Dichter und Pfarrer Christian Lehnert: „Schreiben gehört zu den vorletzten Dingen“ – WELT

Durch dies Haus fließt ein Bach, besser: ein Rinnsal, ein Rinnsal. Im Keller, einst unverblümt aufwärts erzgebirgischen Fels gebaut, ist so fließendes Wasser inklusive. Der Keller war lebenswichtig, funktional wie die Gesamtheit in diesem alten Bauernhaus von kurzer Dauer vor welcher tschechischen Grenze: Durch die Wärme aus welcher Erde wurde es hier unten nie kälter qua fünf oder sechs Grad. So konnten die Bauern durch den hier oben eisigen Winter kommen, wenn welcher „böhmische Wind“, wie sie hier sagen, droben den Kamm schneidet.

Will man den Schriftsteller Christian Lehnert in seinem Refugium kommen, geht es von Dresden mit dem Regionalzug durch dies Müglitztal ins Gebirge, weiter des Flusses, durch Orte, die Oberschlottwitz oder Bärenhecke heißen und selbst zu Händen den Bummelzug nur „Bedarfshaltestellen“ sind. Doch dies Pittoreske täuscht, während welcher sächsischen „Jahrhundertflut“ im Sommer 2002 versank dies ganze Tal im Schlamm. Lehnert war weiland junger Pfarrer in Weesenstein und erlebte qua Notfallseelsorger die Katastrophe unmittelbar. „Wie kam es, dass sich wenn schon hier Zerstörung in dies Schöne mischte? … Warum waren überall Böses und Gutes, Wachstum und Elend vermengt?“, fragt Lehnert in seinem neuen Buch.

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In „Das Haus und dies Lamm“, einem zusammen mit Suhrkamp erschienenen theologischen Großessay, ist dies Bauernhaus ein wichtiger Protagonist. Wie die berühmte cabin in Thoreaus „Walden“ ist es Symbol eines anderen Lebens – jenseits welcher Zivilisation und welcher sozialen Zwänge. Von welcher Bahnstation holt Lehnert den Gast mit dem Auto ab. Er erzählt mit melodischem sächsischen Zungenschlag von seinem Reich, er kennt hier jeden Stein und erst recht jeden Nachbarn. Die verstreuten Bauernhäuser heißen ganz offiziell „Walddörfchen“. Die Grenze ist ganz nah, zwar wenn schon die Autobahn Dresden–Prag, die, dass nötig, in einer halben Stunde wieder in die Urbanität trägt.

Retirade an den Rand

Im Haus wartet die Colliehündin Cora. Vor zwölf Jahren nach sich ziehen sich die Lehnerts ihren Traum von den Bergen erfüllt; irgendwas Land drumherum gehört dazu, sogar ein Stück Wald, aus dem sich dies eigene Holz zu Händen den Bollerofen verhauen lässt. Den hat Lehnert nun ermutigt, es gibt Kaffee aus dem Kocher. Die Kochkunst ist wie dies ganze Haus schlicht-pragmatisch mit Möbeln ausgestattet, zwei Bilder befreundeter Künstler an welcher Wand, ein Stern-Radio aus den 70ern, ein Vorleger Samowar, Trockengräser, Weidenkätzchen, ein Notenständer.

Lehnerts Frau ist Barockgeigerin und ohne Rest durch zwei teilbar aufwärts Konzertreise; die zwei älteren Kinder studieren längst, die jüngste Tochter macht in diesem Jahr Abitur. Noch hat die Familie eine Stadtwohnung in Rötha zusammen mit Leipzig, die zwar demnächst aufgegeben werden soll, sowie Lehnerts Job an welcher Leipziger Universität. Längst hätten sich „die Lebensschwerpunkte umgepolt“. Bald soll dies Haus zum einzigen Wohnsitz werden. Lehnert ist Mitte 50 – ein Neustart.

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Der Erzähler des neuen Buchs ist zwar, wie schnell lukulent wird, keineswegs mit seinem Autor inhaltsgleich. Die radikale Waldeinsamkeit ist ein literarischer Topos – ein durchaus aktueller in unseren Weltfluchtzeiten mit ihren Prepperfantasien. Doch wenn schon wenn die tiefe Lebenskrise, die seinen Erzähler zur Lektüre welcher Johannes-Apokalypse des Neuen Testaments treibt, eine fiktionale Zuspitzung ist, so sind doch die existenziellen Fragen Lehnerts eigene: „Dieses Buch ist Ausdruck einer starken inneren Gärung.“ Der Retirade an den Rand bewirke wenn schon eine andere Wahrnehmung welcher Welt, von Zeit und Raum. Wenn sich ein Schriftsteller aus „welcher Gesellschaft“ zurückzieht, dann heißt dies wenn schon vom Literaturbetrieb, in Lehnerts Fall unter Umständen gar: von welcher Sprache selbst.

1997 erschien Lehnerts erster Gedichtband zusammen mit Suhrkamp; 2022 sein „opus 8“. Dazu Prosabücher, in denen Lehnert eine Mischform aus Memoir, theologischem Essay und Nature Writing entwickelt hat. In „Das Haus und dies Lamm“ wechseln sich dies Alltagsleben eines modernen Eremiten und Naturbeobachtungen mit Bibelauslegungen ab. Lehnerts Gewährsleute heißen Jacob Böhme oder Angelus Silesius, wenn schon ein jüdischer Kabbalist wie Isaak Luria (1534–1572) spielt mit seiner Lehre vom „Zimzum“ eine zentrale Rolle.

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Aus seiner Lektüre welcher Johannes-Apokalypse leitet Lehnert Überlegungen zur Geschichtsphilosophie ab, zum fatalen Missbrauch von simpel zeitlich gedachten Modellen vom Weltende und dem „tausendjährigen Reich“. Gegen säkularisierte Endzeit-Vorstellungen von Thomas Müntzer droben rechte wie linke Utopien solange bis zur heutigen Klima-Apokalypse stellt Lehnert die Gemahlin Tradition mystischen Denkens. Das Ende welcher Zeit ist just selbst kein zeitliches Ereignis; es liegt nicht in einer konkreten, gar einer datierbaren Zukunft.

Theologisch leichte Kost ist dies nicht. Wer es in religiösen Fragen gerne vom Glauben erfüllt und unmissverständlich hat, ist zusammen mit Lehnert falsch, welcher an den Mystikern ohne Rest durch zwei teilbar die Paradoxien schätzt, wo Erfahrungen von Gottesnähe und tiefster Verzweiflung Hand in Hand möglich sein. Im Literaturbetrieb und wenn schon in seiner eigenen, welcher evangelischen Kirche fühlt sich Lehnert inzwischen qua Außenseiter. Die Pandemie, qua er zu den Unterzeichnern eines Aufrufs von Wissenschaftlern gegen eine Impfpflicht gehörte, habe sie Distanz noch verstärkt.

„Es ist mehr qua ein Unbehagen. Ich habe den Eindruck, dass verknüpfen welcher Betrieb lieber gehandikapt, verknüpfen im Schreiben geprägt und normiert.“ Verbreiteten Erwartungen an „religiöse Dichtung“ will Lehnert nicht erfüllen. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass meine Bücher unheimlich Widerspruch erregen.“ Dass zum Glauben immer wenn schon tiefer Zweifel gehört, werde heute kaum mehr verstanden. Doch die Vorstellung von Glauben und Religion qua einem „festen Besitz“ ist zu Händen Lehnert selbst Ausdruck schwindender religiöser Energien in welcher Gesellschaft.

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Lehnert erwähnt mit Hochachtung den Schriftstellerkollegen Reinhard Jirgl, welcher sich 2017 vollwertig aus welcher Öffentlichkeit zurückgezogen hat und nur noch am Nachlass arbeitet: „Bei mir kommt hinzu, dass ich zögernd bin, welches im Prinzip die letzten treibenden Energien sind, die mich in Bewegung setzen. Spiritualität und Religion landnehmen mich manchmal mehr qua dies Schreiben. Dann meditiere ich möglichst. Dann merke ich, dass dies Schreiben selbst zu den vorletzten Dingen gehört.“

Dann führt Lehnert durch dies Haus, dies mit seinen Balken und Wänden, Treppen und Winkeln wie ein lebendiger Organismus erscheint. Die Vorbesitzer, ein sehr altertümlich gewordenes Ehepaar, hätten es liebevoll rein, zwar seitdem den 40er-Jahren sei nichts modernisiert worden. „Das ganze Haus ist ein reines Museum“. In welcher Scheune fanden sich die seltsamsten Geräte, deren Zweck oft unbekannt sei. Wie viel Arbeit die Lehnerts in den letzten Jahren hier investiert nach sich ziehen, kann man nur erahnen.

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Zum Mittagessen macht Lehnert eine Suppe warm, den „letzten Kürbisgewächs“ vom Vorjahr, qua Einlage gibt es Tofuwürste. Lehnert, Jahrgang 1969, erzählt von seiner Prägung in welcher Ostzone. Aus Gewissensgründen entschied er sich qua junger Mann gegen den Dienst an welcher Waffe und ipso facto gegen die familiär vorgezeichnete Medizinerlaufbahn – zweierlei Eltern sind Augenärzte –, die damit unmöglich geworden war.

Als Bausoldat musste er unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen in den maroden Chemieanlagen Leuna schuften. Kurz vor Ende seines Dienstes, es war Februar 1989, schrieb welcher damalige Punkfan Lehnert „Keine Macht zu Händen niemand“ aufwärts Stahlrohre, wurde zusammen mit dem „Dummejungen-Streich“ erwischt, geriet in die Mühlen welcher Stasi und landete sogar zeitweilig in einer Dunkelzelle. Eine Foltererfahrung, die Lehnert heute beim knackenden Ofenholz beinahe en passant qua Anekdote berichten kann.

Natur und Logos

In Leipzig begann er dann ein Theologiestudium, im September ’89, „da war nicht viel mit studieren“. Aus welcher „Notlösung“ wurde eine Berufung. Kirchlich aufgewachsen war er nicht, die Lyrik hatte den Jugendlichen aufwärts religiöse Fragen gestoßen. Die Werke Johannes Bobrowskis waren seine poetische „Initiation“. In Lehnerts Gedichten fliegen Natur und Sprache zusammen, zweitens Ausflüsse eines göttlichen Logos. Auch Schreiben, sagt er, sei „natürlich Weltschöpfung“, ein Sprachhandeln. In welcher Natur sehe man nur, welches man benennen kann. „Im Gedicht geschieht dies ganz grundlegend, zwar wenn schon in welcher Prosa: Wenn ich eine kleine Landschaft beschreibe, bringe ich die im Grunde genommen hervor.“

Nach dem Essen zeugen wir verknüpfen großen Spaziergang mit Hund, droben die Wiesen, am Waldrand weiter. Er erzählt, dass er vor ein paar Jahren verbinden mit Nachbarn eine kleine Windkraftanlage errichten wollte, um eine autarke Energieversorgung aufzubauen. Sie seien an bürokratischen Hürden gescheitert, welches ihn spürbar immer noch verbittert, wenn er nun die riesigen Räder am Horizont sich kreisen sieht. Gerade hat er versiert, dass unverblümt vor seiner Nase eine große Anlage zur Lithium-Aufbereitung entstehen soll – ein Schock. Landschaftsschutz scheint keine Rolle mehr zu spielen.

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Solche Widersprüche seien es, so Lehnert, die die Unzufriedenheit vieler hier schüre. Bei welcher letzten Kommunalwahl 2019 erreichte die AfD im Landkreis sozusagen 30 Prozent; Oberbürgermeister welcher Kreisstadt Pirna wurde im Dezember welcher Kandidat welcher AfD. Lehnert kann den Frust welcher Leute verstehen, dies Gefühl, von reichen Westlern und fernen Eliten unberücksichtigt und übervorteilt zu werden. Ostdeutsche Stimmen seien in den Medien weniger als zu erwarten. Nicht wiederholen kann er, dass viele in welcher AfD eine Problemlösung sehen.

Seine Natur ist kein unschuldiges Idyll, und dies nicht nur, weil sie von Menschenhand bedroht wird. Überall sieht er dies Zusammengehen von Schöpfung und Vernichtung, von Leben und Tod, die unentrinnbare Nahrungskette: „Jeder Quadratmeter Boden hier ist ein Hauen und Stechen. Da oben“, er zeigt in die Luft, „kreist welcher Milan.“

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Der Weg geht querfeldein zurück zum Haus. Hündin Cora muss man nicht sagen, wo es weit geht. Ostern ist nicht mehr weg, wir sprechen droben Fasten und Verzicht. Lehnert denkt an die Askese welcher spätantiken Mönche: „Die Wüstenväter hatten dies Gefühl, dass sie sie Ruhe, dieses Gleichmaß nur finden, wenn sie nicht im Getriebe welcher Dinge stillstehen.“ Auch ihm geht es um dies Wiederfinden welcher eigenen Mitte, „von welcher sich dies ganze Dasein organisiert“.

Findet man sie inwendig Ruhe im Schreiben, oder führt es verknüpfen nicht davon weg – sie Frage treibt Christian Lehnert um. „Wo hat man dies Gefühl, dass man an seiner eigenen Sehnsucht am nächsten dran ist?“ Ein Paradox: Die von ihm so bewunderten Mystiker sind nur in ihren Schriften überliefert, und doch weiß er: „Die letzte Energie des Religiösen führt im Prinzip ins Schweigen, ins Unaussprechliche.“

Christian Lehnert: „Das Haus und dies Lamm. Fliegende Blätter zur Apokalypse des Johannes“. Suhrkamp Verlag, 272 Seiten, 28 Euro.

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Source: welt.de

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