Die AfD steigt in Umfragen massiv – und ein wesentlicher Grund ist Friedrich Merz

Mit großer Nervosität blicken viele Menschen derzeit auf die Wahlumfragen. Nicht nur wegen Machtfragen, sondern, weil sie über Lebensperspektiven und Sicherheit entscheiden.

Bei einigen Bundesländern, in denen nächstes Jahr gewählt wird, waren so zuletzt drastische Sprünge zu vernehmen: In Sachsen-Anhalt lag die AfD laut einer INSA-Umfrage vom 19. Juni bei 30 Prozent – bei einer Umfrage desselben Instituts vom 15. Oktober dann schon bei 40. Ähnlich in Mecklenburg-Vorpommern. Hier steigerte sich die AfD laut einer INSA-Umfrage vom 28. April von 29 Prozent auf 38 Prozent am 25. September (Infratest dimap). Ein Sprung von rund 10 Prozentpunkten in beiden Ostbundesländern innerhalb weniger Monate? Der thüringische Landeschef Björn Höcke, der im Oktober schon von absoluten Mehrheiten träumte? Was ist hier los?

Für Sachsen-Anhalt spielt sicher die Entscheidung des relativ beliebten Regierungschefs Reiner Haseloff eine Rolle, nicht mehr zur Landtagswahl als CDU-Spitzenkandidat antreten zu wollen. Für eine sinnvolle Analyse muss der Blick aber geweitet werden – zeitlich und räumlich. Die zentralen Entwicklungen für den politischen Stimmungswechsel finden auf Bundesebene statt.

Dort lässt sich wiederum erkennen, dass seit der Bundestagswahl im Februar die Umfragewerte der meisten Parteien erstaunlich stabil sind. Alle Umfragen der verschiedenen Meinungsforschungsinstitute zusammengerechnet liegen BSW und FDP seit Monaten bei etwa drei bis vier Prozent, während sich Linke und Grüne zwischen elf und zwölf Prozent bewegen und die SPD sich knapp unter der 15-Prozent-Marke eingependelt hat. Nur bei zwei Parteien sind Bewegungen zu erkennen: bei Union und AfD. Die Kurven ihrer Umfragewerte verlaufen nahezu spiegelverkehrt.

Spiegelverkehrter Verlauf bei Union und AfD – Verschiebungen im rechten Block?

Kurze Rückschau: Lag die Union bei der Bundestagswahl noch mit Abstand vor der AfD, trafen sich beide Parteien wenige Wochen später bei rund 25 Prozent. Anschließend konnte die Union vor allem wegen einer als verhältnismäßig gut erachteten Performance von Friedrich Merz in der Außenpolitik wieder Abstand zur AfD aufbauen. Anfang Juli lag sie bei 28 Prozent, die AfD bei knapp 23. Seitdem nähern sich die Werte von Union und AfD erneut an – der groß erscheinende Anstieg in einigen Ländern im Spätsommer muss unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden. Bundesweit liegt aktuell die AfD leicht vor der Union bei über 25 Prozent. Doch was verraten uns diese Zahlen?

Während links der Mitte eine stabile Landmasse liegt, verschieben sich rechts davon tektonische Platten – und jedes Beben lässt das politische Gelände erzittern. Konkret: Der Block von etwa 35 bis 40 Prozent der Wahlberechtigten, die ihre Stimmen SPD, Grünen oder Linken geben würden, erscheint relativ gefestigt. Dagegen schwankt ein erheblicher Teil der gut 50 Prozent, die sich zwischen Union und AfD verteilen.

Für die AfD scheint damit das Wählerpotenzial der Parteien, die links der Mitte zugerechnet werden, weitgehend ausgeschöpft: Zu keinem Zeitpunkt seit der Bundestagswahl gingen Zugewinne der AfD mit Abschwächungen bei SPD, Grünen oder Linken einher. Die Verschiebungen vollziehen sich fast ausschließlich im Raum zwischen Union und AfD.

Eine Strategie mit Grenzen: Inhaltliche Zustimmung bei formaler Abgrenzung

Ein wesentlicher Grund für die relative Schwäche der Union bei gleichzeitiger Stärke der AfD dürfte im Zickzack-Kurs von Friedrich Merz liegen. Einerseits versucht er seit Jahren, mit markigen Sprüchen in rechten Gewässern zu fischen; andererseits betont er stets, mit der AfD dürfe es keine Zusammenarbeit geben. Offenbar entsteht so bei einem Teil der Unionsanhänger der Eindruck, die AfD habe inhaltlich im Grunde recht, während die Merz-Union lediglich nicht bereit sei, ihre Macht mit einer inzwischen in Umfragen ebenbürtigen Partei zu teilen.

Der Merz-Kurs der inhaltlichen Zustimmung bei formaler Abgrenzung war bereits vor der Wahl fragwürdig. Wie fatal er wirkt, zeigt sich jedoch erst jetzt, da die Union Regierungsverantwortung trägt und Teile des rechten Milieus, die Merz durch seinen antimigrationspolitischen Wahlkampf mobilisieren konnte, sich nun enttäuscht abwenden – und Verunsicherung zunimmt.

Wie es weitergehen soll, scheint die Union selbst nicht zu wissen. Der Richtungsstreit – auch ausgetragen über die Debatte zum Umgang mit der AfD zwischen Anpassung und Abgrenzung – findet immer offener statt. Ehemalige Parteigrößen wie Ex-Generalsekretär Peter Tauber, Ex-Minister Karl-Theodor zu Guttenberg und der Vordenker des rechten Flügels der Union, Andreas Rödder, forderten jüngst ein Aufweichen der Brandmauer, währendSchleswig-Holsteins Landeschef Daniel Günther, Bildungsministerin KarinPrien und die CSU-Spitze dagegen hielten.

Vor wenigen Wochen erneuerte Merz dann das Credo, die AfD sei der Hauptgegner der Union und es dürfe keine Zusammenarbeit geben. Auf derselben Pressekonferenz bekräftigte er jedoch seine tendenziell rassistische Stadtbild-These, wonach das durch Migration veränderte Stadtbild Probleme mit sich bringe, die durch Abschiebungen zu lösen seien. Remigration light statt Remigration. Wen wundert es da, dass jene, die dieser Problemdefinition folgen, sich von der Kanzlerpartei abwenden – solange sich am Stadtbild nicht substanziell etwas ändert?

Ein politisches Gelegenheitsfenster und gesellschaftliche Kälte als verstärkende Faktoren

Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kommt auch Gerd Wiegel, Leiter des Referats Demokratie, Migrations- und Antirassismus-Politik beim DGB-Bundesvorstand. „Was mit Blick auf die aktuelle Asylpolitik als notwendige Maßnahme zur Eindämmung der AfD ausgegeben wird, ist in Wahrheit das nächste Aufbauprogramm für die extreme Rechte“, erklärt der Politikwissenschaftler jüngst in einer Analyse für die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Aus seiner Sicht gehe es der CDU jedoch nicht nur darum, Wähler*innen von der AfD zurückholen, indem man ihre Themen besetzt – wie bei den diesjährigen Debatten zu Regenbogenflaggen auf dem Reichstagsgebäude, Genderverboten oder der Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf. Ebenso gehe es um die Vorstellung, „das politische Gelegenheitsfenster für eine Abwicklung des linksliberalen Zeitgeistes zu nutzen, der von Konservativen seit mehr als 50 Jahren beklagt wird“. Der Blick nach Ungarn, Argentinien oder die USA sei hier kein Schreckensbild, sondern Verheißung.

Doch der Erfolg der AfD lässt sich nicht allein mit dem strategischen Vorgehen der CDU erklären. Er wurzelt auch in einem gesellschaftlichen Klima, das in der Breite kälter geworden ist. David Begrich, der in der Arbeitsstelle Rechtsextremismus beim Verein Miteinander in Magdeburg arbeitet, stimmt so zwar auch der grundsätzlichen These zu, dass die AfD von der Debattenlage profitiert. „Ein Agenda-Setting zugunsten der AfD nutzt letztlich der AfD“, sagt der Experte gegenüber dem Freitag.

Begrich weist jedoch auf eine Dimension hin, die über das Agieren der CDU hinausweist – auch wenn diese durch ihr Vorgehen in der Bundesregierung entscheidend daran mitwirkt: „Die AfD profitiert von der zunehmend rohen Bürgerlichkeit in Deutschland, die Tonalität in der Gesellschaft wird rauer.“ Abstiegsängste würden demnach zunehmen, es wachse generell das Bewusstsein in der Bevölkerung, dass sich das eigene Leben schnell verschlechtern kann. Schon seit mehreren Jahren befindet sich Deutschland in einer Wirtschaftsstagnation, die Anzeichen einer Deindustrialisierung nehmen vielerorts zu. Die harte Sparpolitik zeigt ihre Folgen. „Die Mitte der Gesellschaft will ihre Besitzstände verteidigen und schlägt um sich.“

Wir erleben gerade weitgehende Mechanismen der Entsolidarisierung in Deutschland

David Begrich, Verein Miteinander

Dieses Verhalten ziehe sich durch alle Parteien – die übergreifend hohen Zustimmungswerte zu härteren Sanktionen gegen Bürgergeldempfänger*innen sei so auch mehr als ein „sozialdarwinistischer Reflex“, betont Begrich. „Wir erleben gerade weitgehende Mechanismen der Entsolidarisierung in Deutschland.“ Begleitend dazu erodiere auch die politische Kultur der alten Bundesrepublik – was in Ostdeutschland schon fortgeschrittener ist, wird zunehmend in Westdeutschland geschehen.

Für diese Perspektive lassen sich auch Argumente in der jüngst veröffentlichten Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung finden. In der repräsentativen Untersuchung heißt es: „Statusverluste machen die Mitte anfällig für populistische Angebote, weil sie sich unter Druck fühlt und angespannt ist.“

Wie geht es nun weiter mit der Union? Eine Richtungsentscheidung scheint blockiert

Für die Union stellt sich in dieser Gemengelage eine schwierige Frage: Rückt sie weiter nach rechts, müsste sie sich wohl früher oder später bündnisstrategisch für die AfD öffnen, wenn sie nicht noch mehr Wähler verlieren möchte. Der rechtskonservative Parteiteil könnte darauf spekulieren, dass er Ziele wie eine massive Aufrüstung, verstärkte Abschiebungen und einen rigorosen Sozialkahlschlag dann möglicherweise noch leichter umsetzen kann als bereits jetzt mit der SPD. Gerade die hohe Unterstützung unter Arbeiter*innen und Nichtakademiker*innen für die AfD könnte hierbei als Hebel gesehen werden, Unmut über entsprechende Reformen zu neutralisieren – oder noch stärker nach unten zu kanalisieren.

Auf diese mögliche Zusammenarbeit arbeiten zeitgleich auch Teile der AfD hin: Wie ein Strategiepapier vom Juli zeigt, versucht man dort, mit permanentem Kulturkampf die Koalition der Bundesregierung zu destabilisieren. Das übergreifende Ziel: SPD und Grüne nach links und die Union nach rechts drängen. Der rechte AfD-Flügel macht immer wieder zugleich klar, dass er die Bedingungen einer jeglichen Kooperation stellen wird.

Die andere Option: Die Union orientiert sich wieder stärker zur Mitte. Doch eine zunehmend schwache SPD, das bereits erwähnte abgeschöpfte Wählerpotenzial sowie die Radikalisierung des rechten Parteiflügels dürften ebenfalls die Chancen dafür mindern. Eine Richtungsentscheidung wäre nötig – doch sie bleibt blockiert.

Die Luft für die letzte verbliebene Volkspartei wird damit zunehmend dünn. Selbst, wenn die Bundesregierung trotz aller internen Widersprüche den „Herbst der Reformen“ durchsteht – spätestens die Landtagswahlen im kommenden Jahr, insbesondere in Sachsen-Anhalt, werden zum Test, ob die Union als solche überleben wird. Am Ende droht sie, von jener Erosion verschlungen zu werden, die sie selbst befeuert hat.

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