Aus dem legendären Fehlfarben-Debütalbum „Monarchie und Alltag“ haben elf namhafte Illustrator:innen einen Comic gemacht. Diedrich Diederichsen weiß, warum diese Musik 42 Jahre später noch fasziniert
Wir waren im alten Opel auf dem Wege zum Kunst-/Musikfestival „Finger Für Deutschland“ in Immendorffs Atelier und im Ratinger Hof, beides Düsseldorf, wo auch unsere Band am Wahlabend 1980 spielen sollte. Inmitten des mir damals gänzlich unbekannten und noch nicht völlig in Ruhrfestspiele umgewandelten Ruhrgebiets mit seinen Schornsteinen, Produktionsstraßen und eingemauerten Industriarealen legte ich die Vorab-Kassette der ersten Fehlfarben-LP ein, komischerweise mit der zweiten Seite zuerst: „Im Zentrum der Zivilisation / Leben, Leben um uns herum / Und mittendrin ein Stück Land abgesteckt / Oder ’ne Fabrik, in die keiner seine Nase steckt …“ Apokalypse, das Lied vom „Ernstfall“ der „längst“ eingetreten sei, den „Waffenschmieden der Nation“ traf mit seinem High-Speed-Sequencer und Peter Heins dramatischem Gesang genau auf alle Parameter der Situation 1980 auf einer Autobahn im Industriegebiet: Man teilte die Angst der Friedensbewegung, fand aber ihren Habitus, ihre Kultur lächerlich („Es ist zu spät für die alten Bewegungen“, hieß es auf der zuvor veröffentlichten ersten Single der Fehlfarben), man fühlte sich im Zentrum einer kapitalistischen Macht, die sich hinter hässlicher Harmlosigkeit („graue B-Film-Helden“, Grauschleier) und Langeweile („Die Geschichte ist langweilig, immer dasselbe“) verschanzte.
Doch zum anderen herrschte ein Gefühl von Glück und Befreiung – „wir dachten schon, das wäre der Sieg“ –, wird das Hier und Jetzt den Utopien der vorangegangenen Generation vorgezogen. Die erste neue deutsche Welle, der Underground aus Berlin, Düsseldorf und Hamburg der Jahre nach ’77, nach deutschem Herbst und Punk aus London hat in dem Album Monarchie und Alltag, das zweieinhalb Wochen nachdem bundesdeutsche Wähler_innen Franz Josef Strauß knapp per Votum für das kleinere Übel Helmut Schmidt verhindert hatten, erschien, zum ersten Mal zu einem Ausdruck gefunden, der auch außerhalb der Szene verstanden und aufgegriffen werden konnte. Die von Haus aus viel weniger direkte und entschlossene, verspieltere, campy und kunstakademiebasierte Düsseldorf-Solinger-Szene der Jahre ’78 – 80 hatte zusammengelegt: Mitglieder von Plan, DAF, S.Y.P.H. und vor allem Mittagspause hatten die Fehlfarben als Ska-begeistertes Nebenprojekt gegründet, das plötzlich als Supergruppe mit einem Major-Label-Vertrag dastand und das ganze glücklich-gegenwartseuphorische Bewusstsein in einem Album auf den Punkt brachte.
Aber jetzt, wo dieses artikulierbar war, war es auch vorbei. Mit Anfang 20 war man plötzlich ein sehr alter Mann – Das war vor Jahren heißt es über die Nächte, als man „zum Herzschlag der besten Musik“ tanzte. Die ganze Platte durchzieht das melancholische Wissen, dass für immer vorbei ist, was man so klar beschreiben kann. Altes Singer/Songwriter-Problem: Wenn ich verständlich als Zeuge davon erzählen kann, ist die Sache vorbei. Spannenderweise interessieren sich die Fehlfarben jedoch auch und gerade für die Pop-Musik-Genres, die von Ereignissen nicht erzählen, sondern die sie auslösen, steigern: Nach Punk war das um 1980 vor allem Funk. Thomas Schwebel bespielt hier das eigentlich schönste Genre der elektrischen Gitarre: Solo, aber mit der Rhythmusgitarre. Inspiriert von Gang of Four, Dub, aber auch Chic. In der Hausbesetzer-Hymne Ein Jahr (Es geht voran) geht das aber auch nicht ohne Ironie.
Dabei entsteht so eine andere, schöne Spannung von Monarchie und Alltag. Die Texte, meist aus der Feder von Sänger Peter Hein, reden in Slogans und Sprüchen, teils gefundenen (der Grauschleier aus der Werbung für das Waschmittel „Fakt“), teils selbst ausgedachten („Ich kenne das Leben, bin im Kino gewesen“), sind aber gerade nicht ironisch, erzwingen gerade durch die fremde Form die Ernsthaftigkeit eines Klartextes, der im Eigensprech nicht mehr zu haben war oder unvermeidlich zu Rock-Klischees gerinnen musste. Das hatte auch mit seinerzeit kursierenden Subversionstheorien zu tun: „Sprich fremde Sprachen im eigenen Land“, heißt es in Gottseidank nicht in England, meinem Lieblingslied auf Monarchie und Alltag,neben anderen Ratschlägen zu Anonymisierung und Untertauchen, Einsickern und Unsichtbarwerden, als wäre es eine Fortsetzung von Brechts Lesebuch für Städtebewohner. Doch wie bei Brecht („Verwisch die Spuren“) kippt auch bei den Fehlfarben das, was schon mal wie Anleitung zum Untergrundkampf klingt, immer wieder in Karrieretipp oder gar Karrierepanik: „… sonst ist an der Spitze für dich kein Platz“. Das Konzept Subkultur verschwimmt mit dem Konzept Elite – letzteres natürlich als damals noch wenig, heute oft thematisiertes Problem des ersteren: „Das ist das Ende, Du bleibst allein.“
Was können heutige Comiczeichner – darunter allerdings auch Generationsgenossen wie der in dieser Disziplin mir bisher wenig bekannte, immer anregende Autor Frank Witzel – mit diesem Werk anfangen, wie illustrieren sie diese Songs? Überwiegend und nicht überraschend nicht als Zeitgenossen, sondern als Zeugen für die Kapazität der Songs, in anderen Kontexten weiterzuleben. Sie machen sich ihren Reim darauf und passen sie ihren individuellen Mythologien ein. Dabei sind diejenigen im Vorteil, die sich wie Tine Fetz oder Andreas Michalke auch sonst stark für Gegenwartsdiagnosen interessieren, für das eigene Verhältnis zum historischen Moment – und damit etwas mit dem Blick der Fehlfarben aus dem Jahre 1980 teilen. Inwiefern Posthistoire, beste Musik, Kriegsangst, Ironiezwang, historische Déjà-vus geblieben und auch ganz etwas anders geworden sind, kann man allerdings nicht nur bei ihnen erkennen. Ebenso kluge wie angenehm nüchterne Kommentare von Peter Hein und Thomas Schwebel zeigen, wie man genau diesem einen großen Moment im Leben, dem totalen Debütalbum im weitesten Sinne, loyal bleiben kann, ohne sich davon terrorisieren und verbittern zu lassen. Dabei hilft, wenn man weiß, dass der große Moment immer auch darin besteht, dass man ihn verpasst. Man dachte schon, aber dann …
Das Ich zerspringt wie die Welt
„Die fremdartige Kopplung des Begriffspaars Monarchie und Alltag faszinierte mich unmittelbar (…). Ohne es erklären zu können, meinte ich unmittelbar zu verstehen, was gemeint war: Das Andere des Alltags war keine Alternative, sondern erst recht das Falsche (…). Anders als kurz zuvor noch Ton Steine Scherben, die sich Schritt für Schritt zum Paradies bewegen wollten, war bei Fehlfarben der Traum bereits ausgeträumt. Der Text bleibt bewusst ungenau. Es sind Begriffe und Phrasen, die aus dem Augenblick heraus kanalisiert werden, sich der Auflösung verweigern. Gerade weil die Reime stolpern und nicht ausgebügelt wurden, (…) hat der Song auch heute noch nichts von seiner Dynamik verloren. Denn das Ich, auf das trotzig beharrt wird, zerspringt ebenso wie die Welt, in der es seinen Platz zu behaupten sucht.“
Frank Witzel
Etwas Beängstigendes hatte der Song
„Ich kenne das Lied noch von früher, von einer Musikkassette meiner Mutter. Es war ein Sampler mit den damals größten deutschen Tanzmusik-Hits, da war ich zwölf oder 13. Der Text war mir zugleich völlig klar und unklar, auf jeden Fall kam er mir sehr deutsch vor. Im Radio ist zu der Zeit immer etwas von Queen und Sonntag vom österreichischen Duo Mess (kann man googeln) gelaufen. Ein Jahr (Es geht voran) hat diese Radiomusik irgendwie weggeblasen, während mir Queen den minderjährigen Kopf ungut verklebt hat. Irgendwas Beängstigendes hatte Ein Jahr (Es geht voran) aber auch. Wahrscheinlich, weil man bereits mit zwölf ahnt: Wenn etwas schon so heißt, kann es nicht gut ausgehen.“
Nicolas Mahler
Sehr laut auf dem Kassettenrekorder
„Fehlfarben habe ich mit 17 viel im Jugendzimmer meines Elternhauses gehört, und zwar sehr laut auf dem Kassettenrekorder. Das war in einer hessischen Kleinstadt – im Kontrast dazu fühlten sich die Songs für mich unerhört urban an. In die teilweise kryptischen Texte konnte man allerhand projizieren, und das habe ich dann exzessiv herumliegend und mitsingend gemacht.
Das sind Geschichten erzählt für mich von der Sehnsucht nach Bedeutung im zwischenmenschlichen Kommunizieren und dem Versuch, eine echte Verbindung zu einem Gegenüber herzustellen, selbst merkwürdig neben sich stehend und sich irgendwie unecht fühlend. Damit konnte ich mich als Teenager hervorragend identifizieren, eigentlich kann ich es ab und zu noch immer.“ –
Anke Kuhl
Bier, Band, Welt retten
In das Jahrbuch unseres Abi-Jahrgangs schrieb ich bei der Frage nach meinen Zukunftsplänen: „Bier kaufen, Band gründen, Welt retten“. (…) Die Fehlfarben, das waren diese alten Punkerintellektuellen. Bestimmt ganz cool, aber bestimmt nicht als Projektionsfläche unserer Gefühlswelt geeignet. So dachte ich vor 20 Jahren. Und jetzt rotiert in meinem Atelier plötzlich wochenlang Paul ist tot in Dauerschleife auf Youtube. Ein Song als Sog. Subtil und kraftvoll zugleich. Er frisst sich tief in mein Unterbewusstsein und diktiert mir diese wahnwitzige Geschichte über den Paul-Bunyan-Flipperautomaten. Und just findet mich Monarchie und Alltag auch noch als gut erhaltenes Second-Hand-Vinyl beim Stöbern im neuen Kiez-Musikgeschäft. Danke, Fehlfarben, für euer spätes Erscheinen in meinem Kopf und auf meinem Plattenteller.
Markus Färber
Irgendwie geil
„Ich hab mir bei dem Lied Militürk immer was ganz anderes vorgestellt. Dass die DDR von Türken unterwandert wird. Und die Vorstellung fand ich irgendwie geil. Leider geht’s aber wohl um Kreuzberg in den 80ern. Schade.“
Ricaletto
Monarchie und Alltag. Ein Fehlfarben-Songcomic Gunther Buskies / Jonas Engelmann Ventil-Verlag 2022, 128 S., 25 €
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