
Die Einigung in Berlin zwischen Union, SPD und Grünen wird von führenden deutschen Ökonomen positiv bewertet. „Es ist ein sehr guter Kompromiss zwischen Schwarz-Rot und Grün erzielt worden“, sagte der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum der F.A.Z. Moritz Schularick, der Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), sagte der Zeitung: „Die heutige Einigung ermöglicht umfangreiche Investitionen in die Sicherheit Deutschlands und Europas. Das ist wichtig und richtig.“ Ifo-Präsident Clemens Fuest sagte auf Anfrage: „Dass es zu einiger Einigung gekommen ist, ist zu begrüßen, weil die aktuelle Sicherheitslage dringend eine Ausweitung der Rüstungsausgaben erfordert.“
Die drei Ökonomen gehören zu der Gruppe von vier Wirtschaftsforschern, die nach Aussagen von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz die maßgebliche Vorarbeit für die Pläne zu höheren Militär- und Infrastrukturausgaben geleistet haben. Union, SPD und Grüne haben sich auf Folgendes verständigt:
1. Die Schuldenbremse wird gelockert – und zwar nicht nur für Verteidigungsausgaben, sondern auf Druck der Grünen auch für Ausgaben in Cybersicherheit, Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie Nachrichtendienste die Unterstützung für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten. Alle Ausgaben, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigen, können damit aus Krediten finanziert werden. Nach oben hin gibt es keine Grenze.
2. Für Investitionen in die Infrastruktur wird ein Sondertopf eingerichtet, der im Grundgesetz von der Schuldenbremse ausgenommen und mit Krediten von bis zu 500 Milliarden Euro gefüttert wird. 100 Milliarden davon gehen an die Länder. Weitere 100 Milliarden werden auf Druck der Grünen fest für Klimaschutz und den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft vorgesehen; das soll über den bestehenden Klima- und Transformationsfonds geregelt werden. Der Sondertopf soll für zwölf Jahre zur Verfügung stehen.
3. Ebenfalls auf Druck der Grünen wurde laut Merz festgelegt, dass aus den Infrastruktur-Milliarden zusätzliche und nicht schon geplante Vorhaben finanziert werden. Die Grünen hatten befürchtet, dass Union und SPD das Geld nutzen könnten, um Ausgaben auszulagern und so im Kernhaushalt Platz zu machen für Wahlgeschenke wie die Mütterrente oder geringere Steuern für die Gastronomie.
4. Merz sagte, er gehe davon aus, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nun auch die bereits lange geforderten zusätzlichen Rüstungshilfen von drei Milliarden Euro für die von Russland angegriffene Ukraine freigeben werde. Es habe entsprechende Signale aus dem Kanzleramt gegeben. Um dieses Hilfspaket und die Frage, wie es finanziert werden sollte, hatte es vor der Bundestagswahl lange Auseinandersetzungen gegeben.
Wird das Geld wirklich sinnvoll ausgegeben?
Südekum sagte nun: „Das Prinzip der Zusätzlichkeit ist in der Verfassung verankert worden. Das ist gut so, denn es ist das stärkte mögliche Signal, dass die Milliarden aus dem Sondervermögen tatsächlich nur für Infrastruktur ausgegeben werden und zum bisherigen Investitionsniveau hinzukommen.“ Es werde nun keinen „Verschiebebahnhof geben“.
Als zusätzlich sollen alle Investitionen angesehen werden, die über zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehen. Schularick und Fuest sehen die Gefahr, dass diese Regelung nicht wasserdicht ist. Schularick schränkte ein, der Kompromiss zum Sondervermögen Infrastruktur stelle sicher, dass zumindest ein erheblicher Teil für zusätzliche Infrastrukturinvestitionen ausgegeben werden muss. Die Gefahr eines Verschiebebahnhofs von geplanten Investitionen aus dem Haushalt in das Sondervermögen sei aber nur teilweise gebannt.
Ifo-Chef Fuest sagte zu der Absprache: „Ob das etwas Wert ist, hängt davon ab, ob sinnvoll eingegrenzt wird, was unter Investitionen fällt.“ Die Gefahr einer Zweckentfremdung der Kreditmittel sei nicht gebannt, aber reduziert. „Jetzt kommt es darauf an , das durch Strukturreformen und Ausgabenumschichtungen zu ergänzen“, so Fuest.
Zu der Einigung auf höhere, theoretisch unbgrenzte Verteidigungsausgaben, sagte wiederum Ökonom Südekum: „Die Ausnahme der Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ab 1 Prozent des BIP wird mit einem erweiterten Sicherheitsbegriff versehen. Darüber bekommt die künftige Bundesregierung auch allgemeine Spielräume, die sie aber nicht für kurzfristige konsumtive Zwecke veräußern sollte. Vielmehr sollte sie dafür sorgen, mit diesem Geld die Modernisierungsagenda des Staates zu unterstützen.“
Schularick betonte, auf der Koalition lastet jetzt eine große Verantwortung, mit dem erheblichen finanziellen Spielraum verantwortungsvoll umzugehen. „Vor allem im Bereich der Verteidigung muss es darum gehen, Investitionen in Hochtechnologie und den Anteil von Forschungs- und Entwicklungsaufgaben massiv zu erhöhen, um für die Konflikte von morgen vorbereitet zu sein“, sagte der Kieler Ökonom.
Wenn dies umgesetzt wird, können von diesem Paket erhebliche Wachstumsimpulse für die schwächelnde deutsche Wirtschaft ausgehen. Der mögliche Einschluss der Hilfen für die Ukraine und der erweiterte Verteidigungsbegriff seien wichtige Signale für die Botschaft: „Deutschland meint es ernst mit der Sicherheit Europas.“