Die Energiewende kostet 1,2 Billionen Euro

Die Energiewende wird sehr teuer. Sie kommt voran, aber noch stehen nicht genügend Investoren parat, um den Megaumbau zu finanzieren. Das ist das Ergebnis des „Fortschrittsmonitors Energiewende 2024“, den das Beratungsunternehmen EY gemeinsam mit dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW erstellt hat. Die 76 Seiten starke Analyse, die der F.A.Z. exklusiv vorliegt, beziffert die Kosten zwischen 2023 und 2035 auf sage und schreibe 1214 Milliarden Euro, also mehr als 1,2 Billionen.

Allein bis 2030 sind 721 Milliarden Euro nötig, rechnerisch rund 90 Milliarden im Jahr. Fast die Hälfte, 353 Milliarden, entfällt auf den Ausbau der erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarkraft. 39 Prozent oder 281 Milliarden müssen in die Übertragungs- und Verteilnetze für Strom und Erdgas fließen. Mit großem Abstand dahinter folgen die Aufwendungen für die Fernwärme (32 Milliarden Euro), für grüne Gase wie etwa Wasserstoff (23), für die Energiespeicher (17) und für das Wasserstoffkernnetz (15).

Die Kosten nehmen zu

In den folgenden Jahren nehmen die Kosten sogar noch zu. In den fünf Jahren von 2031 bis 2035 sind noch einmal 493 Milliarden Euro zu mobilisieren, jedes Jahr durchschnittlich 98,5 Milliarden. 44 und 39 Prozent der Kosten entfallen dann auf den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Netze, der Abstand zwischen den beiden Posten wird also kleiner.

Auffällig ist auch, dass die Fernwärme und die grünen Gase in der kürzeren Zeitspanne von nur fünf Jahren mehr Geld brauchen werden als in der achtjährigen Periode zuvor, nämlich zusammen 63 statt zuvor 55 Milliarden Euro. Bei den Speichern fallen identische Kosten an, aber im zweiten Zeitabschnitt für drei Jahre weniger.

Die Frage ist, wer bereit ist, diese Summen zu bezahlen. Der Studie zufolge hinken die Investitionen den Notwendigkeiten und Möglichkeiten stark hinterher. Zwar habe sich die durch die Investitionen ausgelöste Wertschöpfung in der Energiewende von 2022 auf 2023 mehr als verdreifacht, von 8,6 auf 28 Milliarden Euro. Das lag vor allem am Ausbau der Stromerzeugung und der Netze.

Der Wert bleibe aber trotzdem um 46 Prozent hinter dem Wertschöpfungspotential von mehr als 52 Milliarden Euro im Jahr zurück, stellen die Fachleute fest: „Das Investitionsvolumen liegt nach wie vor deutlich unter Plan.“

Metin Fidan, Partner bei EY, sieht auch positive Aussichten. „In der deutschen Energiewirtschaft stehen in den kommenden Jahren Milliardeninvestitionen an“, sagt er. „Investitionen, die in erheblichem Umfang Wachstum und regionale Wertschöpfung generieren können.“

Die theoretisch jedes Jahr möglichen 52 Milliarden Euro entsprächen 1,5 Prozent der gesamten deutschen Bruttowertschöpfung. Statt der potentiellen 27 Milliarden Euro für die Stromerzeugung seien 2023 aber nur 16 Milliarden erreicht worden. Bei den Netzen waren es 10 von 18 Milliarden.

„Wir sehen, dass das jährliche Wertschöpfungspotential noch bei Weitem nicht vollständig realisiert werden kann“, sagt Kerstin Andreae, die Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung. Nötig seien jetzt verstärkte Geldflüsse in die grüne Stromerzeugung und in die Leitungen sowie weitere Impulse durch den Ausbau der Fernwärme, des Wasserstoffkernnetzes und der Energiespeicher.

„Der Handlungsdruck bleibt hoch, um die Ziele bis 2030 zu erreichen“, so Andreae. Der Fortschrittsmonitor zeige, dass sich die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt hätten: „Dieser Trend muss unbedingt gehalten und noch weiter verstärkt werden.“

Fehlende Renditeaussichten bremsen wohl das Interesse

Zu den Gründen für die Investitionszurückhaltung macht die Studie keine Angaben. Indirekt ist zu erschließen, dass es neben den vorhandenen bürokratischen Hürden und langsamen Abläufen vor allem fehlende Renditeaussichten sind, die das Interesse bremsen. So ist noch unklar, wie sich die neuen wasserstoffgeeigneten Gaskraftwerke rechnen sollen, mit denen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) laut seiner Kraftwerksstrategie steuerbare Kapazitäten für die Zeiten ohne Wind- und Solarkraft bereitstellen will.

Da die Gasblöcke nur zu wenigen Zeiten Strom produzieren werden, verdienen sie in dem jetzigen System kein Geld und sind für Investoren uninteressant. Deshalb werden Elemente eines sogenannten Kapazitätsmarkts erwogen, wonach das reine Vorhalten des Erzeugungspotentials vergolten werden könnte.

Abschreckend auf Investoren mag auch wirken, dass sie sich ihrer Gewinne im Notfall nicht sicher sein können. So hatte die Bundesregierung auf Grundlage der EU-Notfallverordnung in der Energiekrise im November 2022 beschlossen, zur Finanzierung der Strompreisbremse sogenannte „Übergewinne“ der Energieerzeuger „abzuschöpfen“. Besonders gerupft werden sollten Ökostromproduzenten.

Um die Energiewende zu stemmen, gehe es darum, Kapital „anzureizen und Investitionen zu ermöglichen“, sagt Andreae anlässlich der vom Fortschrittmonitor festgestellten Finanzierungslücke. „Wir können uns dabei nicht allein auf öffentliches Mittel verlassen. Mehr denn je gilt es, privates Kapital zu gewinnen.“

Schon jetzt trage die Energiebranche einen erheblichen Teil der Investitionen zum Wohle der „Stärkung der Unabhängigkeit und Resilienz“. Für die Unternehmen gelte: „Investitionen in die Energiewende sind gut angelegtes Geld.“ Die wirtschaftlichen Schocks der vergangenen Jahre hätten gezeigt.

Der Ausbau der Erneuerbaren sei „deutlich“ vorangekommen

Der Fortschrittsmonitor stellt für 2023 fest, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Netze „deutlich“ vorangekommen sei. Mit 53 Prozent habe der Anteil des Ökostroms erstmals mehr als die Hälfte des gesamten Bruttoverbrauchs ausgemacht und auch über dem gesetzlichen Zielpfad gelegen. Besonders stark im Ausbau war 2023 der Anstieg in der Photovoltaik mit einer annähernden Leistungsverdopplung auf 13,6 Gigawatt (GW). Das überstieg den Zielpfad von 9 GW deutlich.

Von 2026 an sind allerdings mehr als 20 GW an Solarkapazität nötig. In der Windenergie an Land kamen im vergangenen Jahr 3,3 GW hinzu, so viel wie seit 2017 nicht. Dieser Wert lag jedoch unterhalb des Zielwerts von 5,5 GW. Noch schlechter sah die Lage für Windparks auf dem Meer aus, deren Leistungserweiterung nur 0,3 GW betrug, ein Neuntel des Notwendigen.

Weniger rosig als auf den ersten Blick ist die Lage der Erneuerbaren auch, wenn man auf den gesamten Primärenergieverbrauch schaut. Nach BDEW-Zahlen machten 2023 die regenerativen Quellen nicht einmal 20 Prozent des Gesamtwerts aus. Viel wichtiger waren fossile Träger: Mineralöl mit fast 36 und das Erdgas mit rund 25 Prozent. Braun- und Steinkohle erreichten zusammen immerhin 17 Prozent.

Heizungsgesetz als Unsicherheitsfaktor

Laut Monitor ist der Erneuerbarenanteil in der Wärmeerzeugung 2023 zwar gestiegen, beträgt aber trotzdem nur 19 Prozent. Im Verkehr gab es ebenfalls eine leichte Zunahme auf 7 Prozent, die 2007 freilich schon einmal erreicht worden waren.

Die Diskussion um das Gebäudeenergie- oder Heizungsgesetz habe zu „erheblichen Unsicherheiten“ und zu steigenden Käufen von Gasheizungen geführt, heißt es in dem Papier. Der Fachkräftemangel begrenze ebenfalls den Hochlauf der Wärmepumpen als Alternative zu fossilen Anlagen. Die Experten sprechen sich dafür aus, alle Möglichkeiten zu nutzen, um klimafreundlich zu heizen. Dazu gehörten neben Wärmepumpen und Fernwärme auch Gasheizungen. Diese müssten künftig aber mit erneuerbaren oder dekarbonisierten Gasen betrieben werden. Dazu zählt zum Beispiel der Wasserstoff.

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