Die Linke streitet seit dem Berliner Landesparteitag zum Nahost-Konflikt, wohlfeile Positionen wünschen sich Konfliktparteien einfach weg. Dabei wäre es Aufgabe einer progressiven Linken, sich den Widersprüchen der Wirklichkeit zu stellen
Eigentlich hatte die Linkspartei doch Besserung gelobt. Die Lähmung durch inneren Zwist sollte doch aufhören, seit der Sarah Wagenknecht-Flügel sich davon gemacht hat. Da war es ein unangenehm-vertrautes Echo aus vergangenen Zeiten, dass der Berliner Linken-Landesparteitag am vergangenen Wochenende im „Eklat“ endete.
Ein Antrag des ehemaligen Landesvorsitzenden Klaus Lederer „Gegen jeden Antisemitismus“ hatte erst dann eine Mehrheit gefunden, nachdem eine Reihe von Änderungsanträgen ihn in den Augen von Lederer und Mitstreiterinnen wie Petra Pau derart „verwässert“ hatten, dass sie hinschmissen und den Parteitag verließen.
Es fehlt hier der Platz, um die Details der Kontroverse um einige Begriffe und Halbsätze auszubreiten. Aber im Wesentlichen lässt sich der Streit so zusammenfassen: Die eine Seite vertritt, wie Petra Pau es ausdrückte, das „antifaschistische Erbe“ der Deutschen, sich als Nachfahren der NS-Täter eindeutig auf Seiten Israels zu positionieren. Die andere Seite besteht zum Teil aus Aktivisten palästinensischer Herkunft, also aus Menschen, deren Großeltern 1948 von Israel vertrieben wurden. Oder deren Familienmitglieder seit dem 7. Oktober 2023 von israelischen Bomben getötet wurden, wie es bei Ramsis Kilani der Fall ist.
Sich für „eine Seite entscheiden“: Wäre einfach, aber falsch
Es wäre Aufgabe der Linken – wie eigentlich aller, die sich zum Nahostkonflikt äußern und dabei ernst genommen werden wollen – eine Position zu finden, die beiden Seiten Rechnung trägt. Das ist ja die Schwierigkeit: dass hier schon immer zwei sich ausschließende Ansprüche und Perspektiven bestehen, die beide berechtigt sind. Ja, Israel war 1948 Zufluchtsort für Juden; ja, der Staat gründet auf Vertreibung und Verbrechen an Palästinensern. Ja, der 7. Oktober war das schlimmste Massaker an Juden seit dem Holocaust. Ja, Vertreter der israelischen Regierung äußern sich seitdem mit genozidaler Rhetorik. Ja, Israel muss sich gegen einen Angriff wie den der Hamas verteidigen können. Ja, der israelische Krieg in Gaza reiht ein Kriegsverbrechen ans nächste.
Es ist keine ernst zu nehmende Position, sich für „eine Seite“ entscheiden zu wollen und so zu tun, als gäbe es die Ansprüche der anderen nicht. Auch wenn das die einfachere Antwort wäre: Ein kursorischer Blick auf Petra Paus Twitter-Profil zum Beispiel erweckt den Eindruck, ihr Lösungsvorschlag des Nahostkonflikts bestehe darin, einfach auszublenden, dass Palästinenser überhaupt existieren. Ein kursorischer Blick auf Ramsis Kilanis Online-Aktivitäten erweckt den Eindruck, seine Hoffnung in Sachen Nahostkonflikt setze darauf, dass der israelische Staat sich irgendwie verflüchtige. Beides wird nicht passieren.
Anstatt sich eine Konfliktpartei einfach wegzuwünschen, bestünde eine progressive Position darin, sich den Widersprüchen der Wirklichkeit zu stellen. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich.