Die Rentendebatte reißt nicht ab. Kaum hat der Bundestag das umstrittene Paket von Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) beschlossen, wird nun diskutiert, ob mit der nächsten Reform das Ende des Arbeitslebens nicht stärker von der Zahl der Beitragsjahre abhängig gemacht werden sollte. Der Ökonomen Jens Südekum hat das vorgeschlagen. Weil er persönlicher Berater von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) ist, hat alles, was er sagt, automatisch eine gewisse Bedeutung. Der Wissenschaftler von der Universität Düsseldorf hält eine Koppelung des Renteneintritts an die Beitragsjahre für gerechter als eine Anbindung an die Lebenserwartung.
Nachdem die schwarz-rote Bundesregierung am Freitag ihr Gesetz durch den Bundestag gebracht hat, das zusätzliche Rentenausgaben von geschätzt insgesamt 200 Milliarden Euro bis zum Jahr 2040 nach sich ziehen dürfte, drehen sich nun die Überlegungen um die Frage, wie die Kosten in diesem Zweig der Sozialversicherung in einem Rahmen gehalten werden können, der Steuerzahler und Beitragszahler nicht überfordert.
Aus den gezahlten Beiträgen erwachsen Ansprüche
Eine längere Lebensarbeitszeit gilt hier als eine zentrale Stellschraube – neben einer Ausweitung des Kreises der Beitragszahler um Beamte, Politiker und Selbständige oder die Einbeziehung weiterer Einkunftsarten in die Beitragsbemessung. Doch die letzten beiden Punkte stoßen in der Union auf Vorbehalte – zumal mit diesen beiden Elementen die Finanzlage der Rentenversicherung nicht dauerhaft verbessert würde.
Denn aus den gezahlten Beiträgen erwachsen Ansprüche. Doch können möglicherweise sonst notwendige Beitragserhöhungen erst später anfallen. Die Koalition will noch in diesem Jahr eine Reformkommission einsetzen, die bis Mitte nächsten Jahres Vorschläge für eine Reform vorlegen soll.
Kampeter: „War falsch und bleibt falsch“
Die SPD-Ko-Vorsitzende Bas reagierte grundsätzlich zustimmend auf Südekums Anregung. Wenn jemand mit 16 Jahren angefangen habe mit einer Ausbildung und dann eine gewisse Strecke in die Sozialversicherungssysteme einzahle, könne er dann auch früher aussteigen. „Und wer später anfängt, vielleicht erst ein Studium macht und dann später erst in die Kassen einzahlt, der muss dann auch länger arbeiten“, sagte die Ministerin am Sonntag im ARD-„Bericht aus Berlin“.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) lehnt die Idee derweil ab, das Rentenalter nach Beitragsjahren zu berechnen. „Der von Bas unterstützte Vorschlag eines einzelnen Beraters ist eine Neuauflage der Rente mit 63 unter einer neuen Überschrift. Dieses war falsch, bleibt falsch – und wird auch zukünftig unter einer neuen Überschrift falsch“, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter.
Er bezeichnete es als „mehr als überraschend“, dass Bas schon zwei Tage nach der Verabschiedung des Rentenpakets von einer notwendigen grundlegenden Rentenreform spreche. „Wäre diese Einsicht ein paar Tage früher gekommen, wäre die Koalition in einer besseren Verfassung“, sagte Kampeter.
Schuljahre und Studium werden nicht berücksichtigt
Im geltenden Recht gibt es wiederum schon ein Element, das so wirkt, wie es Südekum und Bas skizzieren. Zwar geht es nicht direkt darum, wann jemand erstmals in die Rentenversicherung eingezahlt hat, aber beim möglichen Renteneintritt ohne Abschläge gibt es heute unterschiedliche Regelungen abhängig von der Beschäftigungsdauer. Wer 45 Beitragsjahre vorweisen kann, kann früher ohne Abzüge in den Ruhestand wechseln. Die Stichwort dafür lautet „Rente mit 63“, auch wenn diese Altersgrenze für „besonders langjährig Versicherte“ schon länger nicht mehr gilt. Sie rückt langsam in Richtung 65. Geburtstag.
Akademiker haben so gut wie keine Chance, als besonders langjährig Versicherte eingestuft zu werden. Denn die an der Schule und an der Universität verbrachten Jahre werden hier nicht berücksichtigt. Rentenpunkte gibt es dafür – anders als früher einmal – auch nicht mehr. Sie werden nur noch als Wartezeit berücksichtigt mit insgesamt bis zu acht Jahren für die Frage, ob jemand als langjährig Versicherter gilt.
Diesen Status erreicht man mit insgesamt 35 Versicherungsjahren. Er erlaubt es, schon mit 63 in Rente zu gehen – allerdings auf Kosten erheblicher individueller Rentenabschläge. Für jeden Monat vorzeitigem Rentenbezug bezogen auf die Regelaltersgrenze gibt es 0,3 Prozent weniger Rente – lebenslänglich.
Derzeit bewegt sich die Regelaltersgrenze in Richtung 67 Jahre. Der Geburtsjahrgang 1959 erreicht sie aktuell mit 66 Jahren und zwei Monaten. Der Jahrgang 1961 mus 66 Jahre und sechs Monate arbeiten, wenn er Abschläge vermeiden will. Die 1964 auf die Welt gekommene Kohorte wird die erste sein, die dafür den 67. Geburtstag gefeiert haben muss. Wer aus dieser Gruppe mit 63 aufhören will, muss demnach dauerhaft auf 14,4 Prozent seiner erworbenen Ansprüche verzichten (48 Monate mal 0,3 Prozent). Wer bis dahin eine vergleichsweise geringe Rentenanwartschaft aufgebaut hat, wird sich vermutlich zweimal überlegen müssen, ob er sich das wirklich leisten kann.
Aber auch für Besserverdiener, die mehr Beiträge abgeführt und damit mehr Rentenpunkte erworben haben, ist ein so früher Abschied aus dem Berufsleben mit erheblichen Einschnitten verbunden. Bei einer bis dahin erwirtschafteten Rente von 2500 Euro kostet ihn der Ausstieg mit 63 das immerhin 360 Euro. Hinzu kommt: Mit jedem Jahr, das jemand länger arbeitet, erwirbt er weitere Rentenpunkte. Außerdem gilt: Wer über die Regelaltersgrenze hinaus arbeitet, erwirbt nicht nur weitere Rentenpunkte. Ihm wird darüber hinaus jeder Extramonat mit einem Zuschlag von 0,5 Prozent vergoldet. Bei einem Extrajahr kommen so sechs Prozent hinzu – ebenfalls lebenslänglich.