Die Musik Dylans berührt, sein Film allerdings nicht

Die Musik Dylans berührt, sein Film allerdings nicht

Die neue Filmbiografie über Bob Dylan feiert auf der Berlinale Deutschland-Premiere und glänzt mit Timothée Chalamet als Hauptdarsteller. Doch „Like a Complete Unknown“ weiß mit dem Leben des Jahrhundert-Musikers nicht viel anzufangen. Vielleicht liegt das an Dylan selbst.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Bob Dylan an der Reihe ist. In den vergangenen Jahren ist kaum ein Star der Musikgeschichte vom Biopic-Boom verschont geblieben. Freddie Mercury, Elvis Presley, Elton John – um nur einige Beispiele zu nennen. Für die Studios sind Filmbiografien eine Goldgrube. Die Millionen Fans des jeweiligen Musikers garantieren solide Zuschauerzahlen und zumindest für den Hauptdarsteller springen häufig Award-Nominierungen raus.

Biopics liebt die Academy of Motion Picture Arts and Sciences fast so sehr wie kitschige Musicals. Das Problem: Zwar gibt es wirklich gelungene Filmbiografien, aber viele Dramen wälzen sich ohne erkennbaren roten Faden durch Jahrzehnte künstlerischen Schaffens. Das Leben folgt eben selten einer klaren Dramaturgie – das gilt auch für Musiklegenden. Deshalb gleichen einige Biopics eher cineastisch inszenierten Wikipedia-Einträgen, in denen man die historischen Abläufe eben so verändert, dass ein Spannungsbogen entsteht.

„Like a Complete Unknown“, der am 14. Februar 2025 auf der beginnenden Berlinale Deutschland-Premiere feiert, kann man zumindest keinen Hang zur Sprunghaftigkeit vorwerfen. Statt einem lose verbundenen Parforceritt durch die Jahrzehnte konzentriert sich James Mangolds Film auf die erste Hälfte der 1960er-Jahre – von Dylans Ankunft in New York bis zu seinem kontroversen Auftritt beim Newport Folk Festival 1965. Und ja, Timothée Chalamet hat sich seine Oscar-Nominierung wohlverdient. Wer die Filmaufnahmen der Songwriter-Legende Bob Dylan aus den Sechzigern kennt, vermag kaum einen Unterschied zwischen Darsteller und Dargestelltem zu erkennen.

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Von dessen nasaler Aussprache über den Mittlerer-Westen-Dialekt bis hin zur leicht gekrümmten Körperhaltung – Chalamet ist Bob Dylan durch und durch. Und auch Elle Fanning als Sylvie Russo (die dessen damaliger Freundin Suze Rotolo entspricht) und Monica Barbaro als Folk-Sängerin und Aktivistin Joan Baez glänzen in ihren Rollen. Ein alternder Edward Norton als Banjo-spielende Folk-Legende Pete Seeger darf sich zurecht über eine Oscar-Nominierung freuen.

Doch: Der Film kann mit seinen Hauptdarstellern wenig anzufangen, weil er nicht weiß, welche Geschichte er eigentlich erzählen will. Denn eigentlich ist über den Protagonisten schon alles bekannt. Bob Dylan ist Literaturnobelpreisträger und einer der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts. Hits wie „Like a Rolling Stone“, „Mr. Tambourine Man“ oder „Blowin’ in the Wind“ kennt auch noch heute jeder.

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Und die bekanntesten Lieder sind nur ein kleiner Ausschnitt seines komplexen musikalischen Gesamtwerks – über Jahrzehnte änderte Dylan immer wieder seinen Stil und erfand sich ständig neu, mal als Rockmusiker, mal als Gospel-Sänger, mal als epischen Geschichtenerzähler. Er wird von seinen Fans derart abgöttisch verehrt, dass man in jeder Kneipe mit gut kuratierter Playlist irgendwann einen Musik-Connoisseur trifft, der nach drei Bier damit prahlt, Dylans größter Fan zu sein.

Deshalb dürfte ein Großteil derer, die „Like a Complete Unknown“ im Kino anschauen, die Handlung zur Genüge kennen. Ja, Dylan kam als junger Musiker nach New York und stieg innerhalb kürzester Zeit zum Held der politischen Folk-Bewegung auf. Und ja, seine Popularität ging ihm irgendwann beträchtlich auf den Keks und seine Suche nach neuen rockigeren Klängen brachte ihn in Konflikt mit seinen eher traditionalistischen Ziehvätern aus der politischen Folk-Bewegung, die – wie im Film sarkastisch erwähnt wird – noch immer nur mit akustischer Gitarrenbegleitung über die Leiden der Landbevölkerung („Dust Bowl“) während der Weltwirtschaftskrise singen wollten.

Dieses Unbehagen kulminierte in Dylans kontroversem Newport-Auftritt: Statt mit Akustikgitarre spielte er mit einer lauten Rock’n’Roll-Band – und wurde von den Zuhörern ausgebuht und als „Judas“ beschimpft, weil Rock den Puristen als zu kommerziell galt. Musik-Snobismus gibt es offenbar in jeder Generation.

Eben diesen Abschnitt der jungen Musikerkarriere möchte „Like a Complete Unknown“ in Szene setzen. Gleichzeitig will der Film aber auch Dylans Beziehungsleben beleuchten und sein Schaffen in den Kontext der gesellschaftlichen Wandlungsprozesse Anfang der 1960er-Jahre einbetten. Leider gelingt nichts davon.

Es gibt einen besseren Dylan-Film

Sylvie Russo wird als Dylans Bezugspunkt aufgebaut, doch dann nimmt der Film sich nicht einmal die Zeit, deren Trennung zu zeigen. Dylans zunehmendes Fremdeln mit seiner Berühmtheit wird im Film eher nebenbei abgehandelt und man hat ständig das Gefühl, diesen Konflikt schon in Biopics über andere Stars gesehen zu haben. Auch der Traditionalismus der Folk-Szene wird nur nebenbei erklärt. Die politischen Verwerfungen der Zeit werden meist durch Fernsehbilder illustriert, die jedoch erzwungen wirken – als hätte man sie unbedingt in den Film integrieren müssen.

Dabei gäbe es spannende Aspekte von Dylans Frühkarriere, die der Film genauer hätte beleuchten können. Zum Beispiel: Wie viel von dessen Rebellion gegen die New Yorker Folk-Szene rührte eigentlich aus spätpubertären Profilierungsdrang? Schließlich war der Sänger damals erst Anfang 20 und schon äußerst selbstbewusst. Statt die vermeintlich verbohrte Folk-Szene einfach hinter sich zu lassen, schrieb er ein halbes Dutzend Lieder über seine eigene Emanzipation und darüber, wie oberflächlich sein Musikumfeld gewesen sei. Wenn man es böse meinte mit Dylan, könnte man seine Reaktion auch als kindliche Trotzreaktion deuten – auch wenn dabei natürlich großartige Lieder herauskamen.

Apropos Lieder: Die Musik ist das Highlight des Films – und gleicht viele seiner Schwächen aus. Wenn Chalamet als Dylan Gitarre spielt und singt (beides übrigens live und unverfälscht), dürfte sich auch Menschen, die noch nie etwas von Dylan gehört haben, die Magie erschließen, die seine Lieder auch 60 Jahre später noch umgibt. Lieder, die tiefe Menschlichkeit, Verletzlichkeit, aber auch Fantasie und Humor ausdrücken und die Seele berühren. Aber Dylan hören kann man auch zuhause – oder auf einem Konzert, denn Dylan tourt noch immer, auch wenn er mittlerweile musikalisch einen weiten Bogen um seine Folk-Wurzeln macht. „Like a Complete Unknown“ braucht es dafür nicht.

Dass die Musik berührt, der Film jedoch nicht, zeigt vielleicht, dass sich Bob Dylan und sein künstlerisches Schaffen nicht in einem schematischen Und-dann-passierte-das-Film einfangen lassen.

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Glücklicherweise gibt es eine Alternative – und die hat der diesjährige Berlinale-Jury-Präsident Todd Haynes 2007 mit „I’m Not There“ geliefert. Dylan wird in diesem Film von sechs verschiedenen Darstellern gespielt – unter anderem von Cate Blanchett und dem schwarzen Jugendlichen Marcus Carl Franklin, die den Musiker in verschiedenen Zeitabschnitten und teils surreal verfremdeten Szenen zeigen. Haynes versucht gar nicht erst, Dylans Widersprüchlichkeit in eine lineare Filmhandlung zu pressen. Vielleicht ist das die vielversprechendere Herangehensweise an das Phänomen Bob Dylan. Der Soundtrack ist übrigens ebenfalls hörenswert.

2004 trug Dylan in einem seiner seltenen Interviews Textzeilen aus „It’s Alright, Ma (I’m Only Bleeding)“ vor und gab zu Protokoll, dass er selbst nicht mehr wisse, wie er den Song geschrieben habe. Es sei eben eine Art Magie gewesen. Ein solches Lied könne er jetzt nicht mehr schreiben, sagte er. Offenbar ist Dylan sich selbst ebenso ein Rätsel geblieben, wie seinen Fans. „Like a Complete Unknown“ quasi – vielleicht sollte man es dabei belassen.

Source: welt.de

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