Die deutsche Wirtschaftsleistung ist im vergangenen Jahr um 0,2 Prozent geschrumpft. Es ist der zweite Minus nacheinander. Ein weiteres Minus in diesem Jahr ist nicht ausgeschlossen. Ökonomen erwarten im Schnitt zwar eine schwache Erholung. Im Rahmen der Prognoseungenauigkeiten aber würde es nicht überraschen, wenn die Wirtschaft auch ein drittes Mal nacheinander schrumpfte.
Die Versuchung liegt nahe, die Schuld an dieser Entwicklung in außergewöhnlichen Schocks und im Ausland zu suchen. Da ist der Energiepreisschock nach Russlands Angriff auf die Ukraine. Die starke chinesische Konkurrenz bei Elektroautos, in der Ökotechnik, zunehmend auch im Maschinenbau. Die stagnierende Globalisierung, die die deutsche Exportwirtschaft behindere. Die Unsicherheiten durch die beginnende Spaltung der Weltwirtschaft in einen westlichen und in einen China-zentrierten Block.
All das spielt eine Rolle, sicher. Aber es ist zu wenig, um die deutsche Wachstumsmisere zu erklären. Andere Länder standen in den vergangenen Jahren ähnlichen Schwierigkeiten wie Deutschland gegenüber und haben sich wirtschaftlich besser geschlagen. Seit der Pandemie hat das deutsche Bruttoinlandsprodukt in etwa stagniert, während der Euroraum ein Plus von fast fünf Prozent vorlegte. Die Wirtschaft in der Vereinigten Staaten wuchs gar um 11,4 Prozent. Selbst Japan, unter den großen Industriestaaten das notorische Wachstumsschlusslicht, hat sich in den vergangenen fünf Jahren viel besser entwickelt als Deutschland.
Viel geringeres Potential als vor zwanzig Jahren
Das ganze Wachstumselend spiegelt sich in einer Zahl. Die Wirtschaftsforschungsinstitute und die Bundesbank schätzen, dass das Produktionspotential in Deutschland in den kommenden Jahren vielleicht um 0,3 oder 0,4 Prozent wachsen werde. Das liegt in etwa auf japanischem Niveau. Es ist nur noch halb so viel, wie die scheidende Bundesregierung noch im Herbst prognostizierte. Es ist nur noch ein Viertel dessen, was vor gut zwei Jahrzehnten als Wachstumsmöglichkeit gesehen wurde und was damals die Menschen und die Politik erschreckte. Das war die Zeit, als der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit den Hartz-Reformen den Arbeitsmarkt wieder in Schwung brachte.
Schätzungen des Wachstumspotentials sind nicht so zu verstehen, dass die Wirtschaft gar nicht mehr schneller wachsen könne. Aus ökonomischer Sicht gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass Wachstumsraten von zwei oder mehr Prozent unmöglich sind. Dafür aber müssen die Bedingungen stimmen. Die Vereinigten Staaten schätzen ihr Wachstumspotential auf rund zwei Prozent. Fast die Hälfte davon gründet im Bevölkerungswachstum, vor allem in der Zuwanderung. Bleibt gut ein Prozentpunkt, der durch mehr Kapitaleinsatz, also Investitionen, und höhere Produktivität erklärt wird.
Für die besten Zuwanderer kein gutes Ziel
Der Vergleich zeigt, wie schwer es werden wird, die von den Unionsparteien nun avisierten zwei Prozent Wachstum zu erlangen. Die Alterung der deutschen Gesellschaft wird das Wachstumspotential zunehmend drücken. Eine notwendige Erhöhung des Rentenalters lehnt selbst die Union ab. Zudem arbeiten die Deutschen je Kopf immer weniger. Zuwanderung könnte die schrumpfende Arbeitsleistung lindern. Doch anders als in Amerika stehen sehr viele Deutsche der Immigration sehr skeptisch gegenüber. Als stagnierende Wirtschaft ist Deutschland ohnedies nur sehr bedingt ein Ziel für die besten Zuwanderer.
Es bleiben als wichtigste Stellschrauben die Förderung des Kapitaleinsatzes und der Produktivität. Im vergangenen Jahr schrumpften die privaten Ausrüstungsinvestitionen um außergewöhnlich hohe 6,5 Prozent. Das zeigt, wie unattraktiv der Standort Deutschland geworden ist. Mehr Investitionen und erhoffte Produktivitätswunder aber brauchen Freiheit, von der Amerika viel und Deutschland zu wenig hat. Unter den wahlkämpfenden Parteien haben nur die FDP und die konservativen Parteien erkannt, dass hier der Knackpunkt für mehr Wachstum liegt.
Geboten sind Steuersenkungen, eine Durchforstung des Regulierungsdickichts mit der Machete und zumindest eine lange Pause beim Ausbau des Sozialstaats, um investitionshemmende Lohnnebenkosten und die ausufernde öffentliche Beschäftigung in den Griff zu bekommen. Nicht geboten sind lenkende Investitionsanreize, die SPD und Grüne mit Deutschlandfonds und -prämien planen. Die Bevormundung mit Subventionen hat während der Ampelkoalition nicht geholfen, Deutschland auf einen steileren Wachstumspfad zu führen, sondern nur geschadet.