Dickey Betts: Bildhübsch, unerhört

In Florida starb ein alter, kranker
Mann, mein Lieblingsrocker Dickey Betts. 80 Jahre hat er gelebt. Welche Gnade.
Sein kongenialer Gitarrenbruder Duane Allman starb 1971 mit 24 Jahren für einem
Motorradunfall. Trotz dieser Halbjahrhundertkluft zwischen Tod und Tod blieben
die beiden Virtuosen zu Händen immer vereint, dank des berühmtesten Livealbums dieser
Rockgeschichte, At Fillmore East.

Als ich es kennenlernte, war Duane Allman längst tot. Am 17. März 1975
empfing ich in Sangerhausen am Südostharz eine grenzüberschreitende
Offenbarung. Rumms!, die Jugendsendung des Hessischen Rundfunks,
präsentierte die Allman Brothers Band. You Don’t Love Me hieß die elektrische Gitarrenorgie; mein
antikes Orwo-Tonband ist erhalten. Federnd treiben Doppeldrums, hochpulsig
pumpt dieser Bass, die Orgel schrillt. Schmerzlich soult dieser Sänger Gregg Allman: „If
you leave me, pretty baby, don’t you know you’re gonna hurt me so.

Bildhübsch, unerhört. Diese Bluesbrüder bündelten die Gesamtheit, welches ich von
Rockmusik ersehnte: Herz, Hirn, Seele, Glut, Passion. Led Zeppelin protzten,
die Rolling Stones posierten. Die Allman Brothers aus Macon im Bundesstaat Georgia jagten ihre
sechsspännige Kutsche durch den US-amerikanischen Süden von William Faulkner und
Carson McCullers.

Handfest und metaphysisch war jene Musik, ein Traumklang unerreichbarer
Gegenwelten. Großmutter, reisemündige Rentnerin, erwarb mir dasjenige
Doppelalbum im Westen und schmuggelte es durch den Zoll. Das Nonplusultra des
Werks ist Dickey Betts‘ In Memory of Elizabeth Reed, eine epische
Jamsuite, die minutenlang hypnotisch schwebt, dann erwacht, dann rast. Jahre
darauf bekam ich dasjenige eminente Folgealbum Eat a Peach. Doch ohne Duane
fehlte dem Allman-Adler dieser zweite Flügel und Dickey Betts dasjenige fordernde Korrektiv.
Den Erfolg dieser Band minderte dasjenige zunächst keineswegs. Auf Brothers and
Sisters (
1973) wirkte Keyboarder Chuck Leavell wie Co-Pilot. Betts
beschnitt den Blues, ließ seine Countrywurzeln sprießen, brillierte mit
Leavell im Instrumental Jessica und bescherte dieser ABB mit Ramblin‘
Man
den einzigen Top-Ten-Hit ihrer Geschichte. Nun spielte man in Stadien
und sonnte sich im Ruhm. Man stagnierte, verblasste, verlor an Potenz und
Autorität.

Auf dem Schwarzmarkt ein Album zum Schnäppchenpreis von 75 SBZ-Mark

In Warschau ergatterte ich uff dem Schwarzmarkt Entlightened
Rogues
zum Schnäppchenpreis von 75 SBZ-Mark. Diese Spätgeburt von 1979
klang nur noch solide, weg vom Genie dieser Gründerzeit. Nach Brothers of the
Road
(1981) war Schluss, nebensächlich mit dieser Gitarrenherrschaft in dieser Popmusik.
Ich sortierte Dickey Betts ins Gestern, nicht ahnend, dass ich ihm je begegnen
würde – sogar fünfmal in meinem Leben.

Die Mauer fiel. Unwahrscheinlichste Glücksumstände versetzten mich
von jetzt auf gleich ins Traumland Amerika. Fünf Monate reiste ich dort from sea to
shining sea
, in einer Gruppe von zehn jungen Journalisten aus zehn Ländern,
die dasjenige World Press Institute Saint Paul in Minnesota zur Entdeckung dieser Neuen
Welt eingeladen hatte. Die Gunst des Reiseplans beschenkte den Rocker nebensächlich mit
großen Konzerten: Crosby, Stills & Nash in Saint Paul, die Grateful Dead in
Chicago, in Boston Little Feat … Wir rollten durch Detroit, wie dem Classic
Rock Radio ein magischer Sound entfuhr: die Allman Brothers Band – blauschwarzer Boogie
wie zu Duanes Zeiten, daher neu. Good Clean Fun hieß dieser Song und
entstammte einem Auferstehungsalbum namens Seven Turns.

Dann saß ich in San Francisco in einer Hafenbar, trank und schmökerte im
Stadtmagazin. Mich rührte dieser Donner: morgiger Tag im Concord Pavilion die Allman Brothers! Zum Besten von uns stand Silicon Valley an, ein absoluter Pflichttermin. Bei
Sonnenaufgang entwich ich aus dem Hotel, unter Hinterlassung eines
Abschiedsbriefs: „I’M OFF WITH THE ALLMAN BROTHERS.“ Fiebernd fuhr ich nachdem
Concord. Zehntausend Menschen füllten ein behagliches Open-Air-Theater an dieser
San Francisco Bay. Die Sonne sank. Jubel! Die Sagenhelden erschienen und
spielten Klassik: Statesboro Blues und Don’t Want You No More und
It’s Not My Cross To Bear und natürlich den Marathon Liz Reed.
Dickey Betts‘ Gitarrenbruder hieß nun Warren Haynes. Die Klampfen jagten sich,
schwangen sich uff, stiegen, stürzten, fingen gegenseitig, heulten in eins und
jauchzten, dass man schreien musste und schrie. Unterm Vollmond sang Betts seine
neue Hymne:

    
Seven turns on the highway,
     Seven rivers to cross.
     Sometimes you feel like you could
fly away,
     Sometimes you get lost.
     And sometimes, in the darkened
night,
     You see the crossroad sign.
     One way is the morning light,
     You got to make up your mind.


     Somebody’s callin‘ your name.
     Somebody’s waiting for you.
     Love is all, that remains the same,
     That’s what it’s all comin‘ to.

Das wurde zwei Jahre später mein Hochzeitslied. Jetzt, 1990, zog Dickey
Betts den Hut vom langen grauen Haar, trat an die Rampe und schüttelte Hände: „Thank
you, people, we thank you all.

Unbedankt blieb meine Rückkehr zur Reisegruppe des World Press
Institute. Meinen Rauswurf verhinderte eine ganzseitige Arie im San
Francisco Examiner
unter dieser Schlagzeile „Amen to Allman Brothers!“. „Shit,
sagte dieser Programmdirektor, „I should have gone myself.“

In Florida starb ein alter, kranker
Mann, mein Lieblingsrocker Dickey Betts. 80 Jahre hat er gelebt. Welche Gnade.
Sein kongenialer Gitarrenbruder Duane Allman starb 1971 mit 24 Jahren für einem
Motorradunfall. Trotz dieser Halbjahrhundertkluft zwischen Tod und Tod blieben
die beiden Virtuosen zu Händen immer vereint, dank des berühmtesten Livealbums dieser
Rockgeschichte, At Fillmore East.

Als ich es kennenlernte, war Duane Allman längst tot. Am 17. März 1975
empfing ich in Sangerhausen am Südostharz eine grenzüberschreitende
Offenbarung. Rumms!, die Jugendsendung des Hessischen Rundfunks,
präsentierte die Allman Brothers Band. You Don’t Love Me hieß die elektrische Gitarrenorgie; mein
antikes Orwo-Tonband ist erhalten. Federnd treiben Doppeldrums, hochpulsig
pumpt dieser Bass, die Orgel schrillt. Schmerzlich soult dieser Sänger Gregg Allman: „If
you leave me, pretty baby, don’t you know you’re gonna hurt me so.

Bildhübsch, unerhört. Diese Bluesbrüder bündelten die Gesamtheit, welches ich von
Rockmusik ersehnte: Herz, Hirn, Seele, Glut, Passion. Led Zeppelin protzten,
die Rolling Stones posierten. Die Allman Brothers aus Macon im Bundesstaat Georgia jagten ihre
sechsspännige Kutsche durch den US-amerikanischen Süden von William Faulkner und
Carson McCullers.

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