Deutsches Stromnetz: Investoren schenken Milliarden für jedes Tennets Zukunft

Der niederländische Stromnetzbetreiber Tennet gibt einen großen Minderheitsanteil an seinem Deutschlandgeschäft an ein internationales Investorenkonsortium ab. Gleichzeitig ebnet er dem deutschen Staat den Weg für einen Einstieg. In einer Kapitalerhöhung um bis zu 9,5 Milliarden Euro erwirbt die Dreiergruppe ein Paket, mit dem sie im Anschluss 46 Prozent an Tennet Deutschland hält. Tennet plane mit der Staatsbank KfW über eine Beteiligung Deutschlands zu sprechen, sagten Vorstandschefin Manon van Beek und Finanzchefin Arina Freitag am Mittwoch im Gespräch mit der F.A.Z. „Wir haben immer gesagt, dass die Tür für die Bundesregierung weiterhin offen ist“, sagte Freitag. „Wir sind weiterhin in sehr gutem Benehmen mit der Bundesregierung, sie ist unser wichtigster Stakeholder.“

Zunächst steigen jetzt der norwegische Staatsfonds Norges, der niederländische Pensionsfonds APG und die singapurische GIC ein. Norges ist mit der Hälfte des Minderheitspakets Konsortialführer, die anderen Parteien werden jeweils ein Viertel des Pakets halten, wie Freitag sagte. APG legt Gelder für den Pensionsfonds ABP an, der Betriebsrenten für Arbeitnehmer im niederländischen öffentlichen Dienst sowie im Bildungswesen auskehrt. „Mit der heutigen Transaktion – mit 9,5 Milliarden Euro – haben wir alles nötige Eigenkapital und sogar noch ein bisschen mehr, um alle absehbaren Investitionen zu tätigen und dabei eine gute Kreditwürdigkeit zu behalten“, sagte van Beek. Der Erlös „fließt direkt Tennet Deutschland zu, weil wir das Eigenkapital brauchen, um weitere Anleihen aufzunehmen“, sagte Freitag.

Tennet Deutschland wird mit 40 Milliarden bewertet, geht aber nicht an die Börse

Tennet Deutschland wird den Angaben zufolge in der Transaktion mit 40 Milliarden Euro bewertet. Die Regierung in Den Haag hat sich damit gegen einen Börsengang entschieden, der an der Frankfurter Börse stattgefunden hätte. Aus Sicht des Börsenplatzes ist das ein weiterer Rückschlag. Der niederländische Staat hatte ein zweispuriges Verfahren aufgesetzt und Investmentbanken für beide Varianten mandatiert: den Direktverkauf eines Minderheitsanteils an Investoren oder einen Börsengang.

Tennet Deutschland ist an den Vermögenswerten gemessen der größte der vier hiesigen Übertragungsnetzbetreiber. Gut 14.100 Kilometer Leitungen transportieren Strom in Nord-Süd-Richtung. An den Betreibern Transnet BW und 50 Hertz ist der deutsche Staat schon beteiligt, an Amprion nicht. Tennet war an das Deutschlandgeschäft gekommen, als es 2010 das deutsche Stromnetz vom Düsseldorfer Versorger Eon erwarb. Jetzt will der niederländische Staat den Teil wiederabgeben, weil wegen der Energiewende in beiden Ländern viele Milliarden Euro an Investitionen anstehen. Tennet Deutschland muss im Fünf-Jahres-Zeitraum bis 2029 in Summe 65 Milliarden Euro investieren, also im Schnitt 13 Milliarden Euro jährlich, wie aus einer Unternehmenspräsentation aus dem Sommer hervorgeht. Die höchsten Beträge fallen demnach 2027 und 2028 an. Im darauffolgenden Jahrfünft bis 2034 werden jährlich zehn Milliarden Euro im Schnitt veranschlagt.

Der geschäftsführende niederländische Finanzminister Eelco Heinen von der liberalen VVD hatte sich stets einen Börsengang als zweite Variante offengehalten. Die Entscheidung sollte ursprünglich um den Beginn der Sommerpause fallen – wurde dann auf September vertagt. Wenn auch verzögert, so ist der Prozess ungeachtet der politischen Turbulenzen in Den Haag weitergegangen. Im Juni war nach weniger als einem Jahr Amtszeit die Vier-Parteien-Koalition aus Mitte- und Rechtsparteien zerbrochen, weil die Rechts-außen-Partei PVV unter Geert Wilders mit Verweis auf Uneinigkeit über Asyl und Einwanderung austrat. Inzwischen hat noch eine zweite Partei das Kabinett verlassen, der zentristische Neue Gesellschaftsvertrag (NSC).

Die verbleibenden zwei Parteien führen die Geschäfte weiter – bis zur vorgezogenen Neuwahl am 29. Oktober und höchstwahrscheinlich darüber hinaus während der anschließenden Koalitionsverhandlungen, die sich über Monate hinziehen könnten. Das Parlament hatte, wie üblich nach einem Koalitionsbruch, jene politischen Themen definiert, die nicht auf eine nächste Koalition warten sollen. Die Tennet-Transaktion war eines dieser Themen.

Ursprünglich hatte der deutsche Staat die hiesige Tennet-Tochtergesellschaft komplett übernehmen wollen – was etwa 20 Milliarden Euro gekostet hätte. Mitte vergangenen Jahres scheiterten Verhandlungen mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die im Auftrag der Bundesregierung agierte; aber die Ampelkoalition wurde sich damals nicht einig. Der damalige niederländische Finanzminister Steven van Weyenberg nannte als Grund für das Verhandlungs-Aus die Haushaltsnot der Bundesregierung. Tennet führt inzwischen zwei nationale Organisationen unter dem Dach der Holding, um die Abtrennung zu erleichtern: eine in den Niederlanden, eine in Deutschland mit eigenem Management.

Tennet hatte nach Auskunft aus Finanzkreisen die Finanzhäuser Deutsche Bank, ABN Amro, Goldman Sachs und Morgan Stanley als Berater für einen Börsengang benannt. ABN Amro und Lazard wurden für die M&A-Transaktion benannt. Lazard hat zudem ein koordinierendes Dachmandat für beide Varianten. Eine zentrale Rolle spielt Marcus Schenck, Lazards Ko-Leiter des Investmentbankings im deutschsprachigen Raum. Schenck war Eon.-Finanzvorstand, als der Energiekonzern 2010 sein Stromnetz an Tennet verkaufte. Die Investmentbank Rothschild steht der Regierung in Den Haag zur Seite. In der Unternehmenspräsentation aus dem Sommer heißt, der niederländische Staat werde voraussichtlich auf absehbare Zeit indirekter Mehrheitseigner sein, ein weiterer Anteilsverkauf sei bis 2029 nicht zu erwarten.

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