötigt. Und last but not least wurde die Volksbank Düsseldorf Neuss allem Anschein nach um 100 Millionen Euro betrogen. Damit nicht genug, gerieten ein an Privatkunden der Volks- und Raiffeisenbanken verkaufter Wohnimmobilienfonds und der in der Genossenschaftsgruppe verwurzelte bayerische Agrarkonzern Baywa in Turbulenzen.
Der mit mindestens fünf Milliarden Euro gefüllte Stützungsfonds des BVR kann all diese Verluste locker tragen. Aber längst geht es um mehr als den immensen Rufschaden und den finanziellen Schaden. Die VR-Banken und die Sparkassen haben zuletzt selbst in der Bundesbank an Rückhalt verloren: Ihr Präsident, das SPD-Mitglied Joachim Nagel, hat sich für eine europaweite Einlagensicherung ausgesprochen. Das ist ein Tiefschlag für die beiden Verbünde. Bisher konnten sich Sparkassen und VR-Banken auf die Rückendeckung durch die „Volksparteien“ CDU/CSU und SPD verlassen, die bisher eine gemeinsame Einlagensicherung als dritte Säule in einer europäischen Bankenunion abgewehrt haben. Das Argument der Verbünde dagegen lautet in etwa so: Statt der in der EU bevorzugten Abwicklung von insolventen Banken und der dann nötigen Entschädigung der Sparer sollte man besser prophylaktisch eine Insolvenz zumindest kleiner Banken durch Stützungsmittel aus der Gruppe verhindern.
Doch mit den zunehmenden Schieflagen in der VR-Bankengruppe nehmen die Zweifel unter Aufsehern und Politkern zu: Hat der BVR genug Eingriffs- und Durchgriffsrechte in zu riskant agierende VR-Banken? Wie qualifiziert sind die Aufsichtsräte der VR-Banken? Müssten die nicht selten örtlichen Kleinunternehmen nicht besser geschult werden, um die immer größer werdenden Banken und ihre Vorstände wirksam kontrollieren zu können? Braucht es nicht auch einen Pool an altgedienten Bankern, die als Aufsichtsrat in VR-Banken einspringen könnten?
Plötzlich ist BVR-Präsidentin Kolak durch die sich häufenden Schieflagen gefordert. Formal ist im BVR das Vorstandsmitglied Daniel Quinten für die Sicherungseinrichtung zuständig, er stieß 2021 als Partner der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG zum Volksbanken-und-Raiffeisenverband. Doch Kolak müsste das Thema Risikomanagement in der genossenschaftlichen Bankengruppe zur Chefinnensache machen, ist dort immer öfter zu hören. Andere sprechen von Einzelfällen, die nichts miteinander zu tun hätten. Dabei lassen sich Muster erkennen: Das starke Wachsen mit Geschäften außerhalb des Geschäftsgebietes und außerhalb des Kerngeschäftes gehört dazu. Bislang lächelte Kolak in der Öffentlichkeit Schwierigkeiten weg und wich auf Pressekonferenzen Fragen zu Problemfällen aus. Doch Antworten von ihr werden immer dringender verlangt.