Europas traditionsreiche Skiregionen erleben eine Übernahmewelle, die von angelsächsischen Konzernen ausgelöst wurde. Die neuen Investoren verändern eine ganze Branche. In einem Land haben sie es mit ihrer Strategie jedoch schwer.
Das Schlössli mit seinen dicken Mauern und steinernen Treppenhäusern wirkt trutzig. Und das passt zum Image von Christoph Schmidt: Der Hotelier ist seit Anfang des Jahres Präsident der Urlaubsgemeinde Flims im schweizerischen Graubünden. Wie ein Widerstandskämpfer sieht Schmidt mit seiner dick eingefassten Brille nicht aus. Trotzdem gilt er in der Schweiz als jemand, der sich erfolgreich widersetzt hat.
Was ihm den Ruf einbrachte, war ein besonderer Coup. Es ging um den lokalen Seilbahnbetreiber, der die Wirtschaft hier am Laufen hält. Bereits kurz nach Amtsantritt machte sich Schmidt daran, mit den Nachbargemeinden Laax und Falera die Seilbahnen und die dazugehörige Infrastruktur der börsennotierten Betreibergesellschaft zu übernehmen, um sie an den Betreiber zurück zu verpachten.
Auf einer Gemeindeversammlung, auf der Schmidt den Bürgern den kompliziert strukturierten finanziellen Kraftakt erklärte, grummelten zwar einige Gemeindemitglieder, warum es bei dem 94,5 Millionen Franken (rund 101 Mio. Euro) schweren Geschäft so schnell gehen müsse.
Trotzdem stimmten 85 Prozent der Bürger schließlich dafür. Auch die Angst vor externen Investoren habe eine Rolle gespielt. „Wir wollten eine lokale Lösung finden“, sagt der Politiker. „Die Infrastruktur ist systemrelevant.“ Die Gemeinde wolle sie nicht betreiben, aber besitzen und bei Strategiefragen mitreden.
„Laax-Flims-Falera hat sich die ultimativ knappste Ressource am Berg gesichert“, sagt Christian Laesser, Tourismusprofessor an der Universität St. Gallen. „Dazu kann man sie nur beglückwünschen.“ Die Aufmerksamkeit für das Geschäft in Graubünden rührt daher, dass seit einigen Jahren ein neuer Typ Investor in den Alpen unterwegs ist.
Europas traditionsreiche Skiregion erlebt eine Übernahmewelle, die von angelsächsischen Ski- und Private-Equity-Konzernen getragen wird. Vorn dabei: Vail Resorts, der Branchenführer aus den USA, der weltweit mehr als 40 Skigebiete betreibt. Nach Übernahmen in den Schweizer Skigebieten Andermatt-Sedrun und Crans-Montana ist das Unternehmen nun auch in Österreich aktiv. Käufe gab es dort zwar nicht, doch strategische Partnerschaften mit bekannten Gebieten wie Sölden oder Hintertux sorgen auch in Tirol für Unruhe. In Kitzbühel und im italienischen Piemont haben Finanzinvestoren seit 2022 Anteile oder ganze Gebiete übernommen.
Der Reiz der Skigebiete für Investoren
Für Finanzinvestoren sind Skigebiete wegen verlässlicher Erträge attraktiv. Liftpässe und Gastronomie sorgen für stabile Einnahmen und der Bau moderner Anlagen kann den Wert erhöhen. Wer mehrere Gebiete bündelt, kann – zumindest in der Theorie – Beschneiung, Personal oder Marketing zentral steuern. Neue Skigebiete entstehen kaum noch und bestehende lassen sich nur begrenzt ausbauen. Gut erschlossene, hoch gelegene Gebiete werden damit zu knappen Vermögenswerten.
Ausgerechnet der Klimawandel macht sie noch interessanter. Die simple Rechnung der Investoren: Wenn die Zahl der Schneetage sinkt, werden Skifahrer sich auf die verlässlichen Orte konzentrieren. Steigende Preise und höhere Auslastung sind programmiert.
Für Vail Resorts zählt vor allem die Erweiterung seiner Saisonkarte „Epic Pass“. Das Unternehmen aus Colorado und der Wettbewerber Alterra mit seinem „Ikon Pass“ haben in den USA im vergangenen Jahrzehnt die gesamte Branche umgepflügt. Die beiden Unternehmen haben inzwischen einen großen Teil der US-Skigebiete unter sich aufgeteilt. Vail zielte früh darauf, den Epic Pass global auszubauen. Gebiete in Europa und sogar Australien machen das Angebot für amerikanische Kunden attraktiver und in Europa winkt mit 190 Millionen Skifahrern ohnehin der größte Markt.
Aber das US-Duo hat Kritiker: Wintersportler, die ihren Epic oder Ikon Pass früh kaufen, können den Winter weitgehend unbegrenzt überall dort fahren, wo die Konzerne Lifte betreiben oder Kooperationen geschlossen haben. Bei Vail kostete das für die laufende Saison etwas mehr als 1000 Dollar. Die Saisonkarte ist also günstig, dafür allerdings kann der Tageseintritt astronomisch teuer sein: An Spitzentagen können Tagespässe knapp 300 Dollar kosten – plus bis zu 50 Dollar für den Parkplatz. Und weil die Passinhaber jederzeit Zugang haben, können die Unternehmen den Andrang nur begrenzt steuern. In sozialen Netzwerken kursieren Videos mit gewaltigen Warteschlangen vor den Liften. Solche Bilder nähren in den Alpen die Sorge, dass Skifahren zum Vergnügen für wenige und für viele Familien unerschwinglich wird.
Im Schweizer Skiort Andermatt ist von derlei Panik wenig zu spüren. Das Gebiet Andermatt-Sedrun war das erste Übernahmeziel von Vail in Europa: Der Konzern kaufte 2022 die Mehrheit am Betreiber des Gebiets und sorgte damit in der Schweiz für Aufruhr. „Zunächst hatten wir schon Angst, dass alles teurer wird und dass Vail jetzt alle Geschäfte zusammenkauft, weil sie die Gäste in ihre eigenen Geschäfte schicken wollen“, sagt Ursina Portmann. Sie und ihr Mann Urs führen seit fast 30 Jahren „Meyers Sporthaus AG“ im alten Dorfkern.
Der US-Konzern hat zwar mit dem Seilbahnbetreiber auch Restaurants, eine Skischule und ein Sportgeschäft übernommen. Bisher aber profitieren die Portmanns: Im Schaufenster von Gleis 0, dem Vail-Laden im Bergbahnhof, glänzen Jacken und Accessoires, die auch auf Après-Ski-Partys eine gute Figur machen. Für Skischuhe schicken die Mitarbeiter ihre Kunden aber zu Portmanns. Vor dem Bahnhof stehen zwei Australier, die beraten, wie sie am besten zu ihrer Unterkunft kommen. Auf dem Bahnsteig wartet ein Amerikaner auf seine Freundin. Englisch hört man jetzt häufiger im Ort. Die US-Gäste seien meist begeistert von den Bergen, berichten Portmanns, allerdings änderten sich mit dem Publikum auch die Anforderungen. Kleidung mit dem Schriftzug Andermatt etwa sei jetzt sehr gefragt.
Neue Blüte dank Investoren
Die Gelassenheit in dem Bergort hat mit der eigenen Geschichte zu tun. Andermatt blühte in der Belle Époque auf, verlor danach aber an Bedeutung. „Wir waren um die Jahrtausendwende kurz vor dem touristischen Abgrund“, erinnert sich Urs Portmann. „Alles war marode, alles war alt.“ Dann kam Samih Sawiris, ein ägyptischer Investor, der im Nahen Osten, Nordafrika und Europa Luxus-Ferienorte mit Hotels, Yachthäfen und Krankenhäusern aus dem Boden stampft. In Andermatt investierte seine Holding Orascom mehr als 1,6 Milliarden Franken in neue Lifte, Kunstschneeanlagen und Hotels.
Jenseits der Bahngleise ist in den vergangenen Jahren ein völlig neues Gebiet mit Apartmenttürmen, Geschäften und weiteren Hotels entstanden. Als Sawiri die Mehrheit an der Seilbahn an Vail weiterreichte, reagierten die Bürger skeptisch, aber pragmatisch. Für eine Initiative wie in Flims war ohnehin kein Geld da.
Vail zeigt sich in Andermatt bisher als guter Investor: Die ungeliebten dynamischen Preissysteme gibt es hier nicht, obwohl sie anderswo in den Alpen längst üblich sind. „Das amerikanische Preis-Modell einfach zu kopieren, das funktioniert hier nicht. Unsere Preise werden lokal festgelegt, um auf dem Markt wettbewerbsfähig zu sein“, sagt Raphael Medici, der das Marketing für das Skigebiet leitet. Der Konzern kündigte Investitionen von 110 Millionen Franken an, etwa die Hälfte ist laut Medici inzwischen verbaut: Am vergangenen Freitag etwa gingen zwei moderne 6er-Sesselbahnen in Betrieb. An manchen Stellen zeigt sich, dass zuvor jahrelang nicht investiert wurde: Auf der sichtlich gealterten Bergstation auf dem Hausberg Gemsstock etwa begrüßt ein Dixie-Klo mit offener Tür die Besucher nach der Ankunft.
Kleinteilige Strukturen erschweren Übernahmen erheblich
Analysten und Branchenexperten glauben inzwischen, dass Vail überhöhte Preise für Andermatt und Crans Montana gezahlt hat; möglicherweise bewusst, um in Europa einen Fuß in die Tür zu bekommen. Seit den zwei Deals stocken allerdings die Zukäufe in Europa.
Dabei hat Vail laut Brancheninsidern nicht nur in Flims angeklopft, sondern auch in anderen Gebieten. Vail selbst hält sich bedeckt zu Übernahmezielen. Auch dazu, ob Destinationen in Deutschland infrage kommen. „Wir äußern uns nicht zu Spekulationen oder Gerüchten“, sagt dazu ein US-Sprecher.
„Aber es gehört zu unserer Strategie, unsere Aktivitäten in Europa auszuweiten.“ Der große Markt Österreich ist ohnehin ein härteres Pflaster. In Ischgl etwa gehören die Bergbahnen Dutzenden lokalen Aktionären. Gemeinden und lokale Familien verzichten seit jeher auf Dividenden, dafür fließen die Gewinne in Lifte und Pisten. In anderen österreichischen Gebieten ist es ähnlich. Die kleinteilige Struktur erschwert Übernahmen erheblich.
In Flims kämpft Politiker Schmidt derweil gegen einen anderen Gegner: den Klimawandel. Der mit atemberaubender Natur gesegnete Ort setzt nun stärker auf Sommertourismus. Gerade geht eine neue Bergbahn in Betrieb, die für den Einsatz im ganzen Jahr konzipiert ist und auch Wanderer und Mountainbikes hochbringen soll. Ob Flims mit dem Kauf der Seilbahn nur Zeit gewonnen hat, wird sich erst in einigen Wintern zeigen.
Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzcenter von WELT und „Business Insider Deutschland“ erstellt.
Tobias Kaiser verfolgt als Senior Editor Arbeit & Soziales vor allem die großen Verschiebungen in Arbeitswelt und Gesellschaft und die Reaktionen der Politik.
Source: welt.de