Die deutsche Wirtschaft ist im dritten Quartal überraschend gewachsen und rutscht doch nicht in eine Rezession. Doch nur einer der beiden Gründe dafür erscheint hoffnungsvoll. Deutschland verharrt in einer folgenreichen Flimmer-Konjunktur – während es vom Rest Europas abgehängt wird.
Deutschland kann doch noch wachsen – zumindest in der Statistik. Im dritten Quartal ist die Wirtschaftsleistung überraschend um 0,2 Prozent expandiert. Das teilte das Statistische Bundesamt am Mittwoch in seiner ersten Schätzung mit. Die Bilanz der Monate Juli bis September fiel damit deutlich besser aus als erwartet.
Deutschland hat auf diese Weise einmal mehr das Abrutschen in eine technische Rezession abgewendet. Ökonomen sprechen von einer technischen Rezession, wenn eine Volkswirtschaft zwei Quartale in Folge ein Minuswachstum ausweist. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im zweiten Quartal geschrumpft. Für das dritte Quartal hatten Experten ursprünglich ebenfalls einen Rückgang um 0,1 Prozent vorausgesagt.
Dass Deutschland inmitten von Ampel-Streit und VW-Krise nun plötzlich doch besser dasteht als erwartet, hat zwei Gründe. Zum einen, schätzen Ökonomen, haben offensichtlich die staatlichen und privaten Konsumausgaben stärker zugenommen als gedacht. Zum anderen spielt die Statistik Deutschland abermals in die Hände.
Denn mit den aktuellen Zahlen wurde das Wachstum für das zweite Quartal von Minus 0,1 auf Minus 0,3 Prozent zurückgenommen. Von diesem niedrigeren Niveau aus ist es leichter, ein Wachstum zu produzieren. Genau dieses Muster, bei dem sich jeweils ein positives und ein negatives Quartal abwechseln, existiert bereits seit zwei Jahren: Seit dem dritten Quartal 2022 gab es keine zwei Quartale in Folge mehr mit einem durchgängigen Wachstum oder einer durchgängigen Schrumpfung. Deutschlands Konjunkturkurve ähnelt damit einem flattrigen Herzschlag.
Das hat Folgen für die Wirtschaftsleistung. Seit 2018 hat die größte Volkswirtschaft der Eurozone real nicht mehr zugelegt. Das Hin und Her bei der Konjunktur, das den Zickzackkurs in der Politik spiegelt, wird damit zur Wohlstandsbremse und zum Investitionshemmnis. „Die Daten für das dritte Quartal sind angesichts der Stimmungsindikatoren, die in den letzten Monaten mehrheitlich trübe aussahen, eine positive Überraschung“, sagt Elmar Völker, Analyst der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).
Von einer positiven Trendwende zu sprechen, sei allerdings verfrüht, zumal der BIP-Rückgang im Vorquartal stärker gewesen sei als ursprünglich gemeldet. „Die deutsche Wirtschaft pendelt somit vorerst weiterhin zwischen Phasen mit leichtem Wachstum und solchen mit leichter Schrumpfung“, so Völker. Hoffnungsvoll stimmt den LBBW-Ökonomen, dass der private Konsum dank sinkender Inflation und höherer Löhne erste Anzeichen einer Belebung zeigt.
Andere europäische Länder präsentieren sich bereits jetzt deutlich robuster, obwohl sie in der Corona-Krise deutlich stärker eingebrochen sind. Doch üppige EU-Hilfen infolge der Pandemie, eine weniger industrielastige Wirtschaft und einige Reformen haben dafür gesorgt, dass insbesondere die Mittelländer Spanien, Italien und Griechenland auch nach dem Ende der Corona-Krise weiter gewachsen sind. Trotz des Kriegs in der Ukraine. Die spanische Wirtschaft steht heute zehn Prozent über dem Niveau von Ende 2017, Frankreich rund sieben Prozent, Italien rund sechs Prozent während Deutschland läppische 1,2 Prozent zugelegt hat.
Im dritten Quartal ist Frankreichs Wirtschaft mit 0,4 Prozent doppelt so schnell gewachsen wie noch im Frühsommer. Ökonomen führen das auch auf den positiven Beitrag durch die Olympischen Spiele in Paris zurück. In Italien stagnierte das Wachstum, in Griechenland dürfte das BIP Schätzungen zufolge um 0,5 Prozent angestiegen sein.
Offizielle Zahlen aus Athen sind erst Anfang Dezember verfügbar. Spanien hat erneut kräftig zugelegt, die Wirtschaft wuchs wie schon im zweiten Quartal um 0,8 Prozent und damit mehr als erwartet. Der Internationale Währungsfonds (IWF) traut Spanien in seiner jüngsten Prognose für 2024 rund 2,9 Prozent Wachstum zu.
Dass Deutschlands Wirtschaft nun doch nicht in die Rezession abgerutscht ist, dürfte politisch erneut für Diskussionen innerhalb der Ampel-Koalition sorgen. Je nach Lesart kann sich jeder der drei Koalitionspartner den vermeintlichen Aufschwung zuschreiben oder die Schuld für die schwache Flimmerkonjunktur den jeweils anderen Parteien anlasten.
So sieht Vizekanzler Robert Habeck im überraschenden Sommer-Wachstum einen Hoffnungsschimmer. „Das ist bei Weitem noch nicht das, was wir brauchen, aber immerhin ein Lichtblick“, sagte der Bundeswirtschaftsminister.
„Die Wirtschaft zeigt sich robuster als bislang prognostiziert, die von vielen erwartete technische Rezession bleibt aus.“ Gleichzeitig zeige sich deutlich, dass Deutschland weitere Maßnahmen brauche, um aus der Krise zu kommen. „Investitionsanreize, Innovationsförderung und Entbürokratisierung – wir sollten hier gemeinsam agieren und den Standort Deutschland stärken“, sagte Habeck.
Von Einigkeit und einem gemeinsamen Agieren ist derzeit in der Koalition allerdings nicht viel zu sehen. So wirft Saskia Esken, Co-Vorsitzende der SPD, Finanzminister Christian Lindner vor, für einen Teil der Wirtschaftsprobleme in Deutschland verantwortlich zu sein.
Das von der Ampel im Sommer verabredete Maßnahmenpaket zur Entlastung der Wirtschaft sei „an vielen Stellen zu klein geraten“, kritisierte Esken am Mittwoch im ZDF. „Und warum? Weil eben der Finanzminister nicht bereit ist, sich zu bewegen bei der Frage der Einnahmensituation des Staates“, sagte sie und warf dem FDP-Chef eine Bremserrolle vor.
Anja Ettel und Holger Zschäpitz schreiben für WELT unter anderem über die Themen Finanzen und Geldanlage sowie das Zusammenspiel von Politik und Märkten. Beide sind Hosts des WELT-Podcasts „Alles auf Aktien“.
Source: welt.de