Die US-Regierung hat mehrere Europäer sanktioniert, die – so der Vorwurf – amerikanische Online-Plattformen zensiert haben sollen. Und verkauft dies als Kampf für die Meinungsfreiheit. Doch wer genau hinsieht, erkennt, dass es um etwas ganz anderes geht.
Sie sei eine „ernsthafte Bedrohung für die nationale Sicherheit“, ein „wahrer Feind des Volkes“, schrieb US-Präsident Donald Trump am Dienstag auf seinem Netzwerk Truth Social über die amerikanische Zeitung „New York Times“. Und forderte: „Das endlose Veröffentlichen von FALSCHEN Artikeln und Meinungen muss bekämpft und gestoppt werden.“
Der Präsident der ältesten Demokratie der Welt bedroht eine unabhängige Zeitung mit Zensur. Öffentlich.
Am selben Tag verhängt seine Regierung Einreiseverbote gegen fünf Europäer wegen angeblicher Zensur amerikanischer Online-Plattformen, unter anderem gegen die Leiterinnen der deutschen Organisation „HateAid“, die sich gegen Hass im Netz engagiert. US-Außenminister Marco Rubio erklärte auf X: „Viel zu lange haben Ideologen in Europa organisierte Bemühungen unternommen, um amerikanische Plattformen dazu zu zwingen, amerikanische Standpunkte, die ihnen nicht gefallen, zu bestrafen.“ Man werde diese „ungeheuerlichen Akte extraterritorialer Zensur“ nicht länger tolerieren.
Sanktioniert wurde auch der ehemalige EU-Kommissar Thierry Breton. Der Franzose gilt als Architekt des EU-Gesetzespakets Digital Services Act (DSA), der Online-Plattformen reguliert. Der DSA soll die Grundrechte aller Nutzer digitaler Dienste in der EU schützen. Er zwingt Plattformen wie Facebook oder X dazu, illegale Inhalte zu entfernen, und das Risiko zu minimieren, dass solche Inhalte verbreitet werden.
Doch bei der Frage, was verboten ist, wird es kompliziert. Kritiker werfen der EU vor, mit dem DSA ein bürokratisches Monster geschaffen zu haben, das Behörden und Meldestellen wie „HateAid“ die Entscheidung überlässt, was Wahrheit ist und was nicht.
Diese Kritik sollte man in Brüssel ernst nehmen. Die Europäer müssen sich frei äußern dürfen, online wie offline, ohne Angst, für ihre Kritik, etwa am Pandemiemanagement oder den Klimazielen belangt zu werden. Die Mächtigen öffentlich kritisieren zu dürfen, auch ironisch, mit Zuspitzungen oder Übertreibungen, ist eine historische Errungenschaft liberaler Demokratien.
Zu entscheiden, wann Kritik in Hass umschlägt, in verbale Gewalt, ist indes schwierig. Wo verläuft die Grenze zwischen einer zulässigen Meinungsäußerung und einer Straftat wie Volksverhetzung?
Es gibt Fälle, in denen die Antwort leicht fällt: Wer den Holocaust leugnet, begeht eindeutig eine Straftat, wer zu Gewalt gegen bestimmte ethnische Gruppen aufruft, ebenfalls. Aber es gibt auch Fälle, in denen man durchaus darüber diskutieren kann, ob es angemessen ist, einem User die Polizei vorbeizuschicken, weil er wegen zugespitzter Aussagen oder dem Posten satirischer Memes gemeldet wurde. Fälle, die Gerichte teils monatelang beschäftigen.
Es ist eine Debatte, die wir führen müssen. In Deutschland, in Europa. Es ist eine Debatte, der sich Brüssel stellen muss. Weil es um die Meinungsfreiheit auf unserem Kontinent geht.
Die US-Regierung ist aber gerade nicht in der Position, uns darüber zu belehren, was Meinungsfreiheit ist. Seitdem Donald Trump Präsident ist, hat er viele Male unabhängige Medien in seinem Land, aber auch in Europa beschimpft und bedroht. Er lässt sie von Pressekonferenzen ausschließen, wie etwa die Nachrichtenagentur AP. Er überzieht sie mit Klagen, wie zuletzt etwa die BBC – „extraterritoriale Zensur“, Nachtigall, ick hör dir trapsen. Mitglieder seiner Regierung greifen einzelne Reporter frontal an, weil sie etwas recherchiert haben, was ihnen nicht gefällt.
Eine US-Regierung, die sich als Vorkämpfer der Meinungsfreiheit erklärt, nach dem Mord an dem Aktivisten Charlie Kirk aber zu einer Treibjagd gegen User aufruft, die sich kritisch über ihn geäußert haben sollen, misst mit zweierlei Maß.
Eine US-Regierung, die von einer angeblichen Zensur in Europa spricht, aber kein Wort über die tatsächliche Zensur in Russland verliert, misst mit zweierlei Maß.
So richtig Teile der Kritik am DSA sind: Tatsächlich geht es Trumps Regierung gar nicht um Meinungsfreiheit, weder in Europa noch in den USA. Sondern um ihre eigene Meinungshoheit.
Source: welt.de