Viele Landkreise befinden sich in einer Zwickmühle. Aufgaben und Einnahmen wollen einfach nicht zusammenpassen. 240 von 294 Landkreisen haben dieses Jahr Schwierigkeiten mit dem Haushaltsausgleich. Sie können wenig an ihren Aufgaben ändern, weil das meiste vom Bund oder Land hereingekommen ist. Und eigene Steuern, über deren Höhe sie bestimmen können, haben sie nicht. Die Hälfte ihrer Einnahmen machen Zuweisungen aus, die sie vom Land erhalten, 40 Prozent bekommen sie über eine Umlage von den kreisangehörigen Gemeinden – doch die haben selbst hohe Defizite.
Auf mehr als 13 Milliarden Euro wird aktuell die Lücke in den kommunalen Haushalten geschätzt – und das für jedes Jahr bis zum Ende des Jahrzehnts. Von defizitären Gemeinden können die Kreise keine zusätzliche finanzielle Unterstützung erwarten.
Und wenn der Anspruch gegen ihr Bundesland auf ausreichende Finanzausstattung ins Leere läuft, weil dieses selbst mit seinen Mitteln nicht auskommt, drohen die Landkreise am Ende der finanziellen Nahrungskette zu verhungern. So sehen sie sich gezwungen, abermals vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.
„So sitzt man in der Falle“
Theoretisch ist die finanzielle Autonomie der Gemeinden und der Landkreise im Grundgesetz abgesichert. So bestimmt Artikel 28, Absatz 2: „Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“ Auch die Landkreise fallen darunter. Weiter heißt es im Grundgesetz: „Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfasst auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung.“
Wo liegen die Schwierigkeiten? Zuletzt haben Landkreise in Sachsen-Anhalt erfahren müssen, dass sie zwar einen Anspruch auf Unterstützung haben, dieser aber bisher in der Praxis wenig wert ist. Nach der gefestigten Verwaltungsrechtsprechung könnten die Kreise gegen ihre Gemeinden ihren Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung einklagen, um alle Pflichtaufgaben und ein Mindestmaß an freiwilligen Aufgaben finanzieren zu können, sagt Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer des Landkreistages, im Gespräch mit der F.A.Z.
Aber da die Gemeinden ihrerseits Anspruch auf eine solche Mindestausstattung hätten, gebe es Fälle, in denen die Kreise nicht die Umlage durchsetzen könnten, um ihre Haushalte auszugleichen, wie es von ihnen verlangt werde. Sie könnten sich zwar an das jeweilige Land wenden und vor dem Landesverfassungsgericht klagen. Doch in Dessau-Roßlau hätten Richter schon zweimal entschieden, dass das Land Sachsen-Anhalt nicht mehr geben müsse, als es habe. „So sitzt man in der Falle.“
„Sachsen-Anhalt gewinnt damit relativ gesehen“
Der Kommunalvertreter sieht die Landkreise gleichsam in eine Gletscherspalte gestürzt. Allein kommen sie da nicht mehr heraus. Das Bundesverfassungsgericht muss helfen. Das Grundgesetz ist in dem Sprachbild das Rettungsseil. Das Versprechen lautet nach Hennekes Worten: „Wenn das Land in seiner Schutzwirkung zugunsten der Kommunen hinter dem Ziel der bundesdeutschen Selbstverwaltungsgarantie – gleiche Ausformung bürgerschaftlicher Selbstgestaltung vor Ort – zurückbleibt, dann könnt ihr das in Karlsruhe einklagen.“
Die sachsen-anhaltischen Landkreise Mansfeld-Südharz und Salzlandkreis haben diese Woche ihre Verfassungsbeschwerde eingereicht. Es ist der zweite Hilferuf zur Durchsetzung der Mindestausstattung. Schon länger liegt eine Beschwerde des Landkreises Kaiserslautern und der Stadt Pirmasens beim Bundesverfassungsgericht.
Der Weg über Karlsruhe ist für Henneke nur ein Hebel, um den Landkreisen mehr finanzielle Luft zu verschaffen. Darüber hinaus hält er es für dringend geboten, die kommunalen Ausgaben zu senken. Der Landkreistag werde dazu Anfang des nächsten Jahres Vorschläge vorlegen. „Es geht nicht um Petersilie auf dem Teller, sondern wir werden signifikante Kürzungsempfehlungen unterbreiten – nicht als Wahlkampfschlager, sondern als eine konkrete Handreichung für die neue Bundesregierung“, sagte er. „Unser Präsident Achim Brötel und ich stehen dann auch dafür ein, dass sich die Landkreise bei der absehbaren Kritik nicht wegducken werden.“
Darüber hinaus hält der Verbandsvertreter eine andere Finanzverteilung für geboten. „Die Kommunen bekommen ein Siebtel des Steueraufkommens, müssen aber mehr als ein Viertel der Gesamtausgaben tragen. Das heißt, das ist auf eine Unterfinanzierung angelegt.“
Eine gewisse Lücke sei vertretbar, da es Förderprogramme, den Finanzausgleich und Ähnliches gebe, aber nicht in dieser Dimension. Daher sollte der kommunale Bereich sechs Prozent der Umsatzsteuer erhalten statt heute nur zwei Prozent, ein Drittel wie bisher nach Wirtschaftskraft, den Rest nach Einwohnern. Originär weniger Steuerstarke profitierten davon: „Sachsen-Anhalt gewinnt damit relativ gesehen im Verhältnis zu Bayern und Baden-Württemberg.“