Die fatalen Folgen des Angriffs gen SPD-Politiker Matthias Ecke in Sachsen

Der Angriff auf den sächsischen SPD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Matthias Ecke, wirft einen Schatten auf den Wirtschaftsstandort Sachsen. Für Unternehmen aus der Region dürfte es noch schwerer werden, Arbeits- und Fachkräfte aus dem In- und Ausland anzulocken.

„Das Auftreten offener rechtsextremer Gewalt schadet dem Wirtschaftsstandort Sachsen extrem“, sagt Markus Scholz, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der TU Dresden. „Wie sollen wir die dringend benötigten, hoch qualifizierten Arbeitskräfte aus urbanen Milieus und anderen Ländern nach Sachsen bekommen, wenn hier rechte Schlägertrupps ihr Unwesen treiben?“, fragt der Wirtschaftswissenschaftler.

Ähnlich schätzt der Politikwissenschaftler Hans Vorländer den Überfall auf Ecke und seine Folgen für den Wirtschaftsstandort ein. „Das beschädigt das ohnehin schon angekratzte Image von Sachsen und erschwert die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland“, sagt der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration. Vorländer ist Direktor des 2017 gegründeten Mercator Forums Mi­gration und Demokratie sowie des Zen­trums für Verfassungs- und Demokratieforschung an der TU Dresden.

Politische Gewalt nimmt zu

Bei der Attacke auf Ecke handle es sich um eine Zuspitzung der politischen Gewalt, sagt Vorländer. „Generell beobachten wir eine Zunahme von psychischen und physischen Formen der politischen Gewaltausübung schon länger und nicht nur in Sachsen.“ Der SPD-Politiker Ecke war am Freitagabend in Dresden von vier jungen Männern attackiert worden, während er Plakate für die bevorstehende Wahl zum Europaparlament in der Stadt aufhängte.

Er erlitt schwere Verletzungen im Gesicht und musste am Wochenende operiert werden. Die Polizei teilte am Montag mit, dass alle vier Tatverdächtigen ermittelt sind. Das Landeskriminalamt Sachsen rechnet zumindest einen der Tatverdächtigen dem rechten Spektrum zu. Man gehe davon aus, dass er der „Kategorie politisch-motiviert rechts“ zuzuordnen sei, sagte eine Sprecherin des LKA. Ecke meldete sich zum Wochenbeginn in den sozialen Medien zurück.

Der Schaden für den Wirtschaftsstandort dürfte nicht so schnell verheilen. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden verurteilte jede Gewalt als Form der politischen Auseinandersetzung. Vor einer abschließenden Bewertung des Angriffs auf Ecke und seiner Folgen wolle man aber die Ermittlungen zu den Hintergründen der Tat abwarten. „Bis dahin sollte man mit vorschnellen Pauschalurteilen gegenüber bestimmten Regionen eher vorsichtig sein“, sagte ein Sprecher der IHK Dresden.

Einschüchterung von Politikern

Der Hightech-Verband Silicon Saxony äußerte sich zunächst ebenfalls nicht zu möglichen Folgen der Attacke. „Wir verurteilen jede Form extremistischer Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland. Die politische Auseinandersetzung muss mit den Mitteln der Demokratie geführt werden“, erklärte Frank Bösenberg, Geschäftsführer Silicon Saxony.

Er verwies auf die Stärke der Dresdner Zivilgesellschaft, die sich am Sonntagnachmittag zu einer 3000 Teilnehmer starken Demonstration versammelt hatte. Silicon Saxony vertritt unter anderem die Interessen der Halbleiterindustrie am Standort, die in den nächsten Jahren besonders stark auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen sein wird.

Deutliche Worte findet die Gewerkschaft IG Metall. „Feinde der Demokratie versuchen, politische Amtsträger einzuschüchtern. Die Gewerkschaften werden die Demokratie entschieden gegen ihre Feinde verteidigen“, sagte Dirk Schulze, Bezirksleiter Berlin-Brandenburg-Sachsen der IG Metall. Der brutale Angriff auf den SPD-Politiker schade dem Ansehen Sachsens und somit auch dem Wirtschaftsstandort, sagte Schulz: „Internationale Fachkräfte, die dringend benötigt werden, werden diese Vorkommnisse zur Kenntnis nehmen.“

Gefahr für die soziale Sicherheit

Das Auftreten von offener politischer Gewalt beschädige den Wirtschaftsstandort, sagte Ludger Weskamp, geschäftsführender Präsident des Ostdeutschen Sparkassenverbands (OSV), der ein Dutzend Sparkassen in Sachsen zu seinen 43 Mitgliedsinstituten zählt. Das gelte vor allem, wenn Investoren und Privatpersonen damit rechnen müssten, dass diese Gewalt immer wieder auftrete, betonte der OSV-Präsident.

Ein attraktiver Wirtschaftsstandort sei eine der Voraussetzungen dafür, Wohlstand und soziale Sicherheit zu erhalten. „Politisch motivierte, gar physische Gewalt gegen Personen, die sich für die Gesellschaft engagieren, ist deshalb ein Anschlag auf die Zukunft der Menschen vor Ort“, sagte Weskamp, der von 2015 bis 2021 als SPD-Landrat im Landkreis Oberhavel ein politisches Amt in Brandenburg innehatte.

Nach der polizeilichen Kriminalstatistik des Freistaat Sachsen stieg die Zahl der Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger im vergangenen Jahr um ein Fünftel von 315 auf 379. Die Zahl politisch motivierter Straftaten sank gegenüber 2022 um knapp ein Zehntel, stellte mit 5745 Fällen aber den zweithöchsten Wert der vergangenen Jahre dar. Die Zahl der politisch motivierten Straftaten im rechten Milieu stieg um mehr als zwei Fünftel auf rund die Hälfte aller politisch motivierten Straftaten, wobei Propagandadelikte mit 1.800 Fällen dominierten.

Spannungen in den Firmen nehmen zu

„2023 und Anfang 2024 haben die Angriffe auf Personen, die politisch aktiv sind, zugenommen“, stellt der Politikwissenschaftler Vorländer fest. Innerhalb von Unternehmen in Sachsen seien aber keine offenen politischen Konflikte bekannt. Die Spaltung innerhalb der Belegschaften gehe mittlerweile jedoch so weit, dass man in den Unternehmen über Politik häufig nicht mehr rede und die Beschäftigten politisch genau einzuteilen wisse. „Die Spannungen in den Betrieben nehmen zu, von Gewalt ist mir aber nichts bekannt“, sagt Vorländer.

Der Wirtschaftswissenschaftler Scholz sieht in dieser Situation die Unternehmenslenker gefordert. Sie sollten transparent und eindeutig kommunizieren, wie sie auf die jüngsten Ereignisse reagieren und welche Maßnahmen sie ergreifen, um die offene Gesellschaft und damit die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes zu gewährleisten

„Wirtschaftsführer sind auch in einer funktional differenzierten Gesellschaft nicht nur ihrer Berufsrolle verpflichtet“, sagt Scholz. Vorländer beobachtet, dass die Unternehmen sich zunehmend für die Demokratie engagierten, statt sich nur gegen Rechtsaußen zu stellen.

Ein Beispiel ist der Verein Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen, in dem sich seit der Gründung 2016 mehr als 120 Unternehmen und Interessenvertreter organisiert haben. „Wenn demokratische Grundwerte missachtet werden, ist der Wohlstand in Sachsen in Gefahr“, sagt Sylvia Pfefferkorn, Mitinitiatorin und Vorstandsmitglied des Vereins.

Der Wirtschaftsstandort Sachsen sei auf die global besten Köpfe angewiesen. „Haltung zeigen, Vorbild sein. Viele Unternehmen tun das bereits“, betont Pfefferkorn. Vor allem die demokratischen Bildungsangebote des Vereins würden vor der Kommunal- und Europawahl Anfang Juni und der Landtagswahl in Sachsen Anfang September stark nachgefragt.

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